William und Joanna - ab 1182 bis 1183

Mary schnaubte verächtlich. "Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Gerard, ich habe gründlich genug gefragt, aber geh nur und lass dir die Ohren vollquasseln mit irgendwelchem Unfug, der doch nichts bringt." erwiderte sie und verengte die Augen. "Und ich habe dir schon einmal gesagt, wenn du ein stilles Mäuschen an deiner Seite willst, hättest du mich nicht heiraten dürfen." gab Mary bissig zurück, wenngleich seine Worte sie ungemein verletzten.
"Ja, besser du gehst. Sonst sagen wir beide noch mehr, was wir später bereuen und ich brauche endlich ein wenig Ruhe. Auch wenn es dir egal ist, weil es ja nur eine Tochter ist, habe ich dennoch gerade eine recht anstrengende Niederkunft hinter mir."

Gerard hatte einige Zeit gebraucht um sich zu beruhigen und wieder einmal bereute er seine Reaktion. Er konnte es nicht kontrollieren, was aus ihm herausbrach, wenn er mit starken Gefühlen konfrontiert war. Wie mit seiner Enttäuschung, wieder keinen Erben bekommen zu haben.
Also hatte er Mary einige Stunden Ruhe gegönnt und nun saß er wieder an ihrer Bettkante, betrachtete sie versonnen und wartete darauf, dass sie aus ihrem kleinen Erholungsschlaf erwachte.
Er hatte mit ihr zu reden... Was für eine hübsche Frau er doch hatte! Warum verwehrte Gott ihnen denn nur das perfekte Glück und schenkte ihnen nur Mädchen?

Nachdem Gerard gegangen war, hatte Mary sich ein klein wenig mit Hilfe ihrer Tochter abgelenkt und nachdem die Kleine gestillt war, waren ihr die Augen zugefallen, so dass Mary sie in ihre Krippe gelegt hatte, um selbst ein wenig zu schlafen.
Es war ein tiefer, erholsamer Schlaf gewesen und schon beim Aufwachen merkte Mary, wie gut ihr diese Ruhe getan hatte. Sie gähnte leicht und schlug die Augen auf - nur um direkt in die Augen ihres Mannes zu sehen, der auf der Bettkante saß und sie beobachtete.
Und obwohl sie sich fast selbst dafür hasste, dass sie so leicht nachgab, spürte sie, wie ihre Zuneigung für Gerard sie fast überwältigte. Sie konnte in seinem Blick sehen, dass er ihren Streit bereute und es war ihr fast unmöglich ihm noch weiter böse zu sein.
"Schämt du dich nicht? Eine arme Frau so schamlos beim Schlafen zu beobachten?" fragte sie sanft, wenngleich noch ein klein wenig verschlafen.

Gerard wartete, bis Mary erwacht war und musste dann ein wenig lächeln. Das war so typisch Mary und sie wirkte nicht, als sei sie ihm noch sonderlich böse.
"Nun, immerhin bist du nicht nur eine Frau, sondern meine Frau. Daher denke ich,ist das nicht ganz so dramatisch, oder?", erwiderte er mit einem schwachen Grinsen.
"Hör zu, es tut mir leid...ich war so enttäuscht, aber ich hätte mich besser beherrschen müssen. Es ist nicht deine Schuld, dass ich keinen Sohn habe."
Er hatte zwar Schwierigkeiten sich jetzt näher mit der Kleinen zu befassen, aber immerhin dulden würde er sie.

Gegen ihren Willen musste Mary lächeln. "Nun, möglicherweise hast du Recht." erwiderte sie und setzte sich auf. Aufmerksam hörte sie Gerard zu und seufzte leise. "Ja, das hättest du." gab sie nüchtern zurück, zögerte noch einen Moment, um es ihm nicht noch leichter zu machen, rückte dann jedoch dicht an Gerard heran und legte den Kopf an seine Schulter.
"Ich schätze, wenn du so einsichtig bist, muss ich dir wohl verzeihen." bemerkte Mary und strich Gerard mit der Rechten über die Brust, während sie den Linken Arm um seine Taille legte. "Ich weiß, dass es dir manchmal schwer fällt, aber versuch einfach dich ein wenig zu beherrschen, hm?"
Sie sah auf und gab Gerard einen Kuss auf die Wange. "Es ist niemandes Schuld, Gerard. Weder meine, noch deine. Ich wünsche mir ebenfalls einen Sohn, aber Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben uns unsere drei Mädchen zu schenken. Versuch einfach sie nicht als Strafe zu sehen, sondern als Geschenk." Sie küsste ihn sachte auf die Lippen und ließ die ihren dann zu seinem Ohr wandern. "Und wir bekommen schon noch einen Sohn, du wirst sehen. Und dann wird es nicht bei einem bleiben, da bin ich sicher. Ich werde dir eine kleine Schar von Söhnen schenken, wenn es das ist, was dein Herz begehrt."

Gerard nickte schuldbewusst. "Es tut mir sehr leid...aber ich kann es einfach nicht kontrollieren. Wenn mich etwas aufregt, bin ich so aufbrausend...Ich wünschte, ich hätte es besser im Griff, aber ich weiß nicht wie."
Er legte den Arm um seine Frau und seufzte. "Ich versuche es wirklich, versprochen. Aber ich weiß nicht, wie."
Gerard lauschte ihren Worten und ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. "Zwei würden fürs erste genügen, aber mir soll es recht sein.", erwiderte er liebevoll. "Ich weiß nicht, Mädchen machen einem einfach viel mehr Ärger. Man muss sie zu anständigen Frauen erziehen, sie müssen dieses und jenes lernen, obwohl sie keine Lust haben und einem deswegen nur graue Haare bescheren. Und irgendwann muss man sie verheiraten und da gibt es meistens auch wieder nur Ärger."

Mary schmiegte sich vertrauensvoll an ihren Mann und strich sanft über seine Brust. "Ich weiß, ich weiß. Wir arbeiten einfach daran, ja? Und ich sollte mich wohl auch ab und an ein wenig zusammen reißen." erwiderte sie zärtlich. Sie musste es ihm ja nicht unnötig schwerer machen.
Mary lächelte. "Dann sollen es zwei fürs Erste sein." erwiderte sie und lachte dann. "Aber Jungen sind so viel einfacher? Ich glaube kaum. Wenn ich überlege, wie viel Ärger meine Brüder manchmal gemacht haben." Sie grinste schelmisch. "Außerdem ist es ja meine Aufgabe sie anständig zu erziehen, darüber sollten dir nun wirklich keine grauen Haare wachsen. Du musst sie später, wenn sie alt genug sind, nur an anständige Männer verheiraten." Mary streckte sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. "Das schaffen wir schon."

Gerard nickte ein bisschen geknickt. "Ich werde mir Mühe geben, versprochen." Und wenn Mary sich bemühte ihn nicht zu provozieren, würden sie das schon hinbekommen.
"Ich finde schon. Aber vielleicht hast du Recht. Vielleicht kann ich sie aber nur besser verstehen, weil ich selbst einmal so war, verstehst du?" Und er sehnte sich danach jemanden zu haben, dem er all das hier ruhigen Gewissens vererben konnte.
"Anständige Männer dafür zu finden wird wohl auch eine größere Sache werden. Aber um mir darüber Gedanken zu machen habe ich ja noch eine ganze Weile Zeit."

James ließ den Blick schweifen, wie lange er nicht hier gewesen war ... und er freute sich so einmal wieder zu Besuch zu sein. Seine Mutter war hier, Cathie und natürlich Alan, wie sehr er sich freute die drei wieder zu sehen. Wie viel sich in der Zeit verändert hatte, es erstaunte ihn selbst immer noch gewaltig.
Er stieg vom Pferd und übergab die Zügel bereitwillig einem Stallburschen, Dann wandte er sich Richtung Burgfried. Langsam und bedacht ging er über den Hof, strich beiläufig seine Kutte ein wenig glatt und atmete durch. Wie viel er auch zu erzählen hatte.

Alan war schon den ganzen Tag furchtbar aufgeregt, denn James hatte sein Kommen angekündigt. Über ein Jahr hatten sie sich nicht gesehen und Alan hatte ihn wirklich vermisst, auch wenn er hier wirklich viel gelernt hatte. Besonders Cedric hatte ihm über die Zeit hinweg geholfen.
Langsam trat der junge Mann hinaus in den Hof und ein paar zögernde Schritte auf den Neuankömmling zu. Er schluckte schwer, unsicher. Was, wenn James sich sehr verändert hatte? Und er sah anders aus, größer, ein bisschen breiter und immer noch schlank. Aber sein Gesicht war etwas reifer geworden.
"James...."

James Blick hellte sich auf als er Alan entdeckte, der aus der Burg trat und über den Hof kam. Er verlängerte seine Schritte, eilte nun fast über den Hof und als er seinen Freund erreichte, zog er Alan fest an sich. "Alan, bei Gott! Endlich." Er drückte ihn freundschaftlich an seine Brust und gab ihn dann wieder frei, ließ die Hände aber auf seinen Schultern ruhen. "Sieh dich an, meine Güte! Gut siehst du aus .... wie geht es dir, erzähl?" Sie hatten sich zwar regelmäßig geschrieben, aber das war doch etwas anderes. Und von James Diakonweihe wusste Alan auch noch nichts.
Er musste lachen als er seinen Freund so vor sich hatte. "Du lässt dir einen Bart stehen! Junge, Junge ... ich glaube, wir haben uns wirklich viel zu erzählen, was?" neckte er leise.

Alan erwiderte James' Umarmung herzlich. Es tat unendlich gut ihn wieder in den Armen zu halten, die Zeit war lang geworden und er hatte ihn sehr vermisst, aber auch oft genug gezweifelt. An James, an sich selbst, an ihrer Zukunft.
"Es wurde Zeit." Er musterte James genauso wie dieser ihn. "Das kann ich zurück geben, du bist nochmal gewachsen. Es geht mir gut, wirklich. Meister Lorenzo ist ein hervorragender Lehrer und Künstler, ich lerne sehr viel."
Er grinste.
"Ja, damit sticht man zwischen den ganzen Engländern hier nicht so heraus. Ich glaube auch, es gibt viel zu berichten. Lass uns hinein gehen. Deine Mutter und Cathie brennen auch darauf dich zu sehen."

James lachte und nickte dann. "Das bin ich wohl. Als ich Kardinal Rizzoli wieder gesehen habe, meinte der, es sei unmöglich, dass ich in einem Jahr so viel wachsen konnte." berichtete James amüsiert und lächelte dann erleichtert. "Das hört man gern. Ich hatte manchmal wirklich Sorge, dass du dir hier verloren vorkommst ...Truro ist im Vergleich zu York und Rom ja doch sehr beschaulich."
James betrachtete Alan noch einmal eingehend und ließ dann die Hände sinken, schüttelte langsam den Kopf. "Die in solcher Kleidung zu sehen, ist doch noch etwas gewöhnungsbedürftig." bemerkte James ein wenig belustigt. "Du willst deine Geistliche Laufbahn also wirklich gänzlich aufgeben, hm?" fragte er, während sie beide sich Richtung Burg wandten.
Bei der Erwähnung von seiner Mutter und Cathie leuchteten seine Augen auf und er seufzte kurz. "Ich freue mich auch schon darauf sie wiederzusehen." bekannte er offen.

"Oh, du hast Rizzoli wieder gesehen? Wie geht es ihm?" Alan schüttelte leicht den Kopf. "Am Anfang ein bisschen...aber Cathie hat mich sehr herzlich aufgenommen, Lorenzo auch und Cedric ist mir ein guter Freund geworden. Er hat mir sogar ein bisschen Harfe spielen beigebracht, kannst du dir das vorstellen? Ich fühle mich ganz gut so."
Er grinste flüchtig.
"Möglich, aber man gewöhnt sich schnell daran. Ich finde es deutlich angenehmer als eine Kutte. Ich weiß nicht, ob ich sie aufgeben will. Vielleicht schon. Je nachdem, wohin es mich verschlägt." Alan nickte. "Möchtest du zuerst mitkommen und ein bisschen reden und ausruhen oder möchtest du sie erst begrüßen?"

James nickte. "Er war in Bologna kurz bevor ich von dort aufgebrochen bin. Es geht ihm gut, er sprüht voller Tatendrang und man merkt ihm sein Alter wahrlich nicht an." erklärte James mit einem Lächeln. "Das freut mich wirklich zu hören, du hast es mehr als verdient, einen Ort zu finden an dem du dich wohl fühlst. Dabei fällt mir ein ... deine Hand ist wieder völlig in Ordnung?" fragte er nach und warf einen Blick auf Alans Hände. Sein Freund hatte ihm von dessen Auseinandersetzung mit seinem Vater erzählt und James hatte sich wirklich Sorgen um Alan gemacht. "Harfe? Wirklich? Du musst mir etwas vorspielen, ich bitte dich!" drängte James dann aufgeregt.
Bei Alans Worten ließ James den Blick an sich herab gleiten. Er trug wie immer seine Kutte und darüber einen dicken, warmen Mantel, um die Kälte abzuhalten. Er schnitt eine leichte Grimasse und sah Alan wieder an. "Tja, in dem Punkt sind wir wohl mittlerweile unterschiedlicher Meinung." bemerkte er und zögerte kurz. "Ich denke, ich begrüße die beiden später. Wenn ich erst einmal bei ihnen bin, komme ich ja doch nicht mehr weg." erwiderte er dann lachend.

Alan lächelte. "Das freut mich sehr. Rizzoli ist ein guter Kerl und du warst sowieso immer schon sein Liebling." Er nickte zustimmend. "Ja, manchmal kribbelt sie ein bisschen, als wäre sie eingeschlafen. Aber ich kann sie normal benutzen. Sie tut ihren Zweck. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich sonst hätte machen sollen. Aber natürlich spiele ich dir nachher etwas vor. Auch wenn ich nicht so gut bin wie Cedric, inzwischen ist es recht annehmbar geworden."
Alan machte eine auffordernde Geste. "Dann komm. Lass uns zu mir gehen und etwas trinken, ein bisschen reden." Er führte James hinauf in sein Gemach.
"Setz dich."

James grinste ein wenig verlegen. "Nun übertreibst du aber." widersprach er halbherzig, denn in gewisser Weise hatte Alan Recht, der Kardinal hatte ihn seit er nach Rom gekommen war immer sehr gefördert und sich letztlich auch dafür eingesetzt, dass er nach Bologna gehen konnte, um dort zu studieren.
"Solange du sie wieder ohne Einschränkung nutzen kannst. Das ist doch das Wichtigste. Und mir ist es egal, wie gut Cedric spielt, ich will dir zuhören, Alan." erklärte James.
Als sie Alans Gemach erreichten, sah James sich kurz um und musste lächeln als er die ganzen Malutensilien sah und auch eine kleine Harfe, die auf dem Tisch stand. "Klein, aber fein. Du hast es dir hier sehr wohnlich gemacht." bemerkte er, überging aber Alans Aufforderung sich zu setzen.
Zögernd stand er in der Mitte des Raumes und sah seinen Freund an. Hier, alleine mit Alan in diesen vier Wänden, fühlte James sich mit einem Mal ein wenig unsicher. Was erwarteten sie beide eigentlich von einander? Wie sollten sie weiter machen?
"Du hast mir wirklich wahnsinnig gefehlt, Alan." bekannte James dann leise.

Alan schüttelte leicht den Kopf. "Du weißt, dass ich nicht übertreibe. Aber es ist ja auch egal. Ich denke mittlerweile, das war nie mein Weg. Gott hat mir nicht umsonst dieses Talent gegeben. Ich bin als Künstler besser aufgehoben. Und keine Sorge, ich spiele dir nachher etwas vor."
Er beobachtete James dabei, wie dieser sich in seinem Zimmer umsah. "Ja, ich fühle mich auch durchaus wohl hier. Alle sind freundlich zu mir und freuen sich über meine Bilder."
Joanna hatte ihm sogar einen kleinen Lohn dafür gezahlt, dass er ein hübsches Bilderbuch für die Kinder zeichnete.
Auch Alan war unsicher, wie er sich verhalten sollte und kam einen Schritt näher, sah James lange an. "Du mir auch. Ich habe dich sehr vermisst und mich gefragt, wann wir uns wieder sehen. Meistens habe ich mich durch Zeichnen abgelenkt.", erklärte er und deutete flüchtig auf die Mappe auf dem Tisch.

James grinste. "Ich habe dir ja schon immer gesagt, dass du das Zeichnen um keinen Preis aufgeben darfst. Du bist wirklich talentiert ... Gott schenkt nun einmal jedem eine passende Gabe, nicht wahr?" Wenngleich er ein wenig bedauerte, dass sie ihre Ausbildung nicht mehr gemeinsam fortsetzten konnten. Allerdings war ihm das im Grunde schon klar gewesen als er nach Bologna gegangen war.
"Das ist schön, ich denke, hier hast du wirklich einen guten Platz, um dich ein wenig auszuleben und wenn du von Lorenzo so viel lernen kannst, wie du sagst ..."
Als Alan etwas näher trat, gab James sich einen Ruck, überbrückte die Distanz zwischen ihnen und zog Alan noch einmal an sich. Dieses Mal ein wenig inniger, ein wenig länger und James vergrub dabei für einen Moment das Gesicht an Alans Schulter. "Ich wäre so gerne schon viel früher gekommen, aber es ging nicht." murmelte er und strich Alan durch die Haare. "So oft habe ich mir gewünscht, wieder bei dir sein zu können ..." James seufzte leise und löste sich dann wieder von Alan als dieser auf den Tisch wies. "Sind das deine Bilder? Darf ich sehen?" fragte er neugierig.

Alan lächelte. "Ja, Cedric sagt das auch. Es sollte wohl einfach nicht sein, dass ich Geistlicher werde. Und weißt du...seit mein Vater weg ist, fühle ich mich zum ersten Mal wirklich frei. Ich tue, was ich für richtig halte. Es ist ein unglaubliches Gefühl. Ausleben ist das passende Wort. Es tut gut."
Er war fast ein wenig überrascht, aber auch sehr glücklich, als James ihn in seine Arme zog. Er strich über dessen Rücken und genoss für einige Momente die innige Nähe.
"Ich habe schon befürchtet, du würdest niemals mehr kommen. Aber jetzt bist du endlich hier. Jetzt sind wir erst einmal wieder zusammen. Wie lange kannst du bleiben?"
Als James die Bilder sehen wollte, nickte er. "Ja, es sind meine und du darfst sie dir ansehen." Zu spät fiel ihm ein, welches Bild sich darin noch befand.

"Ja, vermutlich hast du Recht. Deine Bestimmung ist einfach eine andere. Wenngleich es mir fehlen wird, dass wir unsere Ausbildung nicht gemeinsam fortsetzen." erwiderte James.
Erleichterung machte sich in James' breit als Alan über seinen Rücken strich - also waren sie sich nicht völlig fremd geworden, sie waren immer noch vertraut miteinander. "Ja, jetzt bin ich endlich hier. Hm, ich weiß noch nicht genau. Ein Weilchen in jedem Fall." erklärte James und lächelte strahlend. "Wundervoll, ich bin wirklich gespannt. Nutzt du die Sachen noch, die ich dir geschenkt habe? Oder brauchtest du mittlerweile schon neue?" erkundigte er sich und wandte sich zum Tisch.
Er griff nach der Mappe und schlug sie auf, begutachtete die Bilder darin. "Meine Güte, Alan, die sind wunderschön!" stellte er andächtig fest, während er die Bilder durchsah.
Dann mit einem Mal stockte er und blinzelte überrascht. Mit solch einem Bild hatte er nun absolut nicht gerechnet. James schluckte schwer und zog es mit bebenden Fingern hervor. "Bei allen Heiligen, Alan, was ... das ist der Spielmann, nicht wahr? Du hast Cedric gezeichnet ..." wisperte er und sah von dem Bild in seinen Händen zu Alan hinüber. Seine Kehle wurde eng und sein Magen flau als sich nach und nach die Bedeutung dieses Bildes zu offenbaren schien. "Was hat das zu bedeuten?" fragte er mit rauer Stimme und fürchtete sich insgeheim vor der Antwort. Er erinnerte sich noch genau daran, wie Alan ihn gezeichnet hatte und das mit freiem Oberkörper. Etwas, das für seinen Freund damals bereits eine Herausforderung gewesen war. Und nun hielt er ein Bild in den Händen auf dem ein anderer Mann vollkommen entblößt zu sehen war ... James hatte Mühe sich ein Szenario vorzustellen, bei dem dieses Bild nicht zu seinen Lasten ging. Er hatte gedacht, dass er die Vertrauensperson in Alans Leben war, dass etwas besonders zwischen ihnen war, dass sie ... dass sie sich liebten. Und jetzt kam er nach etwas mehr als einem Jahr zurück und musste feststellen, dass sich doch einiges verändert zu haben schien. War die Zeit wirklich schon zu lang für sie beide gewesen? Waren sie an dieser vergleichbar kleinen Probe schon gescheitert?
Oh Gott im Himmel, schickst du mir gerade ein Zeichen? Willst du mir vor Augen führen auf was für einem Irrweg ich mich begeben habe? Aber musste es auf diese Weise sein?

Alan nickte langsam. "Ja, schon. Aber es tut mir gut diese Begabung auszuleben. Besonders, seit ich frei bin von meinem Vater. Lorenzo ist ein hervorragender Lehrer. Er ist streng und sehr kritisch, aber genau das hilft einem sich weiterzuentwickeln.", erklärte er überzeugt. "Es war gut herzukommen. Und natürlich benutze ich sie noch. Einige Farben musste ich zwar auffüllen, weil sie leer waren, aber der Rest gehört nach wie vor zu meinen liebsten Utensilien." Er lächelte leicht verlegen über James' Lob und lief dann rot an, als James natürlich besagtes Bild entdeckte. Das war nicht gut. Warum nur hatte er es behalten? Er hätte es Cedric geben sollen.
Er schluckte schwer. "Ja, das ist Cedric.", sagte er dann ein bisschen heiser. "Es war der erste Versuch nach der Verletzung meiner Hand. Cedric war mir in all der Zeit ein treuer Freund. Er hat mich immer unterstützt und mir neue Wege gezeigt. Er hat mir geholfen - neben deiner Mutter - mich von den Fesseln meines Vaters zu befreien. Und ich habe wirklich viel von ihm gelernt...in vielen Bereichen. Er hat mir dinge gezeigt, von denen ich geglaubt hatte, dazu niemals in der Lage zu sein. Es war nicht wie mit dir. Das würde es auch niemals sein. Es hat für mich nichts geändert. Mir nur ein bisschen die Augen über die Welt geöffnet.", bekannte er dann leise und hoffte inständig, dass James ihn verstehen würde. Dass er ihm das nicht übel nahm.

James nickte zufrieden. "Das klingt gut. Also war es keine schlechte Idee von mir, dich hier her zu vermitteln, was?" er lächelte schief, doch seine Augen leuchteten auf als Alan berichtete, dass er die Sachen noch immer nutzte.
Die Freude über all diese Dinge war angesichts dieses verfluchten Bildes jedoch schlagartig verschwunden. "Dein erster Versuch? Nach deiner Verletzung hast du als erstes Cedric gezeichnet? Nackt?" wiederholte James entgeistert. War das wirklich noch der Freud von dem er sich vor etwas mehr als einem Jahr verabschiedet hatte? Das war doch schier unmöglich.
"Ein treuer Freund, ja, so sieht es auch aus." erwiderte James verletzt und legte das Bild wieder auf den Tisch. "Nein, wie mit mir war es offensichtlich wirklich nicht, so weit wärst du mit mir nie gegangen." warf er Alan vor und knirschte mit den Zähnen. "Ein Jahr, Alan. War das wirklich zuviel verlangt? Wie lange hat es gedauert bis du zu ihm ins Bett gestiegen bist, hm? Ich habe so sehnsüchtig darauf gewartet und mich zusammen genommen um dich nicht zu bedrängen und das ist nun der Dank?" James schluckte und wandte sich ab. Er trat ans Fenster und starrte hinaus, blinzelte wütend, weil sich Tränen in seine Augen stahlen. Dann wanderte seine Hand, wie ohne sein Zutun, zu seiner Brust und fand die vertrauten Konturen unter der Kutte. Er strich langsam über das Kreuz, holte die Kette dann hervor und umschloss sie mit der Rechten. Das war auch etwas, das er Alan hatte zeigen wollen ... das Kreuz, dass er von Rizzoli anlässlich seiner Weihe zum Diakon bekommen hatte. Er war so stolz darauf gewesen ... aber vielleicht war auch das ein Fehler gewesen, er hätte auf solch weltlichen Tand nicht stolz sein dürfen. Genauso, wie er sein Herz nicht an jemand anderen hätte hängen dürfen ...

"Nein, war es nicht." Alan schüttelte ein bisschen unwirsch den Kopf. "Ja, habe ich. Es hat sich...einfach ergeben. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie es mir ging mit der Angst, die Hand nie wieder gebrauchen zu können."
Er verstand nicht, was James für ein Problem damit hatte, dass er ein bisschen Erfahrung gesammelt hatte. Das konnte für ihn doch nur von Vorteil sein.
"Woher willst du das wissen? Woher? Was ich brauchte, waren Zeit und Verständnis. Und als es mit uns soweit kam, dass ich anfing mich darauf einzulassen, bist du fortgegangen. Ein Jahr, genau. Falls ich dich erinnern darf, warst du derjenige, dem seine Karriere wichtiger war als ich. Du bist nach Bologna gegangen statt den Weg mit mir weiterzugehen. Ich wollte dir nicht im Weg stehen, James. Und ja, das war viel verlangt. Denn du warst nicht hier, als ich dich gebraucht hätte. Also sei nicht so selbstgerecht und verurteile mich, weil jemand Anderes hier war und mir ein Freund war. Du solltest mich auch besser kennen, als anzunehmen, dass ich gleich mit jedem ins Bett gehe. Cedric war monatelang einfach da. Und dann irgendwann....ist es eben passiert. Er hat mich nach allen Regeln der Kunst verführt und ja, ich habe mich darauf eingelassen. Es war eine neue Erfahrung und erst wollte ich auch nicht. Aber dann dachte ich, es würde uns vielleicht gut tun, wenn ich nicht mehr so...verklemmt bin, wenn du zurück kommst. Glaubst du, ich habe nicht sehnsüchtig gewartet? Das eine hat doch mit dem Anderen nichts zu tun. Francesco war auch nur eine körperliche Sache für dich, oder?"
Etwas verletzt verschränkte er die Arme. "Der Dank für was? Dass du mich nicht bedrängt hast? Bist du nur darauf aus mit mir ins Bett zu gehen oder warum ist das plötzlich so ein Problem für dich, James? Ich will das nicht glauben. Ich dachte wirklich, ich würde dir etwas bedeuten. So wie du mir etwas bedeutest."

"Ich kann es mir vorstellen und ich habe mir unglaubliche Sorgen um dich gemacht. Jeden Tag habe ich dich in meine Gebete eingeschlossen und nachdem du mir von deiner Hand geschrieben hattest, habe ich Gott täglich darum gebeten, er möge dir helfen." erwiderte James trocken.
James' Augen weiteten sich entsetzt bei Alans nächsten Worten. "Ich habe mit dir darüber gesprochen und du hast selbst gesagt, ich solle gehen! Willst du mir daraus nun einen Vorwurf machen? Den Weg zusammen gehen? Welchen Weg? Den, den du aufgegeben hast?"
James' Griff um das Kreuz um seinen Hals wurde noch eine Spur fester, dann drehte er sich wieder zu Alan herum. "Ich denke nicht, dass du mit jedem ins Bett gehst, aber ich hatte mich der Illusion hingegeben, dass ich der erste sein würde. Für mich hat das eine etwas mit dem anderen zu tun! Als ich mich mit Francesco getroffen habe, war zwischen uns beiden noch nichts, sonst hätte ich ihn nie im Leben angerührt. Genauso wie ich es jetzt getan habe. Ich habe die ganze Zeit über gewartet. Auf dich gewartet. Mir wäre nicht im Traum eingefallen, jemand anderen anzufassen."
James schluckte schwer. "Ja, du bedeutest mir etwas. Sehr viel sogar. Und deshalb verletzt es mich auch so, dass du mich mit einem anderen betrogen hast." Er schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. "Aber vielleicht hast du das ja auch gar nicht. Vielleicht habe ich in unser Verhältnis zueinander einfach zu viel hineininterpretiert und habe etwas gesehen, was es gar nicht gab."