William und Joanna - ab 1183

Gabriel

Gabriel nickte bei ihrer Antwort. Es hätte ihn auch gewundert, wäre sie anders ausgefallen. Aber wenn sie sagte, sie arrangiere sich mit England, war das wohl schon mehr als er ihr zugetraut hatte. Blieb dann nur die Frage, wieso sie ihm noch immer nicht geantwortet hatte.
"Nun, meine Großeltern leben hier. Ich komme gerne einmal zu Besuch, wenn die Zeit es zulässt." erwiderte Gabriel und zögerte kurz, ehe er leicht mit den Schultern zuckte. "Ich habe viel Zeit mit Warten verbracht." erklärte er, sah Giulia noch einen Moment lang gebannt an, dann zwang er sich dazu den Blick abzuwenden und seine Großmutter anzusehen.
Er lächelte, wenngleich es etwas gezwungen wirkte, nach dieser unerwarteten Begegnung. "Du siehst hervorragend aus, mamie. Es scheint als sei dir die lange Reise sehr gut bekommen." stellte er fest. Immer wieder war Gabriel fasziniert davon wie gesund und agil seine Großeltern in ihrem Alter noch waren und er wünschte sich, dass es ihm im Alter auch so gehen würde.

Giulia

"Ich wusste nicht, dass sie deine Großeltern sind." Das Leben ging wirklich seltsame Wege. Warum hatte es sie ausgerechnet zu seiner Familie geführt? Warum hierher, wo er ihr über den Weg gelaufen ist?
Giulia schluckte. "Ja, ich weiß.", musste sie zugeben. "Aber ich habe meine Gründe."
Und sie wollte sich nicht rechtfertigen, schon gar nicht vor Lady Joanna.
Joanna beobachtete die Beiden ein bisschen skeptisch. Sie lächelte schließlich aber sanft und widmete sich ihrem Enkell.
"Danke, du Charmeur. Du hast aber völlig Recht. Sie ist mir gut bekommen und ich bin trotzdem froh wieder hier zu sein. Ein Winter im warmen Italien ist für alte Knochen aber besser als ein nasses England.", erwiderte sie.
"Und wie ist es dir ergangen? Guillaumes Knappe, hörte ich? Gut gemacht, mein Junge."

Gabriel

Gabriel sah Giulia mit undurchdringlicher Miene an. "Vielleicht werdet Ihr Sie mir ja irgendwann erklären." schlug er dann vor. Er wollte es wirklich wissen. Wenn sie ihm schon nicht geantwortet hatte, ihn offenbar nicht wollte, dann wollte er es wenigstens aus ihrem Munde hören.
Doch erst einmal war seine Großmutter wichtiger. "Ich sage nur die Wahrheit." erwiderte er lächelnd. "Und so wie ihr froh darüber seid, freuen sich auch hier alle über eure Rückkehr. Ich bin sicher, ihr habt wieder einiges mitgebracht von eurer Reise, nicht wahr?" neckte er und nickte dann. "Danke. Es ist wirklich eine Ehre und ich glaube, es macht mich immer noch ein wenig verlegen. Ich begreife nur allmählich, dass er mich wirklich so schätzt, das ... war mir anfangs ein wenig unheimlich, glaube ich." Solche Aufmerksamkeit zu bekommen und das von niemand geringerem als dem Thronfolger hatte Gabriel einiges an Respekt eingejagt.

Giulia

"Vielleicht werde ich das.", erwiderte Giulia und bemühte sich, ebenso eine ausdruckslose Miene zu behalten. Womit nahm er sich das Recht heraus so vorwurfsvoll zu klingen? Sie war ihm doch keine Rechenschaft schuldig.
Joanna lachte leise. "Das hört man gern. Und natürlich haben wir einiges mitgebracht. Pferde und Wein, hauptsächlich. Wundervolle Pferde mit goldenem Fell, weißt du? Und der Wein von Giovanni ist ohnehin der Beste."
Joanna nickte stolz. "Du hast es aber verdient, Gabriel. Du bist ein guter Mann geworden und ich bin sicher, du wirst dich ihm unentbehrlich machen. Du hast seine Aufmerksamkeit mehr als verdient. Ich bin wirklich stolz auf dich. Stell dein Licht nicht unter dem Scheffel."

Gabriel

Gabriel neigte leicht den Kopf und lächelte schmal, sorgsam darauf bedacht, dass Giulia nicht übersehen konnte, dass es impertinent gemeint war. "Ich wäre Euch zutiefst verbunden." erklärte er dann. "Jetzt wisst Ihr ja wieder, wo Ihr mich findet." Es machte ihn ganz kribbelig, dass sie hier nun einfach so wieder vor ihm saß. Und dass sie nicht alleine waren. So oft hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn er sie wieder sah und jetzt war es endlich soweit, aber er konnte sie unmöglich mit all seinen Fragen bestürmen.
Überrascht sah er seine Großmutter an. "Mit goldenem Fell?" wiederholte er ungläubig. "Ha, die werdet ihr mir unbedingt zeigen müssen. Sie sollen in die Zucht nehme ich an? Damit werdet ihr ein Vermögen machen." Die Leute würden es sich einiges kosten lassen, wenn sie ein solches Pferd würden erstehen können.
Gabriel lächelte, nun ein wenig scheu. "Danke. Ich ... schätze, daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Aber vielleicht gelingt es mir ja, wenn ich nun an Guillaumes Hof bin. Dort lauern zumindest nicht hinter jeder Ecke die großen Fußstapfen von Vater." Es fiel ihm wahrlich nicht immer ganz leicht mit seinem Vater zu konkurrieren und gleichzeitig doch auch so ganz anders zu sein und vor allem sein zu wollen als dieser.

Giulias Temperament entflammte wieder einmal. Wie konnte er es wagen so unmöglich zu ihr zu sein vor all den Zeugen? Doch sie nahm sich zusammen und schluckte den Ärger hinunter. Sie würde nicht hier die Beherrschung verlieren und sich angreifbar machen. Sie beschränkte sich darauf, ihm einen zornigen Blick zuzuwerfen. Arroganter Mistkerl...
Joanna beachtete das Zwischenspiel gar nicht weiter. "Ja, du wirst staunen. Du musst sie dir ansehen, sie sind wundervoll. Und ja, sie sollen in die Zucht. Mal sehen, ob sie sich weitervererben. Dein Großvater ist immer darauf bedacht die Zucht zu bereichern, er hat sie gefunden." Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. "Das ist auch weise...Du musst deinen eigenen Weg finden, nicht deinem Vater nacheifern. Du bist schließlich ganz anders als er und das ist gut so. Guillaume wird junge Männer in seiner Umgebung brauchen, auf die er bauen kann, wenn er einst König wird. Jetzt legst du den Grundstein hierfür schon."

Gabriel

Gabriel entging Giulias wütender Blick keinesfalls, doch er empfand erstaunlicherweise Befriedigung dabei. Ihr Zorn war besser als das, was er zuvor gehabt hatte: Nichts. Stille. Das hatte ihn schier verrückt gemacht. Zu sehen, dass ihre Augen wütend aufglommen, tat gut.
"Ich bin wirklich gespannt darauf." erwiderte Gabriel und atmete leicht durch als seine Großmutter ihm die Hand auf die Schulter legte. "Das ist wahr. Und ich bin wirklich froh, dass ich diese Gelegenheit habe. Es wird für die Zukunft vieles leichter machen." Eines Tages würde er der Earl of Oxford werden und wenn er schon jetzt ein enges Band zu seinem zukünftigen König knüpfen konnte, würde das später eine gute Grundlage für alles weitere bieten, genau wie seine Großmutter sagte. Und es gab ihm vor allem zusätzlichen Halt im Leben, er schien einen Platz gefunden zu haben an den er gehörte und an dem er sein konnte.

Giulia

Giulia saß am späten Abend im Garten und dachte nach. Irgendwie wartete sie beinahe darauf, dass Gabriel sie aufsuchte. Er würde eine Erklärung wollen. Er wirkte auf sie verändert, ein wenig selbstbewusster als das letzte Mal.
Das gab ihr Stoff zum nachdenken. Was für eine seltsame Fügung. Wieso hatte Gott sich ausgerechnet dafür entschieden, Joannas Enkel auf sie aufmerksam werden zu lassen? Wieso hatte er sie her geführt? Wieso hatte ihr Vater sie her schleppen müssen? Sie wusste doch selber nicht, was sie Gabriel hätte antworten sollen.
"Verflucht...", murmelte sie leise. Was für eine vertrackte Sache, in die sie da hinein geraten war... Giulia hob die Schultern ein wenig.

Gabriel

Eigentlich hatte Gabriel sich fest vorgenommen nicht nach Giulia zu suchen. Jedenfalls nicht gleich am ersten Abend, denn irgendwie wirkte das doch ziemlich verzweifelt. Dennoch trieb es ihm nach dem Abendessen bei Amélie und ihrer Familie noch in den Garten der Burg und er war keineswegs verwundert als er schließlich eine einsame Gestalt auf einer Bank sitzen sah.
Leise trat er näher als er Giulia fluchen hörte.
"Das klingt aber nicht sehr damenhaft, Signorina." bemerkte er leise auf Italienisch. Es war merkwürdig diese Sprache wieder zu sprechen, denn seit er Winchester verlassen hatte, hatte er dazu ja keinerlei Gelegenheit mehr gehabt. Er hatte zwar ein Buch von seinem Onkel bekommen in dem er oft gelesen hatte, manchmal auf laut, um seine Stimme mit der eigentlich doch so melodiösen Sprache vertraut zu machen. Aber das war einfach etwas anderes als sie tatsächlich richtig zu sprechen.
Aber irgendwie kam es ihm richtig vor jetzt von seinem Können Gebrauch zu machen. Vielleicht auch nur, um Giulia zu beweisen, dass er den Brief wirklich selbst geschrieben hatte, dass er tatsächlich Italienisch gelernt hatte und sich nicht einfach nur einen Übersetzer gesucht hatte.

Giulia

Giulia fuhr leicht zusammen, als jemand sie auf Italienisch ansprach. Sie hob den Kopf und runzelte die Stirn. "Ihr habt also wirklich meine Sprache gelernt. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass Ihr so eine Mühe auf Euch nehmt."
Sie musterte ihn und zuckte mit dem Schultern. "Ich war noch nie sonderlich damenhaft, Signor. Ich fürchte, es ist auch hoffnungslos zu denken, dass sich das jemals ändert.", fügte sie hinzu.
"Was wollt Ihr von mir hören?"
Sie wusste es genau und sie wollte es von ihm trotzdem hören. Sie gedachte nicht, sich hier als die Böse darstellen zu lassen. Sie wusste doch selbst gar nicht so ganz genau, was der Grund für ihr Zögern gewesen war.

Gabriel

"Natürlich nicht, denn Ihr kennt mich nicht genug." erwiderte Gabriel mit einem kleinen Schulterzucken. Sicher, gleich eine neue Sprache zu erlernen war in der Tat ein wenig drastisch gewesen, aber zugleich war es ihm wie die einzige Möglichkeit erschienen ihr wirklich zu zeigen, was in ihm vorging und sich ihr zugleich verbundener zu fühlen.
Gabriel musterte Giulia kurz. "Ihr sagtet, Ihr hättet Eure Gründe gehabt und ich würde sie gerne hören, Eure Gründe." erwiderte er und trat noch einen Schritt näher, so dass er sie besser ansehen konnte in der Dämmerung. "Weshalb habe ich nie wieder etwas von Euch gehört? Habt Ihr den Brief gleich nach den ersten zwei Zeilen ins Feuer geworfen?" Sie musste den Brief zumindest geöffnet und den Anfang gelesen haben, denn sie wusste, dass er ihr auf Italienisch geschrieben hatte. Aber Gabriel traute ihr auch zu, dass sie in ihrer Abneigung gegen alles Nicht-Italienische seinen Brief einfach fortgeworfen hatte.

Giulia

"Wie auch, wir haben uns ja kaum kennengelernt in Paris." Giulia musterte ihn einen Moment und schüttelte dann den Kopf. "Nein, habe ich nicht. Wenn Ihr es genau wissen wollt, schleppe ich ihn mit, wohin ich auch reise. Ich habe ihn gelesen und er hat mich irgendwie erfreut, aber ich war unsicher, was ich davon halten soll. Ob und wie ich antworten solle...Es hätte vermutlich Folgen, die ich eigentlich gar nicht will. Ich will mich nicht an einen Engländer binden, ich will einfach zurück nach Italien. Ihr habt passabel Italienisch gelernt, aber das ist ja nicht alles. Es ändert nichts an den Tatsachen."
Sie hob die Schultern.
"Daher war ich nicht sicher, ob es überhaupt Sinn hat, Euch zu antworten und womöglich noch falsche Hoffnungen zu wecken. Ich war unentschlossen. Wenn ich meine Entscheidung getroffen hätte, hätte ich vielleicht noch geantwortet."

Gabriel

Gabriel war überrascht von dem, was Giulia ihm da offenbarte. Dass sie den Brief tatsächlich mitnahm war so ziemlich das letzte, was er erwartet hatte, nachdem sie ihm nicht geantwortet hatte. Irritiert über diese neue Erkenntnis runzelte er die Stirn. "Und mir gar nicht zu antworten erschien Euch die richtige Alternative? Mich auf ewig im Ungewissen zu lassen? Wenn Ihr von mir nichts wissen wollt, hättet Ihr wenigstens so viel Anstand aufbringen können, mir das mitzuteilen." erwiderte Gabriel, der mit einem Mal ein vages Gefühl von Zorn verspürte. Sie wollte ihn nicht, aber es war auch unbequem gewesen ihm eine abweisende Antwort zu schicken, also hatte sie den für sie bequemsten Weg gewählt und einfach nichts getan und billigend in Kauf genommen, dass er sich in ständiger Unsicherheit befand.
"Ihr wollt zurück nach Italien und trotzdem finde ich Euch hier wieder, in England. Merkwürdig, wenn Ihr von allem Englischen nichts wissen wollt, findet Ihr nicht?"

Giulia

Giulia schüttelte den Kopf. "Eigentlich wollte ich antworten. Ich habe auch ein paar Briefe angefangen, aber die passenden Worte nicht gefunden." Eigentlich wollte sie ja auch nichts von ihm wissen, aber dennoch war er ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Nicht gänzlich.
Dann aber funkelte sie ihn zornig an und ihre Miene wurde noch verschlossener. "Und was bitte lässt Euch glauben, ich sei freiwillig hier? Mein Vater hat mich hergeschleift, damit ich England kennenlerne und die Sprache. Ich will das alles gar nicht, ich will nach Hause. Aber da Joanna seine Freundin ist, kann ich sie schlecht so vor den Kopf stoßen. Also mache ich notgedrungen das Beste aus der Zeit hier, ob es mir gefällt oder nicht."
Und diese Geschichte hier machte es auch einfach nicht besser. Im Gegenteil, sie fühlte sich nur noch unwohler in ihrer Haut.

Gabriel

Gabriel sah Giulia nachdenklich an, dann machte er eine kleine einladende Geste. "Dann ... versucht es doch jetzt einmal. Vielleicht fällt es Euch leichter, wenn Ihr mich dabei vor Euch habt?" schlug Gabriel schließlich vor, denn ihn interessierte wirklich sehr, was Giulia über seinen Brief, über ihn selbst, dachte.
Gabriel zuckte mit den Schultern. "Euer Vater ist kein Despot, wenn Ihr wirklich gehen wollen würdet, würde er Euch nicht zwingen zu bleiben." entgegnete er.
Einen Moment lang zögerte er, dann gab Gabriel sich aber einen Ruck und deutete vage auf die Bank. "Darf ich?" fragte er schließlich und hielt sich nur mit Mühe davon ab, sich ohne ihre Antwort zu setzen. Trotz allem wollte er ihr nahe sein. Obwohl sie ihn so lange hatte warten lassen und obwohl sie ihn auch jetzt so auflaufen ließ, schien er sie noch nicht aus dem Kopf und dem Herzen zu bekommen.

Giulia

Giulia schüttelte energisch den Kopf. "Nein, ich schätze eher nicht. Das macht die Dinge auch nicht einfacher. Ich habe mich gefreut, italienische Worte zu lesen, die nicht von meiner Familie stammen. Ihr habt schöne Dinge geschrieben, aber ich weiß nicht, wie ernst ihr all das meint. Außerdem will ich Euch nicht ins Herz schließen, Ihr seid Engländer."
Und das grauenvollste Schicksal wäre hier bleiben zu müssen, weil ihr Vater sie mit einem Engländer verheiratete.
"Nein, das ist er nicht. Aber ich habe versprochen es wenigstens hier zu versuchen. Ich bin also moralisch verpflichtet. Er ist gut mit Euren Großeltern befreundet, ich will ihn nicht blamieren. Das würde er mir nie verzeihen."
Sie schaute ihn skeptisch an, nickte dann knapp. Er hatte wahrscheinlich mehr Recht hier zu sein als sie es je haben würde.

Gabriel

Gabriel atmete geräuschvoll aus. "Ach nein? Nun, es tut mir Leid, dass ich Euch Ungemach bereite, aber ich will endlich eine Antwort haben. Ich habe so lange gewartet, habe mir so lange den Kopf darüber zerbrochen, was ich alles falsch gemacht habe, dass ich nicht einmal einer Antwort wert bin." entgegnete Gabriel und zog dann die Augenbrauen in die Höhe. "Wie ernst ich es meine? Was glaubt Ihr denn? Denkt Ihr, ich lerne einfach so eine neue Sprache, zerbreche mir Tage und Wochen lang den Kopf über einen solchen Brief, nur um schöne Lügen hinein zu schreiben? Weiß Gott, sowas könnte ich einfacher haben, wenn ich es wollte." Aber das war er nun einmal nicht. Er war nicht wie sein Vater, der Frauen in ihrer Allgemeinheit so zu lieben schien, dass er für jeden von ihnen schöne Worte fand, weil sie in diesem Moment stimmten und sie dann, wenn er gehabt hatte, was er wollte, wieder vergessen konnte.
Gabriel schnaubte leise. "Ziemlich oberflächlich, angesichts der Tatsache, dass Ihr mich doch so wenig kennt, denkt Ihr nicht?" entgegnete er. "Mich einfach nur abzulehnen wegen meiner Herkunft."
Nachdenklich machte er einen Schritt nach vorne und setzte sich neben Giulia auf die Bank, wenngleich er sich im Moment eher fühlte als wolle er lieber verschwinden und sich irgendwo in einer dunklen Ecke verkriechen.
"Wenn Ihr in der Lage seid, es hier zu versuchen, wieso könnt Ihr dann nicht versuchen, mir eine ehrliche Antwort zu geben?" fragte er gedämpft.

Giulia

Giulia seufzte. "Ihr habt nichts falsch gemacht und Euer Brief war eine nette Geste. Aber ich habe nicht geantwortet, weil ich einfach nicht wusste was. Ich weiß nicht, was Euch davon versprecht. Ich gebe zu, wir haben uns ganz nett unterhalten. Aber wenn Ihr es ernst meint, wie Ihr sagt, dann macht es das nur noch schwieriger für mich."
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Vielleicht ist es oberflächlich. Aber ist es so schwer zu verstehen? Wenn ich mich an einen Engländer binden sollte, werde ich hier in England bleiben müssen. Und ich vermisse meine Heimat so."
Sie wollte zurück nach Italien in die Sonne, in die Weinberge ihres Vaters. Gabriel brachte sie durcheinander, wirklich sehr. Und das wollte Giulia nicht. Sie wollte hier nichts gut finden und schon gar nicht hier bleiben. "Ich habe nicht geantwortet, weil ich selber nicht weiß, was ich will. Ist Euch das jetzt ehrlich genug??", fragte sie ungehalten.

Gabriel

Gabriel sah Giulia verwirrt an. "Was ich mir davon verspreche? Ist das ... denn nicht offensichtlich?" fragte er irritiert. Er hatte eigentlich gedacht, dass er sich in seinem Brief deutlich genug ausgedrückt hatte, dass kein Zweifel daran bestehen konnte was ihn bewegte und was er sich durch diesen Brief erhofft hatte. Nämlich Giulia besser kennenzulernen, den Kontakt zu ihr nicht zu verliere und so an ihr Gespräch in Paris anzuknüpfen. Auf saß womöglich doch mehr aus ihnen wurde.
Gabriel zuckte mit den Schultern. "Für mich schon." Gestand er ohne Zögern. Er liebte England und er hatte sich nicht vorstellen können, dass ein Land, das man doch nicht einmal kannte, einen Menschen so abschrecken konnte.
Nachdenklich legte den Kopf zur Seite und musterte Giulia eindringlich. "Vielleicht." Erwiderte er. "Fürs erste schon, denke ich." Denn wenn sie nicht wusste was sie wollte, bedeutete das zumindest, dass er nicht unwichtig genug war, um sie nicht doch ins Zweifeln zu bringen. Und das war doch schon etwas ... eine Erkenntnis, die ihm mit einem Mal ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Giulia

Giulia hob die Schultern. "Das weiß ich nicht...vielleicht. Wir haben uns einmal für ein paar Minuten gesehen. Warum also macht Ihr Euch die Mühe? Ich meine...um mich kennenzulernen hättet Ihr jetzt nicht unbedingt Italienisch lernen müssen. Auch wenn es eine wunderschöne Sprache ist."
Giulia neigte den Kopf.
"Weil das hier Eure Heimat ist. Und Ihr liebt sie, so wie ich meine liebe. Würdet Ihr England für immer verlassen wollen? Die Vorstellung wird Euch wahrscheinlich ebenso grauenvoll vorkommen wie mir." Giulia seufzte leise.
"Warum lächelt Ihr? Ich habe keine befriedigende Antwort für Euch gehabt." Das verunsicherte sie doch ein bisschen.

Gabriel

Gabriel nickte langsam. "Und das waren für meinen Geschmack eindeutig zu wenige Minuten." erwiderte er und ließ den Blick dann durch den Garten wandern, während er Giulias Frage noch etwas nachhallen ließ. Wieso machte er sich die Mühe ... die schonungslose Antwort war: weil er ein verrückter Dummkopf war. Er holte Luft und sah Giulia wieder an. "Ich wollte nicht, dass es dabei bleibt. Bei diesem kurzen Gespräch, ich ... ich wollte Euch wiedersehen, wollte mehr von Euch erfahren. Und wieso ich extra Italienisch gelernt habe ... nun, ich schätze, weil ich den Eindruck hatte, Euch beweisen zu müssen, dass ich kein ungebildeter Barbar bin." bemerkte Gabriel mit einem schiefen Grinsen.
Er dachte kurz nach und zuckte dann leicht mit den Schultern. "Vermutlich nicht allzu gerne, aber die Vorstellung ist mir wohl kein solcher Graus wie Euch. Ich habe schon einige Zeit auf dem Festland verbracht und fand es dort immer erträglich." erklärte Gabriel und seufzte dann leise. "Außerdem ... gibt es in England nicht einen einzigen Ort an den ich mich zurück wünschen würde, so wie Ihr Euch zu dem Gut Eures Vaters. Ich bin ... viel zerteilter. Also ganz gleich wo ich bin, ich ... fühle mich nie ganz vollständig dort hin gehörig." fügte Gabriel gedämpft hinzu. Es war so kompliziert manchmal. Er war gerne in Oxford, aber ebenso gerne hier und seit Helene in Dover war, hatte er auch immer das Gefühl ein wenig dorthin gezogen zu werden. Er gehörte überall hin und doch nirgendwo vollkommen, so schien es.
"Nun, in gewisser Weise doch, Signorina." widersprach Gabriel, noch immer mit dem kleinen Lächeln auf den Lippen. Sie hatte ihn nicht vollkommen abgewiesen insofern war es doch zumindest etwas befriedigend gewesen.

Giulia

Giulia hob ein wenig überrascht die Augenbraue. Sie musste ihn ja ziemlich beeindruckt haben, wenn er so reagierte und deswegen all den Aufwand betrieb. Immerhin hätten sie ja auch französisch sprechen können.
"Zugegeben, Madeleine hat mir gezeigt, dass Ihr nicht ausschließlich Barbaren seid, aber im Vergleich zu den Franzosen und Italienern schon irgendwie. Große Künstler scheint es hier nicht zu geben, nur etwas schräge Musik.", sagte sie dann, wusste aber nicht, ob ihr das wirklich behagte so offen zu sein. "Aber warum nicht?" Das überraschte sie wirklich.
"Ist nicht Oxford Euer Zuhause und die Grafschaft, die Ihr einmal erben werdet? Wie kommt es, dass Ihr Euch nicht immerzu dorthin zurück sehnt?"
Dieser junge Rotschopf gab ihr mehr und mehr Rätsel auf. "Ich glaube nicht, dass ich das verstehe...Ihr seid seltsam."

Gabriel

Gabriel schnaubte leise. "Sicher gibt es auch große Künstler hier. Schon unter den Angelsachsen gab es große Dichtkunst, denkt nur an Beowulf. Und der Urgroßvater unseres Königs wurde als der erste Troubadour bezeichnet. Darüber hinaus gab und gibt es große Philosophen und Staatstheoretiker. Alkuin, Berater Karls des Großen, stammte aus England. Oder denkt nur an John of Salisbury, sein Policratius ist jetzt schon ein legendäres Werk!" widersprach Gabriel ihr entschieden.
Doch sein Eifer wurde gedämpft als Giulia ihn überrascht ansah und mit ihren Fragen tiefer in ihn einzudringend drohte als ihm derzeit eigentlich lieb war. "Das ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte. Ich will Euch damit wirklich nicht langweilen." erwiderte Gabriel zurückhaltend. "Ihr habt Recht, Oxford ist die Grafschaft meines Vaters, die ich eines Tages erben werde, so Gott will. Trotzdem habe ich nicht immer nur gute Zeiten dort erlebt und ... zudem auch viel hier in Truro gelebt." versuchte Gabriel es mit einer Erklärung die nicht zu tief in dieses schmerzliche Thema eindrang.

Giulia

"Beo..wulf? Was soll das denn sein? Oder wer?", fragte Giulia irritiert. Davon hatte sie nun wirklich noch nichts gehört. "Schön, dann gibt es vielleicht ein paar bekannte Namen. Aber die Namen vom Festland sind doch um Einiges berühmter."
Giulia musterte ihn nachdenklich. Sie hatte offensichtlich an ein heikles Thema gerührt. "Ihr langweilt mich nicht. Aber Ihr wollt mich besser kennenlernen. Warum verwehrt Ihr mir dasselbe?" Letztlich ließ er sich zumindest ein paar Details entlocken.
"Hier, weil Eure Großeltern hier leben? Nun, sie sind ein wenig eigen, aber sicherlich herzensgute Menschen. Madeleine singt auch von früh bis spät ihr Loblied.", gab sie mit einem kleinen Lächeln zu. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ihr so schwere Zeiten hattet. Ihr seid ja auch noch jung."

Gabriel

"Beowulf." bestätigte Gabriel und nickte dazu entschieden. "Das ist das wohl berühmteste angelsächsische Gedicht. Meine Großeltern haben eine Abschrift von dem Werk, Ihr solltet es bei Gelegenheit lesen." riet er Giulia.
Er sah sie an als ihr Blick musternd über ihn glitt, dann hob er leicht die Schultern. "Vielleicht, weil es ausgesprochen intime Dinge sind, die Ihr da wissen wollt und das, nachdem Ihr mir bis vor wenigen Augenblicken nicht einmal eine Antwort auf meinen Brief geben wolltet." entgegnete Gabriel, dann nickte er, schüttelte aber sogleich auch den Kopf, so als wäre er sich selbst über die Antwort nicht recht im Klaren. "Auch, aber das war nicht der Hauptgrund. Im Übrigen bin ich auch hier geboren worden. Als ich zur Welt kam, hatte mein Vater Oxford noch nicht. Aber Ihr habt ganz recht, meine Großeltern sind recht einzigartige Menschen, aber dabei zweifellos die offenherzigsten und hingebungsvollsten Menschen, die ich kenne."
Dann mit einem Mal verschloss sich Gabriels Miene und ohne es zu wollen, spannte sich sein ganzer Körper an, so als würde er sich für einen Schlag bereit machen. Er schluckte etwas mühsam und wandte den Blick von Giulia ab. "Ihr wisst ja nicht, wie sehr Ihr Euch da täuscht." erwiderte er mit belegter Stimme.