William und Joanna - ab 1183

Giulia

Giulia nickte langsam. Vielleicht hatte Lady Joanna recht und das Gestüt würde ihr zusagen. Sie mochte Pferde ganz gerne, aber hatte nie besonders viel mit ihnen zu tun gehabt. Wenn nötig nutze sie die Vierbeiner für eine Reise, aber das war es bisher auch weitestgehend. Und wenn das Gestüt hier das einzig spannende sein sollte ...
"Danke, Mylady, ein Bad klingt hervorragend." erwiderte Giulia und dieses Mal hörte man ihrer Stimme immerhin an, dass sie es ernst meinte. Sie sehnte sich danach den Straßenstaub abwaschen zu können und ein warmes Bad war immer eine Wohltat. Ganz besonders, weil sie dann eine ihrer Seifen aus Italien nutzen konnte und der sanfte Duft nach Olive versöhnte Giulia immer ein wenig mit der Welt. Es erinnerte sie an zu Hause und wärmte ihr das Herz.
Und sie wusste die Bemühungen von Lady Joanna ja auch durchaus zu schätzen. Sie hatte mittlerweile genug Zeit mit ihr verbracht, um zu begreifen, wieso ihr Vater stets in höchsten Tönen von ihr sprach. Aber das versüßte Giulia den Aufenthalt in England trotzdem nicht wirklich.

Joanna lächelte zufrieden, als Giulia tatsächlich ein wenig auftaute. So ganz frostig zu sein konnte sie doch nicht durchhalten. "Es wird nicht lange dauern. Schau, Madeleine hier wird dir dein Zimmer zeigen. Sie ist klug, ihr werdet euch verständigen können. Sie kann ein paar Brocken französisch." Das hatte Rob ihr an langen Winterabenden beigebracht, bevor er Giselle geheiratet hatte.
"Ihr werdet Euch gut verstehen." Joanna neigte den Kopf.
Dann wandte sie sich an Giovanni und legte ihm kurz die Hand auf den Arm. "Keine Sorge, Giovanni...wir werden schon mit ihr fertig.", sagte sie leise. "Sie wird sich einfinden und die Dinge werden einfacher werden."
Sie wollte ihn etwas beruhigen.

Giulia & Giovanni

Verwundert sah Giulia die Frau an, die Lady Joanna ihr gerade vorgestellt hatte. Es war unzweifelhaft eine Magd, aber wenn sie tatsächlich Französisch sprach, musste mehr dahinter stecken, denn Giulia konnte sich kaum vorstellen, dass die einfachen Leute hier in England wirklich etwas für andere Sprachen als die ihre übrig hatten.
Sie nickte Madeleine zur Begrüßung leicht zu. "Du sprichst Französisch?" fragte sie dann und konnte ihre Neugierde dabei nicht gänzlich verbergen.
Giovanni lächelte leicht als Joanna zu ihm trat und versuchte ihn etwas zu beruhigen. "Gut von dir. Und ich hoffe, du hast Recht und sie wird sich einfinden ... bevor sie alle hier zur Weißglut getrieben hat." Er lächelte nachsichtig, denn so schwierig Giulia mit ihrem feurigen Temperament und ihrem Dickkopf doch sein konnte, so innig liebte er seine Tochter auch und es fiel ihm immer schwer ihr irgendetwas abzuschlagen.

Zufrieden beobachtete Joanna, dass Guilia Madeleine recht freundlich annahm. Vielleicht würde Madeleines Frohnatur der Italienerin gut tun und ihr helfen sich einzufinden. Genau deshalb hatte sie ihr ja auch diese Aufgabe übertragen. Madeleine knickste höflich.
"Ein...bisschen.", erwiderte Madeleine dann ein bisschen zögerlich. "Es ist nicht so gut." Aber sie verstand recht viel und Rob und ihr hatte der Unterricht immer Spaß gemacht. "Ein....guter Freund hat mir gelernt." Joanna grinste flüchtig.
"Keine Sorge, die Leute hier sind heißblütige Frauen gewohnt. So schnell treibt sie keinen zur Weißglut, besonders mich nicht. Und nun kommt, lasst uns auch hinein gehen. Mir geht es wie deiner Tochter, ich kann ein Bad wirklich gut gebrauchen."
Sie wurde schließlich auch nicht mehr jünger und die Reise steckte ihr deutlich mehr in den Knochen als früher.

Giulia

Guilia zog leicht eine Augenbraue in die Höhe. Die Aussprache dieser Magd war, wie die fast aller Engländer, grauenhaft und allzu viel schien sie tatsächlich nicht gelernt zu haben, wenn sie bei solch einfachen Sätzen schon Fehler machte. "Nun, er scheint kein allzu begnadeter Lehrer gewesen zu sein." stellte sie nüchtern fest, gab sie dann aber einen Ruck und deutete ein Lächeln an. "Du kannst sagen 'Ein guter Freund hat es mich gelehrt' oder 'Ein guter Freund hat es mir beigebracht'." korrigierte Giulia den Satz der jungen Magd.
Giovanni, der die kleine Szene beobachtete hatte, seufzte leise. "Vielleicht. Aber du warst dabei sicher nie so abweisend zu ihnen, hm? Aber ich bin ja wirklich froh, dass du solche Geduld mit ihr hast. Ich glaube auch, dass du sie durchaus beeindruckt hast. Wenn sie nun diese Vorbehalte gegenüber England und ihrem Aufenthalt hier noch aufgeben würde ..." Aber vielleicht brachte das die Zeit noch mit sich. Er würde eine Weile hier bleiben und dadurch ein Auge auf Giulia haben können und Giovanni hoffte, dass er sie dann hier lassen konnte, denn er war überzeugt davon, dass der Aufenthalt hier ihr wirklich gut tun würde.

Madeleine hob leicht die Augenbrauen, als Giulia so abfällig reagierte. Na das konnte ja heiter werden mit der hochnäsigen italienischen Lady. Doch dann riss sie sich zusammen. "Merci. Er war ein guter Lehrer....aber wenig Zeit.", erwiderte sie nachsichtig. Vielleicht würde Giulia sich ja noch einleben und ein wenig zugänglicher sein.
"Seht, das hier sind Eure Gemächer."
Joanna nickte. "Zugegeben, das war ich nie...aber die Leute hier wissen, dass sie Redefreiheit haben. Sie werden sich daher nicht beeindrucken lassen von ihrer ruppigen Art. Ob sie allerdings wirklich beeindruckt von mir ist, das wage ich zu bezweifeln. Doch Truro wird sie eines Besseren belehren, keine Sorge. Gib ihr ein bisschen Zeit und ein paar Bekanntschaften machen."

Giulia & Giovanni

Giulia entging nicht, dass die Magd die Augenbrauen hochzog und sie wappnete sich, um einer ungehörigen Antwort die Stirn zu bieten, doch diese blieb aus. Stattdessen folgte eine Erwiderung, die Giulia ein wenig unbehaglich zu Mute werden ließ. Er war ein guter Lehrer, hatte sie gesagt ... unweigerlich beschlich Giulia das Gefühl in ein Fettnäpfchen getreten zu sein und sie schwieg daher lieber bis sie das Gemach erreicht hatten. Dort nickte sie leicht. "Hab Dank." Sie freute sich wirklich darauf in aller Ruhe ein Bad zu nehmen und alles andere um sich herum zu vergessen. Wenigstens für eine kleine Weile ...
Giovanni wiegte leicht den Kopf hin und her. "Doch, ich glaube schon. Vielleicht ist sie selbst sich dessen noch nicht bewusst, aber ich kenne sie schon sehr lange, weißt du?" erwiderte er augenzwinkernd. "Wenn sie es nur zulässt, wird sie sich auch hier besser einfinden. Und vielleicht hast du Recht, wenn sie erst ein paar Bekanntschaften gemacht hat, wird das sicher hilfreich sein."

Helene war mit Alexander verabredet gewesen, sie hatten den Nachmittag zusammen verbringen wollen. Die Kinder tollten unter der Aufsicht von Daniel und Joanna herum, also hatten sie ein paar freie Stunden. Alexander hatte noch etwas erledigen, dann aber zu ihr stoßen wollen.
Sie genoss das einfache, zurückgezogene Leben an seiner Seite mit ihren Kindern. Es war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte in ihrer Ehe mit Edward, denn jetzt führte sie eine harmonische und friedliche Beziehung.
Als er immer noch nicht zurück kam, obwohl schon eine ganze Weile vergangen war, machte sie sich auf die Suche. Sie überquerte den Innenhof, um nachzusehen, ob er oben im Turm war, wo er sich ein kleines Arbeitszimmer hatte einrichten dürfen. Als sie den Fuß der Treppe erreichte, wurde sie kreidebleich. Da lag eine reglose Gestalt, die Gliedmaßen eigentümlich verwinkelt. Sie schrie auf, ihre Schritte beschleunigten sich und sie fiel auf die Knie, als sie erkannte, wer die Gestalt war.
Sie fühlte sich wie betäubt als sie in das blasse, leere Gesicht ihres Liebsten blickte. Wie konnte das sein? Wieso tat Gott das?
"Alexander, wach auf....bitte...Bitte...."

Mary hatte beschlossen ein klein wenig in den Garten zu gehen, um sich noch etwas die Füße zu vertreten bevor die Kinder mit ihrem Unterricht fertig waren und Trubel ausbrach. Seit zwei Tagen waren sie zurück vom Hof und Mary hatte die Zeit dort genossen, besonders mit Isabella zusammen. Doch sie war auf Grund ihrer Schwangerschaft auch ganz froh wieder hier zu sein, wo ihr Alltag ein wenig geruhsamer zuging - wenngleich ihre Rückkehr auch bedeutete, dass sie sich wieder mit Emilia und Megan auseinander setzen musste.
Mary dachte gerade darüber nach, ob sie einen Boten nach Truro schicken sollte, um zu erfahren, ob man dort schon etwas über die Rückkehr ihrer Eltern wusste als sie ein Schrei aus ihren Gedanken riss.
Irritiert sah sie sich um, konnte jedoch niemanden entdecken. Also versuchte sie dem Laut nachzugehen und merkte rasch, dass es sie in Richtung der Treppe zum Turm hinauf führte. Und dann sah sie Helene - am Boden kauernd über eine reglose Gestalt gebeugt.
Mary trat eilig näher und erkannte dabei auch wer dort auf dem Boden lag. Sie biss sich auf die Unterlippe, zögerte aber nicht in ihrem Schritt und erreichte Helene nur einen Augenblick später. "Helene ..." Sie legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter und sah auf Alexander hinab. "Helene, was ist geschehen?" fragte sie leise, den Blick noch immer auf den toten Priester gerichtete. So wie es aussah, musste er gestürzt sein ... womöglich die Treppe hinab ... Mary schloss kurz die Augen und schickte ein stummes Gebet gen Himmel. Das hatte Alexander wirklich nicht verdient. Und Helene ebenso wenig.

Helenes Körper bebte vor Verzweiflung und nach einem Moment des Schocks liefen ihr hemmungslos die Tränen über die Wangen. Es fühlte sich an, als würde man sie entzwei reißen. Wie von Sinnen strich sie durch das dunkle, etwas unordentliche Haar und über die bleiche Wange. Er musste einfach aufwachen, er konnte nicht einfach fort sein.
Es dauerte nicht lange, bis jemand sie fand. Es war Mary. Helene brachte erst nur Schluchzen hervor. "Ich habe....ihn so...gefunden. Er muss....die Treppe....Mary...er kann nicht tot sein." Helene wusste nicht, wie sie mit diesem unermesslichen Schmerz umgehen sollte, der sie erfasste.
"Alexander...." Er konnte sie doch nicht einfach alleine lassen. "Ich verstehe das nicht..." Warum hatte sie so lange büßen müssen, um dann so wenig Zeit zu bekommen? War es die Strafe dafür, dass sie sich diese verbotene Liebe genommen hatte.
"Mary...."

Marys Herz wurde noch ein wenig schwerer als Helene zu sprechen begann. Sie legte ihrer Freundin einen Arm um die Schultern und eine Hand auf den Arm. "Es tut mir so Leid, Helene." murmelte sie betroffen. "Er war so ein herzensguter Mensch." Und dass Alexander nun so verfrüht und so plötzlich aus dem Leben hatte scheiden müssen, war wirklich nicht gerecht.
Einen Moment lang kniete Mary nur stumm an Helenes Seite, versuchte ihrer Freundin mit ihrer Nähe Trost zu spenden und ihr Zeit zu geben, dann strich sie ihr sanft über den Arm. "Komm. Komm, wir finden jemanden, der uns hilft ihn hier wegzubringen." Sie beide hätten das nie bewerkstelligt bekommen, Mary in ihrem Zustand derzeit ohnehin nicht.
Mary betrachtete ihre Freundin und fragte sich, was Gott sich bei all dem wohl gedacht hatte? Helene war so glücklich mit Alexander gewesen, aber viel Zeit war ihnen nun nicht vergönnt gewesen.

Helene lehnte sich leicht an Mary und weinte. "Das darf nicht sein....warum er? Womit haben wir das verdient?" Was hatte sie verbrochen, dass ihr nie auch nur ein wenig Glück vergönnt war? Sie hatte Alexander so sehr geliebt, sie hatte gedacht, endlich ihren Platz gefunden zu haben. Doch wie sollte das alles nur gehen ohne ihn?
Gerade mit Theresa und ihrem kleinen Sohn...Sie waren endlich eine Familie geworden und der kleine Joseph hatte ihr Glück perfekt gemacht. Bis heute...Es kam ihr vor, als würde sie fallen und fallen....Das Grauen, dass sie erfasst hatte, ließ sie nicht mehr los.
Sie schaute Mary völlig verstört an. "Ja...ja..." Es musste ja sein, sie konnten ihn nicht liegen lassen. Aber sie war unfähig irgendetwas in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen.
"Mary....ich kann das nicht."
Sie war überfordert. Wie sollte das nur weitergehen? Und Alexander...sie wollte sich nicht von ihm lösen. Als ob dann die Wahrheit auf sie hereinbrechen würde...

Mary strich Helene sanft über den Rücken als diese sich an sie lehnte und ihren Tränen freien Lauf ließ. "Ich weiß es nicht." murmelte sie leise. "Ist scheint so ungerecht, dass er schon abberufen wurde." Helene war mit Alexander so glücklich gewesen, hatte zwei kleine, süße Kinder mit ihm ... angesichts dieses Schicksalsschlages kamen Mary ihre eigenen Sorgen seltsam belanglos vor.
Mary nickte leicht, sie konnte verstehen wie Helene sich fühlen musste. "Ich werde dir helfen." versicherte sie und strich Helene sachte über die Wange, sah ihrer Freundin in die Augen. "Gemeinsam schaffen wir das, versprochen. Ich weiß, es schmerzt furchtbar einen geliebten Menschen zu verlieren, aber zusammen stehen wir das durch." Sie konnte sich noch zu genau daran erinnern, wie sie sich gefühlt hatte als sie ihre Anne verloren hatte. Mary hatte das Gefühl gehabt, die Welt müsse zu Ende gehen, doch Dank Charles und ihrer restlichen Kinder hatte sie den Mut nicht ganz verloren.

Helene fuhr sich hilflos durch das Gesicht. "Offenbar hat Gott mich noch nicht genug gestraft, er ist nicht fertig mit mir.", brachte sie bitter hervor. Sie hatte an Alexanders Seite immer auf Gott vertraut und sich ihm überlassen. Jetzt aber hatte sie ein auch diesen Halt verloren.
"Danke...", wisperte sie. Mary würde ihr helfen, das wusste sie zu schätzen. Denn sonst hätte sie auch gar keine Ahnung, wie sie weiter machen sollte.
"Gott, wie soll ich es den Kindern sagen...."
Helene vergrub das Gesicht in den Händen. Sie brauchte noch einen Moment, dochbevor sie sich auf den Weg nach Hilfe machen konnten, hatten zwei von Charles' Rittern sie entdeckt und kamen erschrocken näher.
"Mylady....was ist passiert?" Helene war froh, dass sie Mary fragten und nicht sie. Sie hätte nicht antworten können.

Mary konnte Helenes Zweifel nur zu gut verstehen, waren es doch die gleichen Gedanken, die sie damals gehabt hatte. Nach ihrer verrückten Ehe mit Gerard hatte sie gedacht bei Charles nun ihr vollkommenes Glück gefunden zu haben und dann hatte sie ihre kleine Tochter gehen lassen müssen, hatte machtlos Tag und Nacht an ihrem Bett gesessen und hatte ihr nicht helfen können.
Mary umarmte ihre Freundin sachte. "Wir finden schon einen Weg es ihnen beizubringen." versicherte sie leise. Der kleine Joseph war ja ohnehin noch zu winzig, um irgendetwas davon mitzubekommen, aber der vierjährigen Theresa würden sie erklären müssen, wieso ihr Vater nun nicht mehr wiederkommen würde und Mary hoffte inständig, dass das Mädchen gut darüber hinweg kam.
Sie sah auf als sie Schritte näher kommen hörte und war erleichtert als sie zwei ihrer Ritter entdeckte. So mussten sie niemanden suchen gehen ... "Pater Alexander, er ... er muss die Treppe hinab gestürzt sein." erklärte sie mit belegter Stimme. Auch ihre Kehle war eng, hatte sie den Priester in den vergangenen Jahren doch wirklich schätzen gelernt. "Seid so gut und kümmert euch um ihn. Und gebt Martin Bescheid." bat sie dann. Der Arzt war hier natürlich machtlos mit seinen Heilkünsten, aber er würde Alexander anständig herrichten können, so dass man ihn in der Kirche aufbahren und dann beisetzen konnte. "Komm, lass uns gehen. Du brauchst einen Schluck zu trinken, ehe du mir umkippst." forderte Mary sanft, denn sie wollte verhindern, dass Helene mitansehen musste, wie man den leblosen Körper ihres Liebsten davon schaffte.

Helene biss sich hart auf die Lippe, als Mary antwortete, um keinen Laut von sich zu geben. Sie war von Adel, man hatte sie gelehrt sich zu beherrschen, aber jetzt versagte alles. Es war noch nie ihre große Stärke gewesen.
Aber es würde alle hier treffen, denn auch Marys Kinder hatten ihren Lehrer sehr geschätzt. Dover würde erst einmal kein sonderlich fröhlicher Ort sein, besonders für sie nicht.
"Ja, Mylady. Sofort.", erwiderte einer der Ritter betroffen und bedachte Helene mit einem mitleidigen Blick. Jeder hier wusste um die skandalöse Liebschaft, die aber nie jemanden wirklich geschert hatte. Helene richtete sich mühsam auf, als Mary sie aufforderte. Sie konnte den Blick kaum von Alexander lösen. Wahrscheinlich hatte Mary recht, aber...
"Ich sollte bei ihm bleiben. Das...bin ich schuldig...ich kann ihn nicht allein lassen." Sie hatte das Gefühl, sie müsse ihn begleiten bis er beerdigt wurde, so unsinnig das auch war.

Mary sah Helene kummervoll an und schüttelte leicht den Kopf. "Ich weiß, dass es sich so anfühlt als müsstest du das, aber glaub mir, es ist besser, wenn wir für einen Moment gehen, du einen Schluck trinkst und durchatmest." erwiderte sie ruhiger als sie sich fühlte. "Sir Andrew und Sir George werden sich solange um ihn kümmern und anschließend wird Martin uns helfen alles vorzubereiten, was notwendig ist."
Mary half Helene auf die Füße und legte einen Arm um sie. "Komm, lass uns gehen. Nur für einen Moment." Der Anblick Alexanders hier am Fuße der Treppe war schon schlimm genug, Helene brauchte nicht noch mehr unschöne Bilder, die sie nie wieder vergessen würde.

Helene nickte zögernd und ließ sich von Mary fort führen. Sie hatte ohnehin keine Kraft Widerstand zu leisten. Sie folgte ihr wie betäubt und ließ sich schließlich auf einen Stuhl sinken. Ihre Gedanken kreisten rastlos, immer noch schockiert.
Sie nahm den Wein entgegen und trank einen tiefen Schluck. Doch auch der Wein brachte sie nicht zurück in die Realität, sie fühlte sich immer noch wie in Watte.
"Es ist....nicht gerecht. Wir haben uns nur ein einziges Mal etwas genommen, was wir nicht durften. Ich dachte, Gott hätte uns vergeben und uns deshalb auch gesunde Kinder geschenkt. Aber offenbar habe ich mich geirrt. Nur....er konnte doch nichts dafür."
Wieder stürzten Tränen über ihre Wangen.
Aber viele würden es wohl als gerechte Strafe ansehen...

Mary hatte versucht so gut wie möglich für Helene da zu sein und ihr zu helfen, diesen schweren Gang zu bewältigen. Doch jetzt da sie mit Charles ihre eigenen Gemächer erreicht hatte, war sie froh darum, dass er sie überredet hatte, sich ein wenig hinzulegen. Die Situation war so schon belastend genug und ihre Schwangerschaft forderte ebenso ihren Tribut, Mary fühlte sich wie erschlagen.
Als die Tür hinter ihnen zugefallen war, drehte sie sich zu Charles herum, schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht an seiner Brust. "Ach Charles ..." wisperte sie leise und schloss die Augen für einen Moment. So viele Dinge wirbelten durch ihren Kopf, ihre Gedanken und Gefühle waren vollkommen durcheinander angesichts dieses schrecklichen Ereignisses und Mary sehnte sich mehr denn je nach seiner Nähe, um ein wenig Halt zu finden, ganz besonders nachdem sie für Helene die ganze Zeit über stark gewesen war, um ihrer Freundin wenigstens ein bisschen Halt geben zu können.

Charles hatte bestürzt vom Tod seines Hauskaplans erfahren. Es tat ihm leid, besonders für Helene und ihre Kinder. Er hatte Helene gesehen und sie sah aus, als wäre sie selbst ein Geist. Er konnte es verstehen....hätte er Mary tot am Fuß der Treppe gefunden, er hätte wohl völlig den Verstand verloren. Mary hatte sich Helenes angenommen, aber Charles wollte, dass sie sich schonte. Das belastete sie so viel und mit der Schwangerschaft sollte sie sich etwas ruhig halten. Sie hatte auch eingewilligt und ihn zurück begleitet.
Charles legte die Arme um seine Frau und lehnte das Kinn gegen ihren Scheitel. "Ich weiß...es ist schrecklich. Es gibt einem zu denken, das Leben kann so schnell vorbei sein. Auf Helene kommen schwere Zeiten zu. Gott weiß, wie sie das verkraftet."
Er seufzte tief. "Aber belaste dich nicht noch mit ihrer Trauer, das ist nicht gut für dich. Sei für sie da, aber nicht mehr."

Als sie nun hier mit Charles stand, er die Arme um sie legte und sie seinen Herzschlag spürte, kamen Mary schließlich doch die Tränen und sie versuchte gar nicht erst sie zurück zu halten. Sie wusste gut genug, dass es half, wenn man die Tränen herausließ, die so hartnäckig waren.
"Sie tut mir so Leid." wisperte sie heiser. "Und ... und ich komme mir so albern vor." räumte sie leise ein und sah auf. "Wegen Emilia und Megan, ich meine ... es ist doch völlig gleich, ob sie ihr sind. Du bist hier, du bist bei mir und ich liebe dich, über alles andere sollte ich mir gar nicht den Kopf zerbrechen." Nicht, wenn ihre gemeinsame Zeit doch so unendlich kostbar war und sie nun daran erinnert worden waren, wie schnell diese Zeit manchmal ein Ende finden konnte.

Charles ließ seine Frau weinen, denn er wusste, sie brauchte es einfach. Es erleichterte sie und so hielt er sie einfach nur fest, strich sanft über ihren Rücken.
"Ich weiß. Aber wir werden ihr beistehen, ihr ein bisschen mit den Kindern helfen. Der Rest findet sich von allein. Sie wird Zeit brauchen um zu trauern, aber sie wird einsehen, dass das Leben weiter geht. Sie hat immerhin die Kinder." Zumindest hoffte er, dass ihr das dabei half, diese Geschichte zu überwinden.
"Du bist nicht albern..." Er gab ihr einen sanften Kuss.
"Ich verstehe, warum es schwierig für dich ist. Doch du hast Recht, das Wichtigste ist, dass wir uns haben und beieinander sein können. Und deshalb ändert ihre Anwesenheit für mich auch nichts. Sicher, ich sehe meine Tochter aufwachsen und kann ihr ein gutes Leben ermöglichen. Das bedeutet mir etwas. Aber an unserer Beziehung ändert es nichts."

Mary fuhr sich leicht mit einer Hand über das Gesicht, um die Tränen fort zu wischen und nickte dann langsam. "Ja, die Kinder werden ihr hoffentlich Halt geben." murmelte sie und war froh, dass Helene Theresa und Joseph hatte. Die beiden würden ihr einen Grund geben weiter zu machen und das war wirklich wichtig.
Mary erwiderte Charles' sanften Kuss und strich ihm dann zärtlich durch die Haare. "Ich weiß und daran habe ich auch keine Sekunde gezweifelt." erwiderte sie und küsste ihn noch einmal liebevoll. "Charles ..." murmelte sie als ihre Lippen sich wieder voneinander trennten und sie den Kopf an seine Schulter bettete. "Lass uns unsere Zeit gemeinsam immer in vollen Zügen genießen, hörst du?" Sie hoffte inständig, dass Gott nicht entschied ihr ihren Liebsten vor der Zeit zu nehmen, aber bis der Tag kommen würde, wollte sie die Zeit ausnutzen. Sie sah ihm wieder in die Augen und lächelte, ein wenig matt noch, aber voller Liebe. "Ich liebe dich so sehr."

Charles nickte. "Sie wird ein bisschen brauchen, sich dann aber fangen, denke ich. Wenn nicht, werden wir uns etwas einfallen lassen müssen."
Irgendeinen Weg würden sie finden. Finden müssen, allein für die Kinder. Und er würde sich um einen neuen Hauskaplan kümmern müssen, der auch die Kinder unterrichten konnte.
Er lächelte zärtlich. "Das werden wir tun, sorge dich nicht. Ich genieße jeden Moment an deiner Seite. Es kommt gar nicht in Frage Zeit davon zu verschwenden. Ich liebe dich auch."
Es konnte einfach so schnell vorbei sein, das hatten sie gesehen. Auch, wenn er nicht mehr in den Krieg zog. Vorsicht war geboten. Und eine gewisse Dankbarkeit Gott gegenüber für jeden gemeinsam verbrachten Tag.

Edward atmete geräuschvoll aus und las die Zeilen noch einmal. Ein Bote aus Dover war mit einem Brief für ihn gekommen, doch es war anders als sonst kein erbauliches Schreiben seiner Schwester, sondern eher düstere Nachrichten. Mary schrieb, dass Alexander die Treppe hinab gestürzt und sich den Hals gebrochen hatte ... das Schicksal des Priesters ging Edward nun nicht persönlich nahe, aber Helene war durch diesen Verlust am Boden zerstört und um ihretwillen stimmte diese Nachricht ihn betroffen. Ganz gleich wie sehr sie oft gestritten hatten und unter welchen Umständen ihre Ehe zerbrochen war, sie hatten auch wahrlich gute Zeiten zusammen verlebt und er hatte ihr immer gewünscht glücklich zu sein.
Nachdenklich begann Edward auf der Unterlippe herum zu kauen, unschlüssig, wie er nun reagieren und was er tun sollte angesichts dieses Briefes.