William und Joanna - 1188 bis 1189

Jonathan

Jonathans Herz schlug bis zum Hals, als er sich noch einmal durch die Haare fuhr und sich aufrichtete. Er hatte heute Großes vor. Einer der Grafen der Umgebung hatte in den aufziehenden Kriegszeiten seine Tochter in die Obhut der Herzogin gegeben, damit diese ihr ein wenig höfisches Benehmen beibringen konnte.
Sie war ein wunderschönes Mädchen mit einer kleinen Stupsnase, vollen Lippen und wundervollen kastanienfarbenen Locken. Sie hatte eine solch melodische Stimme, so ein freundliches Wesen. Schon seit Tagen beobachtete er sie ein wenig aus der Ferne, ohne wirklich das Gespräch zu suchen. Sicher kannten sie sich von gemeinsamen Essen, aber da war nie mehr.
Heute hatte er sich ein Herz gefasst und ging zu ihr hinüber, als sie im Garten saß.
"Hallo, Laurine.", begann er aufgeregt. "Genießt du die Sonne?" Jetzt musste er all seinen Mut zusammen nehmen, wenn er sie von sich überzeugen wollte. "Ich wollte...ich wollte fragen, ob du mich vielleicht auf einen Spaziergang begleiten möchtest?"

Laurine

Laurine war erst seit kurzem hier am Hof in Bordeaux, doch sie war mit ihrem Los eigentlich recht zufrieden. Erst war sie sehr aufgeregt gewesen als ihr Vater ihr eröffnet hatte, dass er sie hier her bringen würde, doch ihre Befürchtungen waren nicht erfüllt worden, die Herzogin war sehr freundlich und auch die anderen Bewohner der Burg, die sie bisher kennen gelernt hatte, waren ihr gegenüber sehr offen gewesen.
Da die Sonne sich heute zwischen all den Wolken hervor gekämpft hatte, hatte Laurine sich ein wenig Zeit gestohlen, um sich in den Garten zu setzen, die Sonnenstrahlen zu genießen und ein wenig zu entspannen.
Als diese Ruhe dann jedoch so unvermittelt gestört wurde, hob sie überrascht den Blick und sah sich Jonathan gegenüber, einem der Söhne der Herzogin. Er musste ungefähr in ihrem Alter sein und sie hatte ihn in der Halle schon öfter gesehen, jedoch hatten sie noch nie miteinander gesprochen.
Sie zögerte kurz, nickte dann aber. "Ja, wenn sie sich schon einmal zeigt zu dieser Jahreszeit muss man das nutzen, nicht wahr?" Die Frage, die dann jedoch folgte, verblüffte sie vollkommen und sie starrte ihren Gegenüber einen Moment lang schweigend an. Dabei musste sie all ihre Willenskraft aufbringen, um ihm ins Gesicht zu sehen und den Blick nicht zu seiner Hand wandern zu lassen - oder viel eher dahin, wo seine rechte Hand hätte sein sollen. Laurine wusste, dass es unhöflich gewesen wäre zu starren, also nahm sie sich zusammen. "Einen Spaziergang?" wiederholte sie, um ein wenig Zeit zu schinden. Einerseits war sie zu gut erzogen, um Jonathan einfach so auflaufen zu lassen, andererseits war er ihr auch ein wenig unheimlich, wenn sie ehrlich war. "J-ja, ein kleiner Spaziergang kann nicht schaden, denke ich." willigte sie schließlich ein. Sie musste ihn ja nicht allzu lange begleiten und so war wenigstens der Höflichkeit genüge getan.

Jonathan

Jonathan beobachtete nervös ihre Reaktion und schalt sich einen Tölpel, weil er sie so überfallen hatte. Er hätte diese Sache wirklich bedachter angehen sollen. Was, wenn sie nun ablehnte? Er wusste, dass es für seine Gesprächspartner nie einfach war über die fehlende Hand hinweg zu sehen, aber gerade deshalb mühte er sich umso mehr mit seinem Charakter zu überzeugen.
"Da hast du wirklich Recht. Solches Wetter ist zu schön, um den ganzen Tag nur drinnen zu sitzen." Er nickte eifrig und biss sich nervös auf die Unterlippe, als sie zögerte. Doch schließlich willigte sie ein und er verneigte sich leicht vor ihr, strahlend vor Freude. Er hatte es geschafft! Sie wrde ihn bestimmt mögen, wenn sie ihm Gelegenheit gab sich mit ihr bekannt zu machen.
"Das freut mich sehr." Er bot ihr den linken Arm an, schließlich wusste er, wie man sich zu benehmen hatte.
"Gefällt es dir hier in Bordeaux?"

Laurine

Laurine sah die Freude in Jonathans Gesicht als sie einwilligte und gleich fühlte sie sich ein wenig schuldig. Sie wollte ja nur höflich sein, aber sie fürchtete, dass er sich jetzt womöglich unnötige Hoffnungen machte.
Langsam erhob sie sich und legte vorsichtig die Hand auf seinen Arm. Zum Glück war es der linke, so dass sie nicht ständig an seine fehlende Hand denken musste. "Ja, doch." bestätigte sie schließlich. "Ich bin ja noch nicht lange hier, aber die Gegend ist hübsch und die Leute hier sind sehr nett. Deine Mutter ist wirklich freundlich, sie hat mir etwas von meiner Nervosität genommen." berichtete Laurine, den Blick auf den Weg vor ihnen gerichtet.

Jonathan

Jonathan führte sie langsam auf einen der Kieswege, die seine Mutter hatte anlegen lassen und genoss ihre Nähe in vollen Zügen. Er fühlte sich wie auf Wolken, weil sie ihm diese Bitte gewährt und ihn begleitet hatte. Das würde sie nicht tun, wenn sie ihn nicht mochte.
"Wir Aquitanier sind ein sehr offenes Volk, das gilt für Bordeaux im Besonderen." Jonathan lächelte. "Und meine Mutter ist die gütigste Frau, die ich kenne."
Immerhin hatte sie für ihn gekämpft wie ein Löwe, als niemand sonst ihn haben wollte.
"Ich bin froh, dass es dir gefällt. Vielleicht bleibst du ja ein wenig länger hier."

Laurine

Laurine lächelte ein wenig scheu. "Ja, so kommt es mir auch vor. Und dabei ist Bordeaux so groß, es wimmelt hier ja nur so vor Menschen. Aber vielleicht sind die Leute hier auch gerade deshalb so offen." mutmaßte Laurine.
Ihr Blick huschte kurz zu Jonathan, dann zuckte sie leicht mit den Schultern. "Ich weiß noch nicht. Mein Vater entscheidet, wie lange ich hier bleibe. Aber solange dieser Krieg andauert, bleibe ich in jedem Fall." Dass ihr Vater Truppen aufgestellt hatte, war schließlich der Grund dafür, dass er sie hergeschickt hatte. Er hatte die Gelegenheit nutzen wollen, um sie am Hofe einzuführen, während er selbst ohnehin nicht zu Hause war.

Jonathan

"Das ist wahr. Es kann ein wenig beängstigend sein, wenn man es nicht gewohnt ist. Du kommst aus einer ländlicheren Gegend, nicht wahr? Aber man fühlt sich schnell wohl hier. Du solltest dich einfach darauf einlassen, dann wirst du dich hier bald heimisch fühlen."
Jonathan seufzte zufrieden. "Ich freue mich, dass du länger hier bleibst. Du bist eine Bereicherung für den Hof hier. Auch wenn der Krieg keine schöne Sache ist, in diesem Fall hat er durchaus etwas Gutes, finde ich.", wagte er sich an ein Kompliment.
"Vielleicht möchtest du ja öfter einmal einen Spaziergang mit mir unternehmen."

Laurine

Laurine nickte. "Ungefähr drei Tagesreisen von hier. Unsere Burg ist viel kleiner als eure hier und grenzt auch nur an ein kleines Dorf, liegt nicht wie hier in einer Stadt." erzählte Laurine und dachte darüber nach, dass sie sich bisher noch nicht im Klaren darüber war, was ihr besser gefiel: die beschauliche Ruhe zu Hause oder all der bunte Trubel hier in Bordeaux.
Laurine sah Jonathan überrascht an, richtete dann aber eilig wieder den Blick nach vorn, bevor sie womöglich noch rot werden konnte. Wieso nur hatte sie eingewilligt? Wieso hatte sie ihn begleitet?
Laurine deutete ein unbehagliches Schulterzucken an. "Ich ... ich weiß noch nicht. Vielleicht irgendwann noch mal." versuchte sie ihn dann nicht ganz vor den Kopf zu stoßen.

Jonathan

Jonathan lächelte sanft. "Es ist sicher schön dort. Manchmal ist es doch sehr turbulent an einem so großen Hof. Ich genieße es immer, wenn ich ein paar Wochen bei meinen Großeltern in Cornwall verbringen kann.", erklärte er fröhlich.
Sein Magen kribbelte, als er meinte, sie ein wenig erröten zu sehen. Was für ein hübsches Mädchen sie doch war. Laurine...
Ihre seltsame Reaktionließ ihn die Stirn runzeln. "Oh, wann immer du willst. Habe ich etwas falsch gemacht? Ist meine Gesellschaft dir nicht genehm?"
Sein Herz schlug wieder unangenehm schnell. Was, wenn sie nicht in seiner Nähe sein wollte?

Laurine

Laurine erwiderte sein Lächeln ein wenig scheu. "Ja, beides hat wohl seine eigenen Vorzüge, schätze ich." Laurine biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Das hatte sie nun davon! Sie hätte gleich ablehnen sollen, hätte irgendeinen Vorwand finden sollen, dass sie wieder drinnen erwartet wurde oder so etwas.
"Ich ... nein, du hast nichts falsch gemacht. Es ist nur ... ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, verstehst du?" erwiderte sie schließlich nachdem sie all ihren Mut zusammen genommen hatte. "Es tut mir Leid. Ich hätte es dir wohl gleich sagen sollen." murmelte Laurine und zog ihre Hand zurück, die bis eben noch auf Jonathans Arm geruht hatte. "Ich sollte besser wieder hinein gehen ..."

Jonathan

Jonathan nickte bekräftigend. "Das glaube ich auch. Von Beidem ein wenig und es ist perfekt." Ihre Reaktion und ihre zögerliche Art bereiteten ihm Sorge und er schaute sie fragend an. Die Antwort fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube.
"Keine falschen Hoffnungen...", wiederholte er langsam und sah zu, wie sie die Hand wegnahm. Im gleichen Moment kam er sich vor wie ein Idiot. Wie hatte er erwarten können, dass er jemals so ankommen würde wie seine Brüder? Dass irgendwann einmal sein Charakter und sein wacher Geist wichtiger sein könnte als sein Äußeres?
"Es ist die Hand, nicht wahr?", fragte er bitter. "Du brauchst mich nicht anzulügen aus Höflichkeit, es ist ja nicht so, als sei ich das nicht gewohnt." Aber er hatte geglaubt, sie wäre anders als all die anderen, oberflächlichen Menschen.
Es schien wohl so als müsse er sich damit abfinden, dass sein Leben nicht normal laufen konnte. Sein Vater hätte ihn ja auch niemals mitgenommen in diesen Krieg.

Laurine

Laurine konnte den Schmerz in Jonathans Augen lesen, die Enttäuschung über ihre Reaktion und eilig wandte sie den Blick ab. Sie biss sich auf die Unterlippe als sie seine bitteren Worte hörte und schüttelte den Kopf. "Es tut mir Leid." erwiderte sie leise. Wie hätte sie das aussprechen sollen? Wie hätte sie ihm sagen sollen, dass seine fehlende Hand ihr Unbehagen bereitete? Dass er ihr ein wenig unheimlich war mit diesem Stumpf?
Eilig wandte Laurine sich ab und lief beinahe den Weg zurück den sie gekommen waren, um den Garten und diese grässliche Szene hinter sich zu lassen.

Jonathan

Jonathan fühlte sich blamiert, als sie sich entschuldigte und sich hastig von ihm entfernte. Wütend über seine eigene Schwäche blinzelte er die Tränen weg und schlurfte den Weg entlang. Er hatte sich das alles so schön ausgemalt. Wie sie sich auf Spaziergängen besser kennenlernten und dass er ihr die Gegend zeigen würde. Dass sie ihn mögen würde. Aber wer mochte ihn schon?
Eine Weile wusste Jonathan nicht wohin mit sich, doch dann machte er sich auf den Weg zu seinem besten Freund. Alan war hier geblieben um Bordeaux zu schützen und weil er Jonathans einziger Freund war. Seine Geschwister zählten nun nicht wirklich.
Er klopfte an dessen Zimmer und wartete, bis er herein gebeten wurde. "Hast du Zeit für mich?", fragte er geknickt.

Alan saß in seinem Gemach und las in einem kleinen Buch, das Brian gestern angeschleppt hatte, und vertrieb sich damit ein wenig die Zeit. Die Entscheidung hier zu bleiben, war ihm leichter gefallen als er erwartet hätte, immerhin war auch Brian hier an seiner Seite und vor allem Jonathan zu Liebe hatte Alan die Entscheidung gerne getroffen. Er wollte seinen Schützling zum einen nur ungern alleine lassen und zum anderen wollte er das Risiko nicht eingehen, dass er womöglich in der Schlacht fiel. Alan lag wirklich viel an dem Jungen, fast so als wäre Jonathan sein eigener Sohn.
Als es an der Tür klopfte, bat Alan den Besucher herein und schlug das Buch zu als er Jonathan erkannte. "Aber sicher, Kurzer, komm rein und setzt dich." forderte er lächelnd auf, runzelte aber die Stirn als er Jonathans Miene sah. "Was ist passiert, hm? Du machst ein Gesicht als stünde uns das Ende der Welt bevor."

Jonathan

Jonathan biss sich auf die Unterlippe und schloss die Tür hinter sich. Er ließ sich auf einen der Sessel Alan gegenüber sinken und schwieg einen Moment nachdenklich.
"Findest du mich hässlich, Alan?", fragte er dann leise. Alan würde ihm wenigstens die Wahrheit sagen, sein bester Freund log ihn nicht einfach an.
"Du kennst doch Laurine, nicht? Ich..ich mag sie und ich habe mit ihr einen Spaziergang gemacht. Aber sie will nicht in meiner Nähe sein. Sie will keine falschen Hoffnungen wecken, sagt sie. Sie sagt es nur, weil sie höflich sein will. Ich weiß, dass sie mich nicht ansehen und Zeit mit mir verbringen will, weil ich ein Krüppel bin. Stephan hätte sie mit Vergnügen begleitet."

Alan beobachtete seinen jungen Freund als dieser sich auf einem der Sessel niederließ und schweigend vor sich hinstarrte. Er kannte Jonathan gut genug und wusste, dass der Junge schon von ganz allein zu reden beginnen würde, wenn er soweit war, also lehnte Alan sich ein wenig zurück und wartet.
Die Frage, die dann jedoch kam, sorgte dafür, dass Alan verwundert die Augenbrauen in die Höhe zog. "Hässlich? Nein, im Leben nicht. Wie kommst du auf so eine Idee?" erwiderte Alan und im nächsten Moment kam ihm ein Verdacht woher Jonathans düstere Stimmung kam.
"Laurine ... ja, doch, ihr Vater hat sie vor Kurzem her gebracht, nicht wahr?" Er erinnerte sich an das Mädchen. Ein zartes, hübsches Ding, aber Alans Vermutung nach nicht besonders tiefsinnig.
"Ah, daher weht also der Wind." murmelte Alan und betrachtete Jonathan einen Moment. "Nun, ich will ehrlich zu dir sein, womöglich hat sie deine fehlende Hand abgeschreckt, aber wenn dem so ist, ist sie ein oberflächliches, dummes Huhn. Möglicherweise kann sie nicht einmal was dafür, weil sie aus einer ländlichen Gegend kommt und ihr Vater sie bisher vermutlich von allem fern gehalten hat, was außerhalb der Burgmauern lag." erwiderte Alan. "Kurzer, Liebeskummer gehört zum Leben dazu. Egal ob man nun ein oder zwei Hände hat. Wenn ich zählen würde, wie oft ich abgewiesen worden bin ... herrje, ich wäre heut Abend noch nicht fertig. Aber das ist kein Grund über die Maßen betrübt zu sein und aufzugeben. Irgendwann begegnet man dem Menschen, der einen ansieht und direkt in deine Seele hineinblickt, der dich so sieht, wie du tief in dir drin bist und nur das zählt. Es mag lange dauern bis du diesen Menschen triffst, aber irgendwann ist es soweit. Glaub mir." erklärte Alan ruhig.

Jonathan

"Wie ich auf die Idee komme? Ich höre es ja nun wirklich oft genug und ich sehe es in den Blicken der Menschen, wie abstoßend sie mich finden." Und das tat jedes Mal aufs Neue weh, auch wenn er sich immer versuchte dagegen zu wappnen.
"Vielleicht ist sie das wirklich. Aber ich dachte, sie wäre anders. Sie ist so schön und sanft...und dann sieht sie mich auch so an." Er kämpfte zwecklos gegen die aufsteigenden Tränen an. "Ich will doch einfach nur eine Chance. Wenn ich eine gerechte Chance bekäme, könnte ich beweisen, dass ich genauso charmant sein kann wie meine Brüder. Doch sobald sie wissen, dass mir eine Hand fehlt, wollen sie mich schon gar nicht mehr wirklich kennenlernen. Aber wer würde mich auch schon haben wollen? Es ärgert mich, dass ich selbst immer wieder auf solch dämliche Hoffnungen hinein falle. Ich weiß doch, dass sich daran nichts ändern wird."
Jonathan schaute Alan geknickt an und schüttelte dann den Kopf. "Woher willst du das wissen? Du hast diesen Menschen selbst nicht gefunden, oder? Und du bist viel älter als ich."

"Und das nur, weil so viele Menschen dumme Schafe sind, die nicht über ihren Tellerrand hinweg sehen können. Sie verstehen einfach nicht, dass nichts dabei ist, anders zu sein, im Gegenteil, dass einen das doch erst auszeichnet." erwiderte Alan mit leisem Seufzen.
Alan spürte einen Stich im Herz als er die Tränen in Jonathans Augen sah. Er lehnte sich vor und strich dem Jungen durch den Schopf. "Hey, Kurzer ... ist ja schon gut." murmelte Alan und legte dann einen Arm um Jonathans schmale Schultern. "Du wirst deine Chance schon kriegen. Sieh mal, du bist gerade einmal dreizehn Jahre alt, du hast noch so viel vor dir. Du wirst bald nach Bologna gehen und dann allen beweisen, was in dir steckt. Spätestens dann werden sie die Augen öffnen und begreifen, dass deine fehlende Hand keine Rolle spielt."
Im nächsten Augenblick schalt Alan sich einen Dummkopf. Er hätte wissen müssen, dass Jonathan diese Frage stellen würde, der Junge war viel zu clever, um über so etwas hinweg zu gehen, um solche beruhigenden Worte einfach anzunehmen ohne sie zu hinterfragen.
Alan schloss kurz die Augen und atmete tief durch. "Tja, weißt du, bei mir ist diese Sache ein wenig komplizierter. Aber ich weiß es, vertrau mir." erwiderte Alan, um wenigstens noch etwas Zeit zu schinden. Er musste nun abwiegen, ob er Jonathan eine Lüge auftischen wollte oder ob er ihm die Wahrheit über sich offenbaren sollte.

Jonathan

Jonathan nickte traurig. "Ja, so ist es wohl. Anders zu sein bringt nur Kummer, Alan. Schon seit meiner Geburt. Ich habe sogar meiner Mutter Kummer bereitet, weil ich anders bin. Weil mein Vater mich nicht wollte."
Er seufzte schwer und lehnte sich dann an Alan, als dieser seinen Arm um ihn legte. "Ich hoffe, du hast Recht. Ich will ihnen beweisen, dass ich auch etwas wert bin. Dass ich kein unnützer Krüppel bin. Vater würde mich niemals mitnehmen in seinen Krieg, ich wäre nicht zu gebrauchen. Aber wenn ich in Bologna war, kann er mich vielleicht brauchen."
Jonathan hob die Augenbrauen. "Komplizierter? Warum das? Du bist ein Ritter, siehst gut aus, die Frauen müssten dir zu Füßen liegen. Da ist doch sicher auch die dabei, von der du gesprochen hast. Wie willst du etwas sonst wissen, von dem du mir erzählst, als würdest du es kennen?"

Alan starrte Jonathan verblüfft an, hatte er doch nicht geahnt, dass der Junge von seinem so komplizierten Start ins Leben wusste, dann grinste er jedoch schief. "Weil dein Vater auch ein Dummkopf ist. Das ist ja nichts Neues. Aber deine Mutter hat Recht daran behalten, dass sie um dich gekämpft hat. Du bist einer der anständigsten Menschen, die ich kenne."
Alan drückte aufmunternd Jonathans Schulter. "Und das wirst du ihnen beweisen. Du wirst alle in Staunen versetzen mit dem, was du in Bologna zu Stande bringst, davon bin ich überzeugt."
Alan sah seinen Schützling an und traf seine Entscheidung letztlich doch in weniger als einem Augenblick. Er hatte Jonathan noch nie angelogen und das würde er auch jetzt nicht tun. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und atmete tief durch.
"Tja weißt du, womöglich tun sie das auch, aber ... es ist keine Frau, der mein Herz gehört." erwiderte Alan mit einem schiefen grinsen. "Wenn ich dir sage, dass ich weiß, wie es ist, wenn man anders ist, dass ich mit dir fühlen kann, dann, weil es so ist, weil ich anders bin als die Menschen mich gerne hätten. Nur dass man es mir, im Gegensatz zu dir, nicht auf den ersten Blick ansieht. Was es aber auch nicht leichter macht." Alan seufzte leise. "Ich habe den Menschen gefunden, der mich so liebt wie ich bin und mit dem es mir genau so geht. Nur muss ich das vor aller Welt geheim halten, weil es nun einmal keine Frau ist, sondern ein Mann." schloss Alan und beobachtete Jonathan aufmerksam, neugierig, wie sein Schützling auf diese Offenbarung reagieren würde.

Jonathan

Jonathan zuckte mit den Schultern. "Mutter hat es mir vor einiger Zeit erzählt. Sie wollte nicht, aber wir haben darüber gesprochen, als ich fragte."
Er lächelte schief. "Danke, dass du das sagst, Alan. Manchmal glaube ich, du bist der Einzige, der mich wirklich versteht. Ich werde versuchen besser zu sein als sie alle, wenn ich in Bologna bin. Ich will, dass Vater wenigstens einmal stolz auf mich ist."
Jonathan war mehr als verwirrt, als Alan weitersprach. "Keine Frau..." Nur langsam begriff er. "Du liebst einen Mann?!" Das war nun wirklich dermaßen außergewöhnlich, dass er es kaum glauben konnte. Aber er begriff, dass Alan besser als jeder Andere wusste, wie es war anders zu sein. Neugierig schaute er Alan an. "Wer ist es? Kenne ich ihn? Du verstehst mich in der Tat besser, als ich dachte. Und ich...ich bin so froh darüber."

"Ach Kurzer, er ist doch stolz auf dich. Dein Vater ist kein großer Held darin solche Dinge nach außen zu tragen, dafür hat er ein viel zu gestörtes Verhältnis zu seinem eigenen Vater, wie wir an diesem elenden Krieg ja gut sehen können. Aber er liebt dich und er ist stolz auf dich, wirklich."
Alan stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und beobachtete Jonathans Mienenspiel, während der Junge begriff, was Alan ihm gerade offenbart hatte. Mit einem schiefen Grinsen nickte er. "Das tue ich." bestätigte er. "Du siehst also, wir sind beide Sonderlinge in den Augen der Anderen."
Alan schmunzelte über die Neugierde seines Schützlings und spürte gleichzeitig wie ihm warm ums Herz wurde. Er hatte nie geglaubt, dass Jonathan ihn für diese Offenbarung verstoßen würde, dafür wusste der Junge zu gut, wie es war anders zu sein. Trotzdem erleichterte es Alan ungemein, dass Jonathan es nun wirklich so leicht aufnahm. "Ja, du kennst ihn. Es ist Brian. Und mit ihm war es genau so, wie ich es dir gesagt habe, wir haben uns an seinem ersten Tag hier gesehen und von Anfang an bestand eine Verbindung zwischen uns, etwas, das man gar nicht mit Worten beschreiben kann."

Jonathan

Jonathan verzog leicht das Gesicht. "Ich weiß. Und ich weiß, er liebt mich. Aber warum sollte er stolz auf mich sein? Ich bin kein guter Kämpfer, ich bin nicht, wie er sich einen Sohn vermutlich wünscht. Ich kann nichts leisten, was ihm gut genug wäre."
Aufmerksam lauschte er Alans Worten und spürte dessen Erleichterung deutlich. Ob er Angst vor seiner Reaktion gehabt hatte? Sicher, es war befremdlich. Aber nicht befremdlicher als er. Er war nicht Gott, er würde nicht urteilen.
"Brian? Das hätte ich nicht gedacht. ich wusste, ihr seid Freunde. Aber das...." Er lächelte leicht. "Ihr passt gut zusammen, wenn ich so darüber nachdenke. Ich freue mich für dich, dass du ihn gefunden hast." Er zweifelte allerdings wirklich daran, dass ihn jemand haben wollte.
"Ich bin so froh, dass ich wenigstens dich habe. Du bist manchmal mehr Vater als mein eigener, auch wenn ich ihn sehr liebe."

Alan hob die Schultern. "Wieso sollte er es nicht sein? Du bist ein kluger Kopf, klüger als deine Geschwister und - auch wenn er das nie zugeben würde - klüger als dein Vater. Es gibt so viele Dinge auf die man stolz sein kann, nicht nur Muskelkraft. Du bist zum Beispiel auch unheimlich geschickt und hast eine Ausdauer, um die dich viele beneiden würden." erwiderte Alan ernst.
Er lächelte leicht. "Ja, man lernt mit der Zeit solche Dinge möglichst geheim zuhalten. Es ist anstrengend, aber so kann ich wenigstens bei ihm sein, wann immer wir Zeit für einander finden. Besser im geheimen als ganz aufeinander verzichten zu müssen." Alan betrachtete Jonathan nachdenklich und bei den nächsten Worten, die sein Schützling äußerte, wurde Alans Blick unendlich sanft. "Es freut mich, dass du so von mir denkst." erwiderte er leise. "Für mich warst du auch immer schon wie der Sohn, den ich nie haben werde." gestand Alan schließlich.

Jonathan

Jonathan errötete leicht. "Ich glaube nicht, dass er das so zu schätzen weiß wie du. Meine Geschwister sind alle...so perfekt. Sie sind ja schließlich nicht dumm. Sie sind gescheit, gut aussehend und stark. Aber ich werde versuchen mir deine Worte zu Herzen zu nehmen. Schön, dass du mich so siehst. Es tut gut, dass wenigstens einer meine guten Seiten sieht."
Er nickte langsam.
"Ich kann dich verstehen. Besser ein wenig Zeit als gar keine Zeit, auch wenn ihr so vorsichtig sein müsst. Wissen meine Eltern davon, Alan?"
Er schloss seinen Mentor in eine herzliche Umarmung.