William und Joanna ~ 1178

 

Edward ließ zu, dass Julia sich von ihm löste, legte ihr jedoch die Hände an die Wangen. "Morgen." erklärte er dann entschlossen. "Gleich Morgen, ich will nicht länger warten müssen." All das konnte nur schief gehen, aber dennoch, er musste es einfach tun. "Julia, ich weiß, dass es schwer wird, aber ich will nicht mehr ohne dich leben. Das kann ich einfach nicht." murmelte er und küsste sie noch einmal zärtlich.
"Und wenn wir uns eine Weile heimlich treffen müssen ... ich werde in der Zeit versuchen einen Weg zu finden, wie wir all das lösen können. Das verspreche ich dir." flüsterte er gegen ihre Lippen, ehe er von Julia abließ und ihr den Arm anbot, um sie aus dem Garten zu führen. Es schmerzte jetzt schon zu wissen, dass sie wieder gehen musste und zu diesem Scheusal Tom zurück musste, aber es ging nicht anders.

Julia

Julia zögerte kurz, dann nickte sie. "In Ordnung, ich versuche mich irgendwie los zu eisen. Aber wir dürfen uns nicht zu oft sehen, sonst schöpft er Verdacht und das müssen wir vermeiden."
Sie sah ihn an und erwiderte den letzten Kuss mit aller Hingabe. Wer wusste, wann sie ihn wirklich wieder sah?
"Ich will auch nicht ohne dich. Ich sehe noch keinen gemeinsamen Weg für uns, aber wir müssen sehen. Lass uns uns morgen zur Mittagsstunde auf dem Heuboden treffen. Ich werde versuchen dort zu sein, aber ich kann es dir nicht versprechen."
Sie nahm seinen Arm und atmete durch. "Ich versuche es wirklich..." Gegen Mittag würde es still im Stall sein.

 

Edward nickte verdrossen. "Ja, da hast du wohl Recht." stimmte er zu. Dann trat ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. "Ich werde dort sein und auf dich warten. Und wenn du es Morgen nicht schaffst, werde ich Übermorgen am Mittag dort sein und warten und den Tag darauf ... jeden Mittag bis du dich gefahrlos los machen kannst, um her zu kommen. Geh kein unnötiges Risiko ein, es ist so schon gefährlich genug." erwiderte Edward sanft.
Als sie am Burgtor angekommen war, ließ er Julia widerwillig los und sah sich prüfend im Hof um. Zum Glück waren sie soweit allein, so dass er es wagte, ihr noch einen flüchtigen Kuss zum Abschied zu geben. "Ich werde auf dich warten, das verspreche ich."

Julia

Julia erwiderte sein Lächeln. "Gut, lass es uns so machen. Ich werde es versuchen, irgendwie wird es schon funktionieren." Sie konnte ihm ja nicht einmal eine Nachricht hinterlassen, weil sie weder lesen noch schreiben konnte. Aber es würde irgendwie schon gehen.
"Ich werde vorsichtig sein, keine Sorge. Ich muss ohnehin erst die Kinder unter wissen. Aliz kann ich ja zur Not mitbringen. Das wird niemandem auffallen, sie ist ja noch so klein."
Als sie das Tor erreicht hatten, küsste sie ihn flüchtig und löste sich dann.
"Gut. Verlier nicht den Mut."
Und damit wandte sie sich ab, um in der Dunkelheit zu verschwinden.

 

Am nächsten Tag hatte Edward sich wie besprochen zum Heuboden begeben. In seinem Kopf herrschte noch ein dumpfer Schmerz, hatte er gestern Abend in seiner Verzweiflung doch noch ein wenig tiefer ins Glas geschaut, aber das hatte ihn natürlich nicht daran gehindert sein Versprechen zu halten.
Und lag er hier im Heu, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und betete zu Gott, dass es Julia gelingen würde her zu kommen. Er wollte sie so gerne wieder sehen ...
Eine Weile verging ohne dass sich etwas rührte, dann mit einem Mal meinte Edward Schritte zu hören und wenig später knarrte die Leiter leicht, die zum Heuboden hinauf führte. Ein Lächelnd trat auf seine Lippen als er erwartungsvoll zu der Leiter hinüber sah.

Julia

Julia schaute sich noch einmal verstohlen um, aber kein Mensch war zu sehen. Sie hatte ihre Söhne mit ihrem Vater geschickt, um diesem zu helfen und hatte Aliz mitgenommen, die sie nun in einem Tuch vor die Brust gebunden hatte, damit sie die Hände für die Leiter frei hatte.
Vorsichtig erklomm sie die hölzernen Tritte und lugte über die Kante. Erleichterung überkam sie, als sie Edward erkannte und schließlich kletterte sie ganz über die Kante.
Sie lächelte zufrieden.
"Da bin ich.", sagte sie leise. Aber ich habe nicht übermäßig lange Zeit. Doch ich konnte mich losmachen."
Sie band Aliz los und bettete das schlafende Mädchen sanft in einen Heuhaufen. Dort konnte die Kleine selig weiter schlafen.

 

Als Julia den Kopf durch die Luke nach oben streckte, grinste Edward breit und war im nächsten Moment auf den Beinen, um ihr hoch zu helfen als er sah, dass sie Aliz bei sich hatte.
"Oh, du hast sie mitgebracht ..." murmelte er enzückt und beobachtete wie Julia die Kleine ins Heu legte. "Wie geht es ihr? Hat sie sich gut erholt?" fragte Edward und zog Julia während dessen an sich, um ihr einen Kuss zur Begrüßung zu geben. "Ich bin froh, dass du überhaupt kommen konntest, meine Liebste." wisperte er gegen ihre Lippen und setzte sich dann ins Heu, zog Julia auf seinen Schoß hinab und betrachtete das schlafende Mädchen. "Sie ist wirklich ein süßes Kind." sinnierte Edward und dachte dabei daran, wie gerne er es hätte, wenn sie seine Tochter wäre.

Julia

Julia lächelte, als sie Edwards Freude über Aliz in seinen Augen sah. Sie bedauerte, dass Tom nicht ebenso viel Freude an seiner Tochter finden konnte, denn die Kleine war wirklich entzückend.
"Ja, ich wusste nicht, wo ich sie sonst lassen soll und sie wird uns sicher nicht verraten. Es geht ihr gut, dank John. Wie er ihr die Kuhmilch eingeflößt hat, hat ihr das Leben gerettet, als ich sie nicht stillen konnte. Ich bin froh, sie ist mein Augenstern..."
Sie liebte ihre Tochter so sehr, vielleicht gerade, weil ihr Vater sie nicht wollte. Sie kuschelte sich auf Edwards Schoß zurecht und lehnte sich an ihn. "Ja, das ist sie. Und ich bin auch froh, dass ich dich sehen kann."
Jeder seiner Küsse war das Risiko wert.

 

Edward lächelte zufrieden. "Ja, John hat ein Händchen dafür Menschen zu retten." bemerkte er und streckte einen Finger aus, um Aliz über die kleine rosige Wange zu streichen. Was für ein süßes Kind ...
"Sie wird später einmal eine wunderschöne Frau, die den Männern den Kopf verdreht, da bin ich sicher." Edward sah Julia tief in die Augen und gab ihr einen langen Kuss. "Ganz so, wie ihre Mutter." murmelte er und legte nun beide Arme um sie, strich zärtlich über ihren Rücken. "Die hat mein Herz ebenfalls im Sturm erobert."

Julia

"Gott sei Dank hat er das, sonst wäre ich jetzt nicht mehr hier." Sie wäre ohne weiteres an dem Fieber gestorben, das Tom ihr eingebrockt hatte. "Ich verstehe nicht, wie ein Mensch so bar jeder Rücksicht sein kann.", murmelte sie leise.
"Vielleicht wird sie das, aber ich hoffe nicht, dass sie den Männern den Kopf verdreht. Wenn sie einen Mann bekommt, der sie heiratet und sie gut behandelt, den sie vielleicht liebt, das wäre mein Wunsch für sie. Sie soll einfach glücklich werden.", erwiderte Julia leise und erwiderte Edwards Kuss.
"Schmeichler...Jedenfalls hat es lange gedauert, bis du diese Erkenntnis erlangt hast."

 

Edwards Miene verfinsterte sich etwas und er nickte. "Es ist mir ebenfalls ein Rätsel. Aber irgendwann wird er schon zur Rechenschaft gezogen werden dafür, Gott wird seinem Treiben nicht ewig tatenlos zusehen." Zumindest hoffte Edward das inständig.
Edward strich Julia gedankenverloren über die Wange und sah wieder zu Aliz hinüber. "Wenn sie alt genug ist, werde ich dafür sorgen, dass sie einen vernünftigen Ritter abbekommt. Jemand aus dem Gefolge meines Vaters oder meinem eigenen ..." Bis das Mädchen groß genug war, würde er ja sicher ebenfalls über ein eigenes Gefolge verfügen.
Dann grinste Edward schuldbewusst. "Ich sage nur die Wahrheit!" beteuerte er und küsste Julia erneut. "Die wirklich wichtigen Dinge im Leben brauchen manchmal leider etwas länger." murmelte er und ließ sich zurück ins Heu sinken, um es sich bequem zu machen und zog Julia mit sich. Sie endlich wieder in den Armen halten zu können, war wirklich himmlisch.

Julia

Julia seufzte und stimmte zu. "Das hoffe ich zumindest. Ich dachte eigentlich immer, Gott wäre gerecht. Aber warum lässt er unsere Gefühle zu, wenn wir nie zusammen sein sollen? Wenn wir nie ein ihm gefälliges Leben in einer Ehe führen können? Ich verstehe es nicht."
Aber sie war auch keine Nonne. Gerührt suchte sie Edwards Blick, als dieser ihr dieses Angebot machte. "Du...das willst du wirklich tun? Ihr einen Ritter suchen? Obwohl sie nicht deine Tochter ist, sondern Toms und du ihn hasst?"
Diese Größe überraschte sie nun wirklich, aber sie war unendlich froh für ihre Tochter. Sie lachte fröhlich auf und ließ sich mit ihm zurücksinken, legte den Kopf auf seine Brust.
"Ja, so ist es wohl...aber besser spät als nie."

 

Edward legte die Stirn in Falten. "Die Priester würden nun sagen: Gottes Wege sind unergründlich, aber letztlich ist es sein Wille, der geschieht." murmelte Edward und sah Julia nachdenklich an. "Wer weiß, was er für uns noch vorher bestimmt hat. Meine Eltern und auch Rob und Josephine hat er auf merkwürdigen, verschlungenen Wegen zusammen geführt, er wird sich wohl etwas dabei denken, uns so zu leiten." Nur was? Edward würde einiges geben, um die Antwort darauf zu finden.
Edward hatte einen Arm um Julia gelegt und schob den anderen nun unter seinen Kopf. "Natürlich will ich das tun, sie ist ein süßes Kind, sie hat es verdient." Dann runzelte Edward die Stirn. "Ich hasse Tom, nicht sie. Aliz kann nichts dafür wer ihr Vater ist. Und vielleicht macht es mir ja gerade deshalb so viel Spaß dem Mädchen zu helfen, weil ich weiß, wie wenig Wert ihr Vater auf sie legt." gab Edward zu bedenken und zwinkerte Julia verschwörerisch zu.

Julia

Julia dachte einen Moment über Edwards Worte nach und seufzte. "Ja, vermutlich würden sie das sagen. Schade, dass es uns unmöglich ist seinen Willen zu verstehen. Ich wünschte, es würde uns so gehen wie deinem Bruder und seiner Frau. Sie war eine Dirne, wie vorgegeben kann ein Lebensweg denn noch sein? Und trotzdem hat er sie geheiratet. Nur ich, ich muss natürlich schon verheiratet sein. Aber ich hätte mich meinem Vater auch nicht widersetzen können."
Ihr Vater war froh gewesen, dass sie noch jemand haben wollte. Und dann noch so eine gute Partie wie Tom.
Aber sie war Edward wirklich dankbar dafür, dass er ihr die Sorge um Aliz' Zukunft aus der Hand nahm. "Ja, vielleicht. Aber ich bin unwahrscheinlich froh darüber."

 

Edward nickte. "Das war sie. Und sie haben sich wiedergefunden, obwohl sie ihn verlassen hatte im Glauben für sie beide das richtige zu tun." Edward küsste Julia sanft auf die Wange. "Meine Eltern waren auch beide vorher verheiratet ... und dennoch sind sie nun glücklich verheiratet. Ich bete jeden Tag zu Gott, dass es für uns auch so kommen mag." erwiderte Edward zuversichtlich. Er wollte die Zeit, die er mit Julia hatte nicht mit düsteren Gedanken verschwenden.
Edward lachte leise. "Es freut mich, dass ich dich wenigstens damit schon einmal glücklich machen konnte. Und nun genug düstere Gedanken gemacht, lass uns genießen, was wir voneinander haben." forderte er sie lächelnd auf und küsste Julia erneut lang und innig.

Julia

"Das macht mir durchaus Mut. Lass uns hoffen, dass es für uns auch ein solch gutes Ende geben wird." Sie wünschte es sich so sehr. Nichts wünschte sie sich mehr, als ihrer Ehe zu entkommen und bei Edward zu bleiben. Edward behandelte sie immer, als sei sie etwas wirklich Kostbares, das es zu behüten und beschützen galt. Er bewunderte sie, dabei war sie doch gar nichts Besonderes.
Sie schmiegte sich an ihn und erwiderte seinen Kuss. Schmerzlich sehnte sie sich nach mehr, aber das wagte sie noch nicht. Schon gar nicht von sich aus. Was würde passieren, wenn sie wieder schwanger wurde und das Kind rote Haare bekam? Das war ein Risiko, das sie nicht eingehen konnte. Dann war gleich alles vorbei.

 

"Das wird es, da bin ich mir sicher. Das muss es einfach." murmelte Edward leise. Er musste glauben, dass es gut ausgehen würde, anders würde er wohl verrückt werden über diese Situation.
Edward zog den Kuss in die Länge und ließ seine Hand langsam Julias Rücken hinab wandern, strich zärtlich über den Stoff ihres Kleides und sehnte sich danach ihr das Kleid auszuziehen. Aber das war einfach unmöglich, besonders jetzt. Er wollte nicht, dass sie dachte, er bemühe sich nur um sie, weil er sie endlich wieder in seinem Bett haben wollte.
Seine Hand glitt hinab bis zu ihrem Po und verharrte dort einen Moment. Edward sah Julia fest in die Augen und lächelte dann leicht. "In einer Sache beneide ich deinen Trottel von Mann doch tatsächlich." bemerkte er und gab Julia noch einen Kuss. "Ich würde nur zu gerne heute Abend neben dir einschlafen."

Julia

Julia schloss wieder die Augen. "Ich hoffe, du hast recht." Sie ließ ihn gewähren und genoss es sogar, wie seine Hand über ihren Körper abwärts wanderte. Es ging ihm wie ihr, aber sie glaubte ihm, dass er es ehrlich meinte und den gleichen Fehler nicht wieder begehen würde.
Sie öffnete die Augen wieder und lächelte ihn ein bisschen wehmütig an. "Ja, das kann ich verstehen. Ich würde auch viel dafür geben, wenn du neben mir in meinem Ehebett liegen würdest. Aber manche Dinge lassen sich nicht ändern. Ich würde gern viel mehr Zeit mit dir verbringen und viel weiter gehen, aber ich kann nicht. Das Risiko ist jetzt schon beinahe übermächtig."
Sie mussten zu jeder Sekunde auf der Hut sein.

 

Edward nickte bedächtig. "In der Tat." murmelte er, ließ die Hand wieder ein wenig aufwärts wandern und gab Julia noch einen Kuss. "Aber unsere Zeit wird schon noch kommen, da bin ich sicher."
Irgendetwas musste einfach geschehen und bis dahin würden sie sich heimlich treffen und er würde sich wie nie zuvor in Geduld üben.
Ja, er hatte sich geändert. Allein die Tatsache, dass er hier mit Julia lag und freiwillig darauf verzichtete irgendeinen Versuch zu starten, um weiter zu gehen, sprach schon für sich. Früher hätte er das weiß Gott nicht fertig gebracht. Aber heute war alles ein wenig anders.
Und so schloss Edward einfach genüsslich die Augen und war dankbar für das bisschen Zeit, dass sie jetzt wenigstens zusammen hatten.

John hatte den Arm um seine Frau gelegt und gemeinsam genossen sie einen behaglichen Abend vor dem Kaminfeuer. Sie waren beide schon ein wenig am dösen, die Kinder waren im Bett und es war angenehm ruhig. John liebte solche Abende.
Die Ruhe wurde gestört, als es an der Tür klopfte. John stöhnte leise und legte den Kopf in den Nacken, dann stand er auf um die Tür zu öffnen. Manchmal fragte er sich wirklich, warum er unbedingt hatte Arzt werden müssen.
Vor ihm stand ein älterer Mann, den er schon zur Genüge kannte. Der Vater des Stallmeisters klagte schon seit geraumer Zeit immer wieder über Schmerzen, aber so oft John ihn auch schon untersucht hatte, es gab einfach nichts zu finden.
"Master Rupert, was kann ich für Euch tun?"

 

Constance war rundum zufrieden. Die Kinder schliefen ruhig in ihren Betten und sie und John konnten den Abend in Ruhe ausklingen lassen. Sie hatte den Kopf an die Brust ihres Mannes gelegt und sich an ihn gekuschelt, genoss die Nähe zu ihm und hatte kurz die Augen geschlossen, als es mit einem Mal an der Tür klopfte.
Constance öffnete die Augen und sah ihren Gemahl an, der leise aufstöhnte. Ein wenig unwillig gab sie ihn frei, aber sie wusste ja, dass es nicht anders ging. Anfangs hatte es sie noch gestört, wenn die Leute auch am späten Abend mit ihren Sorgen noch zu John gekommen waren, aber sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Also verschränkte sie die Arme auf der Rückenlehne und sah fast ein wenig neugierig zur Tür, wer denn wohl dieses Mal ihre Zweisamkeit störte.
Constance biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen als sie den alten Mann in der Tür stehen sah. Sie wusste genau, was John nun durch den Kopf ging, kannte sie den Alten mittlerweile auch schon und John hatte oft genug von ihm erzählt.
Er hatte eine Hand auf seinen Unterleib gepresst und sah John unglücklich an. "Verzeiht die Störung, Master John, aber ... es hat wieder angefangen." erklärte der Alte gepresst. "Heute Mittag schon und ich dachte, es würde weg gehen, aber als ich mich hingelegt habe, um zu schlafen, wurde es nur schlimmer. Ich krieg kein Auge zu."
Constance seufzte leise. Der alte Mann tat ihr durchaus Leid, hatte John doch schon alles mögliche versucht, aber bisher nichts finden können - und ihr hatte er mittlerweile anvertraut, dass er auch nicht an eine Krankheit glaubte, sondern dass der Alte sich das ganze nur einbildete.

John seufzte lautlos und blickte kurz zur Decke, um Gott um Geduld zu bitten. Er war sonst wirklich ein sehr geduldiger Mensch, aber Rupert stellte ihn doch auf eine harte Probe, zumal der mittlerweile der Ansicht war, dass der Alte sich seine Beschweren nur einbildete. Sonst müsste es doch irgendwelche Anzeichen geben!
"Das klingt aber nicht gut, Master Rupert. Ich habe Euch allerdings schon untersucht und ich weiß nicht, woher die Schmerzen kommen. Äußerlich seid Ihr vollkommen gesund. Am Besten legt Ihr Euch wieder ins Bett und ruht Euch aus, das wird am Besten sein. Ich gebe Euch etwas gegen die Schmerzen." Ein leichtes Schmerzmittel, dass keinen Schaden anrichten würde, wenn er es nahm, ohne dass es einen Grund dafür wirklich gab. Woran John nicht glaubte.
Der Arzt trat an eines seiner Regale und zog ein kleines Fläschchen heraus.
"Fünf Tropfen in einen Becher Bier oder Wasser, das wird Euch sicher helfen, damit Ihr schlafen könnt. Ihr werdet sehen, morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus und Ihr könnt wieder Bäume ausreißen.", erklärte er ruhig.

 

Constance beobachtete die Szene nachdenklich. Normalerweise hätte John den Mann herein gebeten, um ihn zu untersuchen oder wäre mit ihm gegangen, doch bei Rupert wurde Johns Geduld durchaus strapaziert. Er hatte den Alten mehr als eigentlich nötig untersucht und nichts finden können, dennoch stand er nun wieder hier und klagte über Schmerzen. Constance seufzte leise als der alte Mann John mit fast angsterfüllten Augen ansah. "Aber es tut so weh ... so krieg ich kein Auge zu." murmelte er und beobachtete verzweifelt wie der Arzt zu einem Regal ging und mit einem Mittelchen wieder kam. "Glaubt Ihr ... glaubt Ihr, das hilft?" fragte Rupert zweifelnd und sah auf das kleine Fläschchen hinab. "Ist das das, was Ihr mir letztes Mal auch gegeben habt? Das hilft nicht, Master John." murmelte der Alte ein wenig zerstreut und ließ den Blick zwischen dem Fläschchen in seiner Hand und John hin und her gleiten. "Könntet ... könntet Ihr nicht noch einmal nachsehen? Ob Ihr was findet, meine ich ..." Er fühlte sich immerhin so elend, so würde er kaum schlafen können.

"Wenn ich nicht glauben würde, dass es hilft, würde ich es Euch dann geben, Master? Warum sollte ich Euch etwas geben, von dem ich weiß, dass es nicht taugt? Letztes Mal habe ich Euch ein Mittel gegeben, dass bei Bauchschmerzen hilft und eigentlich alles wieder in die Bahn bringen sollte. Wenn es nicht hilft, habt Ihr etwas Anderes. Aber das hier hilft gegen die Schmerzen. Wenn nicht viel besser wird, nehmt Ihr noch einmal fünf Tropfen. Aber ich bin sicher, es wird Euch helfen.", erklärte John mit mühsamer Gelassenheit. Dieser Kerl ging ihm langsam wirklich auf die Nerven! Er konnte ihm nicht helfen, da war einfach nichts!
"Master Rupert, ich habe Euch inzwischen dreimal vollständig untersucht. Auf alles, was mir eingefallen ist. Ich glaube nicht, dass ein viertes Mal etwas ändern würde. Geht lieber nach Hause, lasst Euch von Eurer Schwiegertochter einen warmen Tee kochen, nehmt das Mittel und legt Euch ins Bett. Das wird Euch sicher helfen. Und im Schlaf wird es besser werden. Morgen früh wird sicher alles ausgestanden sein."

 

Eins war klar, mit der Ruhe war es nun erst einmal vorbei. John würde sich gleich erst einmal wieder beruhigen müssen, Constance konnte sehen, wie sehr der Alte die Geduld ihres Gemahls herausforderte.
Doch Johns Worte schienen nun endlich den gewünschten Erfolg zu haben und der alte Mann senkte ein wenig beschämt den Blick. "Verzeiht, ich dachte nur ..." murmelte er und schloss die Finger ein wenig fester um das kleine Fläschchen. "Danke, Master John." fügte er dann hinzu und wirkte sichtlich enttäuscht.
Rupert hatte sich gerade umgedreht als er noch einmal inne hielt und sichtlich mit sich rang, dann den Blick aber doch noch einmal hob und zu John hinüber sah. "Wenn es ... wenn es nicht besser wird, kann ich ... kann ich wieder kommen, Master John?" fragte er unsicher und dieses Mal biss Constance sich noch fester auf die Unterlippe um keinen Laut von sich zu geben. Nun tat ihr der Alte wirklich Leid, so einen verwirrten Eindruck wie er machte.