William und Joanna - ab 1183 bis 1184

Cathie freute sich wirklich sehr darüber, mit welchem Ernst Azeem an das Kennenlernen ihres Glaubens heran ging. Er gab sich wirklich größte Mühe und das rechnete sie ihm sehr hoch an. Alles würde gut werden, das hatte sie im Gefühl.
Doch nachdem er heute schon den ganzen Tag im Arbeitszimmer ihres Vaters saß und las, hatte sie nun beschlossen, dass ihm etwas Abwechslung gut tun würde. Vorsichtig betrat sie das Zimmer und schaute sich flüchtig um. Ihr Vater war nicht da, vermutlich war er im Hospital.
Cathie trat leise hinter Azeem und gab ihm dann einen Kuss auf die Wange. "Nun, wie kommst du voran, Liebster? Was für eine spannende Lektüre fesselt dich gerade?"

Azeem

Azeem war so vertieft in die Lektüre, dass er die Tür überhaupt nicht hörte und Cathie erst bemerkte als sie sich zu ihm hinunter beugte. Ein Lächeln trat auf seine Lippen und er legte Cathie eine Hand an die Wange, ehe er ihr einen verstohlenen Kuss gab.
"Dich muss wohl der Himmel schicken." murmelte Azeem und zog Cathie dann auf seinen Schoß hinab. Da sie alleine waren, gestattete er sich solche kleinen Vertrautheiten mit ihr. "Von fesseln kann nicht die Rede sein. Ich habe gerade von diesem Bartholomäus gelesen ... dieser Heilige, den sie bei lebendigem Leib gehäutet haben." Azeem schnitt eine Grimasse. "Ich verstehe einfach nicht, was ihr an diesen barbarischen Heiligengeschichten findet. Fast jeder von ihnen kommt auf eine grausame Weise ums Leben und verehrt werden sie fast wie Gott selbst. Das ist doch völlig widersprüchlich, oder nicht?"

Cathie erwiderte freudig den Kuss, den Azeem ihr gab und lächelte ihn an, als er sie auf den Schoß zog. Sanft lehnte sie sich an seinen Oberkörper. Ein kurzes Grinsen huschte über ihr Gesicht. "Du verwendest ja fast schon christliche Redewendungen.", stellte sie fest.
"Ach herrje, diese Geschichte mochte ich auch nie. Nun, es ist auch wirklich nicht leicht für dich zu verstehen, denke ich. Diese Heiligen sind entweder für ihren Glauben gestorben. Dann sind sie sind Märtyrer und deshalb verehren die Menschen sie so. Oder sie leben Gottes Gebote einfach nur in besonderem Maße aus, sind besonders gläubig oder vollbringen in Gottes Namen große Taten. Sie sind von Gott auserwählt und er leitet ihre Hand. Ich weiß nicht, ob du das begreifen kannst. Mir fällt es gelegentlich auch schwer."

Azeem

Azeem erwiderte ihr Grinsen. "Natürlich, ich habe doch versprochen mir Mühe zu geben, nicht wahr? Da gehört das wohl auch dazu." erwiderte er und zwinkerte Cathie zu. Zärtlich strich er ihr über den Rücken als sie sich an ihn schmiegte und dachte einmal mehr darüber nach wie sehr er sich diese Frau an seiner Seite wünschte.
Er lachte leise und gab ihr noch einen Kuss. "Das beruhigt mich wirklich. Hättest du diese Geschichte gemocht, hätte mich das doch sehr befremdet." neckte er leise und hörte ihr dann aufmerksam zu. Langsam hob er die Schultern. "Für seinen Glauben zu sterben ist ein hohes gut, das verstehe ich, aber was mir unbegreiflich ist, ist die Art und Weise wie diese Heiligen verehrt werden. Gott fordert, dass wir keine anderen Götter neben ihm haben sollen, aber diese Heiligen erscheinen mir fast wie Götter ..." Azeem runzelte nachdenklich die Stirn und seufzte dann. "Es wird vermutlich noch eine halbe Ewigkeit dauern bis ich das alles begriffen habe." murmelte er ein wenig verzweifelt.

Cathie versiegelte seine Lippen noch einmal mit einem Kuss. "Ich weiß und das tust du auch in vorbildlicher Weise. Ich freue mich wirklich darüber." Denn all diese Dinge tat er ganz allein für sie. Damit sie zusammen eine Zukunft haben konnten.
"Ich kenne eigentlich niemanden, der sie mag. Nun ja, die Menschen verehren sie, das ist richtig. Sie bitten sie um Hilfe in ihrer Not. Aber allmächtig und wahrhaftig bleibt allein Gott. Die Heiligen...machen das Ganze teilweise für die Menschen einfacher zu begreifen. Eine menschliche Gestalt, ann die sie sich wenden können. Aber sie sind von Gott gesandt ihre Aufgabe zu erledigen, darum sind sie mehr Gottes Diener als seine Nebenbuhler."
Aufmunternd lächelte sie ihn an. "Aber einige Dinge unterscheiden sich gar nicht so sehr von deinem eigentlichen Glauben, oder? Du machst das wirklich sehr gut für die Kürze der Zeit."

Azeem

Azeem legte den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte. "Du bist wirklich die Tochter deines Vaters." bemerkte er grinsend und konnte einfach nicht widerstehen sie noch einmal zu küssen. "Ich denke, mit der Erklärung kann ich vorerst leben." entschied er und klappte das Buch vorsichtig zu, das bis eben noch offen auf dem Tisch gelegen hatte. "Und vielleicht sollte ich mit solch einem guten Abschluss für heute aufhören, was denkst du?"
Azeem strich Cathie durch die roten Locken und nickte. "Einige Dinge sind sich sehr ähnlich, ja. Das macht es mir ein wenig leichter. Außerdem ist dein Vater sehr geduldig mit mir." Azeem betrachtete Cathie einen Moment lang und lächelte. "Ich wünschte, es wäre jetzt schon so weit und wir könnten heiraten." murmelte er leise.

Cathie lächelte schief. "Hast du etwas Anderes erwartet? Mein Vater war bei meiner Geburt zwar kein Priester mehr, aber solche Dinge hängen einem ewig nach, denke ich. Ich finde auch, du hast für heute genug gelernt. Darum bin ich auch hier. Ich wollte dich von der Arbeit losreißen und mit dir einen Spaziergang durch die schöne Herbstlandschaft machen."
Sie genoss, wie seine Finger durch ihr Haar strichen. "Stimmt es, das ihr in eurem Glauben eure Frauen manchmal nicht berühren dürft, weil sie...wie sagt ihr...unrein sind?", fragte sie schließlich neugierig. "Ich habe eine der Schriften ausgeliehen, die Vater mitgebracht hat aus deiner Heimat. Damit ich etwas mehr über eure Lebensweise herausfinde. Vielleicht fühlst du dich nicht ganz so fremd, wenn wir ein paar Dinge übertragen können." Sie schwieg dazu, dass sie bereits versuchte jemanden ausfindig zu machen, der orientalische Gewürze verkaufte. Das sollte eine Überraschung sein.
"Mein Vater ist ein ausgezeichneter Lehrer, ich könnte mir keinen besseren vorstellen. Und ich schätze, er war damals ein hervorragender Priester. Deshalb gelingt es ihm so gut, dir das zu vermitteln. Es liegt ihm am Herzen, dass du Zugang zu Christus findest." Cathie lächelte sanft. "Bald...bald können wir das, Azeem."

Azeem

"Nicht wirklich." bekannte Azeem lächelnd und nickte. "Das klingt verlockend. Ein Spaziergang ist genau das Richtige nachdem ich die ganze Zeit hier drinnen gehockt habe."
Azeem kratzte sich ein wenig nachdenklich am Kinn und brummte zustimmend. "Es stimmt, dass Frauen zu gewissen Zeiten als unrein gelten und für sie und den Umgang mit ihnen dann strenge Regeln vorgeschrieben sind." bestätigte er langsam und runzelte die Stirn. "Aber ... auch hier gibt es Parallelen in unseren Glaubensrichtungen. Denk nur einmal daran, dass eine Frau nach der Geburt eines Kindes von einem eurer Priester ausgesegnet werden muss ... wenn ich es richtig verstanden habe, ist das durchaus ähnlich."
Azeems Augen leuchteten glücklich und er zog Cathie ein wenig fester an sich. "Ich liebe dich, Cathie." murmelte er und gab ihr noch einen Kuss. "Das klingt wundervoll. Ich würde dir gerne das ein oder andere unserer Kultur zeigen."
Er lächelte leicht. "Ja, bald ... es kommt mir aber immer noch vor als wäre es eine halbe Ewigkeit."

Cathie grinste fröhlich, als Azeem zustimmte und freute sich auf die gemeinsame Zeit mit ihm. Schon als sie eine Freundschaft verbunden hatte, hatten sie viel Zeit miteinander verbracht. Aber jetzt war es noch einmal anders, jede Stunde etwas Besonderes.
"Auch wieder wahr, du hast Recht. Aber..." Sie kicherte leise. "Ich glaube, es hält sich auch nicht jeder so streng daran. Wenn ich mir Onkel William anschaue, der auch nach zwanzig Jahren seine Finger nicht lange von seiner Frau lassen kann..."
Sie erwiderte seinen Kuss und nickte. "Und ich würde es gern kennenlernen. Schließlich mühst du dich auch mit meiner Kultur ab."
Sie strich ihm sanft über die Wange, griff nach seiner Hand und stand dann auf, um ihn mit sich zu ziehen."Nun komm, lass uns gehen..."

Als William in den Burghof von Truro ritt, war ihm deutlich leichter ums Herz als bei seiner Abreise. Er war von London aus direkt nach Surrey geritten und hatte mit Simon gesprochen und ganz wie er erwartet hatte, hatte dieser bereitwillig zugestimmt für Robert zu bürgen. Außerdem hatte William Elias in Surrey gelassen. Da der Junge sich am Hof vorbildlich benommen hatte, hatte er ihm versprochen, er könne ein paar Wochen bei Simon bleiben, ehe er ihn wieder abholte.
Er stieg aus dem Sattel und übergab sein Pferd einem der Stallburschen, die herbei geeilt waren, dann wandte er sich mit einem Lächeln auf den Lippen um, denn er hatte Joanna bereits entdeckt, die ihm nun über den Hof entgegen kam. Mit langen Schritten legte er das letzte Stück zu ihr zurück und schloss sie in die Arme. "Hm, nach all der Zeit vermisse ich dich immer noch fürchterlich, wenn ich mal ein paar Tage weg bin." stellte er fest und küsste sie liebevoll.

Joanna hatte jeden Tag auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet, vor allem auch deshalb, weil sie sich in der aktuellen Lage ziemliche Sorgen machte. Es war so unsicher zwischen Henry und William. Wer wusste schon, was Henry noch einfiel?
Doch nun kam er in den Hof geritten und Joanna ging ihm langsam entgegen. Elias war nicht hier, aber da ihr Mann recht entspannt wirkte, ging sie davon aus, das alles seine Ordnung hatte.
"So wie ich dich...", erwiderte sie, als sie sich von ihm in den Arm nehmen ließ. "Du hast mir auch sehr gefehlt. Wo ist denn Elias? Hast du ihn dort gelassen?",fragte sie interessiert.
"Wie ist es gelaufen?"

William strich Joanna über den Rücken und schüttelte den Kopf. "Elias ist in Surrey. Er hat sich am Hof so vorbildlich verhalten, dass ich ihm erlaubt habe für ein paar Wochen bei Simon zu bleiben. Ich dachte mir, so komme ich ihm ein wenig entgegen." erklärte William und ein Lächeln huschte über seine Lippen. "Erst katastrophal, aber zum Schluss haben wir doch eine Lösung gefunden." Seine Augen funkelten und er küsste Joanna noch einmal auf die Lippen. "Robert wird bald nach Hause kommen können. Ich muss Henry zwei Männer bringen, die für ihn bürgen werden und Simon ist einer von ihnen. Nun brauche ich nur noch einen zweiten, aber das sollte nicht allzu schwer werden, ich habe schon ein paar Namen im Hinterkopf und werde einige Schreiben vorbereiten. Sobald Robert hier ist, wird er Henry gegenüber schwören nie wieder die Waffen gegen ihn zu heben und die ganze Sache ist erledigt." berichtete William eifrig.

Joanna nickte langsam. "Das ist gut. Ich denke, es wird ihm wirklich gut tun sich beweisen zu können. Und vielleicht möchte er ja als Knappe bei Simon bleiben und bei ihm lernen. Oder willst du lieber, dass er zu Henry geht?"
Ihre Miene hellte sich deutlich auf. "Tatsächlich?" Sie atmete erleichtert aus. Endlich...endlich würde diese ganze Sache ein Ende finden.
"Und darauf hat Henry sich eingelassen? Gott sei Dank. An wen denkst du?" Sie zog William mit sich in Richtung Burg.
"Weiß Robert es schon?"

William hob leicht die Schultern. "Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Wenn er unbedingt bei Simon bleiben will, will ich ihm das natürlich nicht verwehren, aber ich würde ihn auch durchaus gerne zu Henry schicken, jetzt da alles wieder in Ordnung kommt." erwiderte William. "Aber warten wir ab, erst einmal geht es darum Robert zurück zu holen."
William nickte. "Er hat den Vorschlag mit Eleonore zusammen ausgearbeitet. Mir kam das natürlich sehr entgegen. Es sind leicht zu erfüllende Bedingungen." William legte einen Arm um Joannas Taille und ging mit ihr zusammen zur Burg hinüber. "Simon wird einer der Männer sein, er hat bereits zugesagt. Bei dem zweiten bin ich noch dabei mir Gedanken zu machen, aber das wird sich schon finden. Ich habe einen Boten zu Robert geschickt, um es ihm mitzuteilen, aber es wird sicher noch ein paar Tage dauern bis er es erfährt." William lächelte zufrieden, endlich begann sich diese Last von seinen Schultern zu heben. "Wie ist es hier gelaufen? Alle gesund und munter?"

"Lass uns abwarten, wie es ihm gefällt und dann fragen wir ihn, was er sich wünscht. Immerhin kann er uns nicht mehr vorwerfen, wir würden ihn hier einsperren und ihm nicht ermöglichen sich zu beweisen. Elias ist jetzt alt genug, ich hoffe nur, er hat seinen Hitzkopf im Zaum."
Joanna lauschte aufmerksam und nickte leicht. "Das ist wahr. Es könnte viel schlimmer sein. Ich hoffe, du wirst auch noch einen zweiten Bürgen für Robert finden. Oh, Robert wird sich so freuen wieder hierher kommen zu können."
Sie lächelte leicht, als sie die Gänge der Burg betraten. "Alles Bestens und alle wohlauf. John versucht eifrig seinen zukünftigen Schwiegersohn zu bekehren. Oh...aber...da wäre doch noch etwas.", fiel ihr plötzlich ein und sie wurde ernst.
"Bleib bitte ruhig, ja? Gerard war hier und hat Mary und die Kinder besucht."

William nickte. "Ich dachte mir, es wäre eine gute Gelegenheit, um ihm einen ersten Einblick ins Knappendasein zu verschaffen." Und Simon freute sich ohnehin immer über solchen Besuch.
William machte eine beschwichtigende Geste. "Das werde ich ganz sicher, es gibt genügend Männer, die in Frage kämen." Und auch genügend, die ihm noch einen Gefallen schuldeten, es sollte also nicht weiter schwierig werden.
William stockte als Joanna ernst wurde. "Ja? Und zwar?" fragte er argwöhnisch, ehe sich im nächsten Moment seine Miene verfinsterte. "Wie bitte?" Entgeistert starrte er Joanna an und schüttelte den Kopf. "Du hast ihn hoffentlich direkt wieder vor die Tür gesetzt?" fragte William, wenngleich er das Gefühl hatte, dass die Antwort 'Nein' lautete.

Joanna konnte dem nur zustimmen. So konnte Elias in ruhiger Umgebung sehen, wie er in dem Leben zurecht kam, das er sich wünschte. Und dann konnte William immer noch entscheiden, zu wem der Junge gehen sollte. "Hat Simon dir einen Brief mitgegeben für mich? Ich würde mich freuen wieder von ihm zu hören."
Williams Beteuerung beruhigte sie. Alles würde gut werden. Alles. William würde zwei Bürgen finden, Robert diesen Eid leisten und dann konnten sie als Familie wieder vereint sein. Ihr Mann lenkte ihre Gedanken dann wieder auf ein viel unangenehmeres Thema.
Joanna verzog leicht das Gesicht. "Nicht direkt. Mary hat mich um zwei Tage gebeten und die habe ich gewährt. Doch sie waren eigentlich fast immer irgendwie in Beobachtung und Mary war so traurig. Sie hat sich so über seinen Besuch gefreut. Der Junge gibt sich wirklich Mühe, das merkt man ihm an. Er versucht sich in den Griff zu kriegen. Ich dachte, zwei Tage könnten nicht schaden. Auch der Kinder wegen."

William grinste breit. "Natürlich hat er das. Ich wollte dich damit eigentlich später überraschen, aber du bist ja wieder einmal viel zu ungeduldig." neckte er Joanna sanft.
Das Thema Gerard stieß ihm hingegen mehr als sauer auf. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein hier einfach aufzutauchen?
"Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, dass ich diesen Kerl nicht hier haben will!" grollte William und verengte die Augen ein wenig. "Zwei Tage sind mindestens zwei Tage zu viel. Ich will ihn nicht hier haben und das wusstet ihr auch. Ich dachte eigentlich, dass sich daran gehalten wird, was ich sage."
William gab ein verächtliches Schnauben von sich. "Mühe? Ha, das ich nicht lache. Und wie genau willst du das beurteilen? Er war zwei Tage hier, in zwei Tagen wird sich selbst dieser gewalttätige Hurenbock ein wenig zusammen reißen können und sein wahres Gesicht zeigt er dann wieder, wenn Mary und die Mädchen ihm schutzlos ausgeliefert sind."

Joanna grinste zufrieden zurück. "Du kennst mich doch. Geduld war noch nie meine Stärke. Ich fürchte, ich werde es in diesem Leben auch nicht mehr lernen."
Sie wurde wieder ernst und ihr Lippen schmal. "Das hast du. Aber er stand hier, verstehst du. Er war schon da und ich musste eine Entscheidung treffen. Er hat nur um zwei Tage gebeten und Mary hat mich regelrecht angefleht, weil sie ihn so vermisst. Und das ist etwas, was ich durchaus verstehen kann. Sie liebt ihn, William. Egal, was wir tun."
Joanna seufzte leise. "Ich habe sie im Auge behalten und fand, dass er anders auf mich wirkte. Beherrschter....ruhiger....Außerdem sind es seine Kinder und wir haben nicht das Recht sie ihm vorzuenthalten."

"Tja, das fürchte ich allerdings auch." stimmte William zu und gab Joanna noch einen Kuss.
Doch diese Sache mit Gerard trübte die Wiedersehensfreude doch deutlich. "Schlimm genug! Wozu unterhalte ich eigentlich eine Wachmannschaft, wenn diese nicht in der Lage ist, die Spreu vom Weizen zu trennen?" grollte William mit sturmumwölkter Miene. "Natürlich, sie hat gebettelt und du bist weich geworden und hast es ihr gestattet ... ich kann mir schon vorstellen, wie es abgelaufen ist."
William ballte unwillkürlich eine Hand zur Faust und musste sich zwingen, sie wieder zu öffnen. Er kochte vor Zorn über diese Unverschämtheit und Gerard konnte wahrlich froh sein, dass William ihn nicht mehr in die Finger bekommen hatte. "Ha! Als würden die Mädchen ihn überhaupt interessieren! Er ist doch nur scharf darauf endlich einen Sohn zu bekommen. Und ich schwöre bei Gott, meine Tochter und meine Enkel vor diesem prügelnden Mistkerl zu beschützen ist mir tausendmal wichtiger als sein Anrecht darauf seine Kinder zu sehen. Zum Teufel damit! In meinen Augen hat er das Recht verwirkt als er meine Tochter geschlagen hat und sollte er noch einmal meinen Grund und Boden betreten, dann verfolge ich ihn, wenn nötig bis nach Essex, um ihn windelweich zu prügeln und dann wird er froh sein können, dass ich ihn überhaupt am Leben lasse."

"Das ist deine Angelegenheit, nicht meine. Als ich davon erfuhr, war Gerard schon bei Mary. Und natürlich kam sie zu mir. Besser, als wenn sie es heimlich getan hätten, oder? Sie tut mir leid, weil sie ihn einfach vermisst. Ich kann das verstehen, weil ich dich auch immer vermisse, wenn wir getrennt sind. Darauf hat sie gebaut."
Sie nahm Williams Hand in ihre. "Ich hatte schon den Eindruck, dass sie ihn interessieren. Ich habe sie heimlich beobachtet und er hat sich schon mit seinen Töchtern beschäftigt. Er war wirklich recht liebevoll mit ihnen. Glaub mir. Normalerweise schätzt du meine Menschenkenntnis auch ganz gut. Du wolltest, dass er sich ändert. Das hast du selbst gesagt. Also gib ihm auch eine Chance sich zu beweisen. Natürlich will ich nicht, dass er Mary nochmal schlägt, aber du solltest nicht ganz so streng sein."

William ballte die Hand erneut zur Faust. "Nun, ich werde wohl einmal ein ernstes Wort mit meinen Wachen reden müssen." brummte er unzufrieden und seufzte dann. Unwillig fuhr er sich durch die dunklen Haare und sah Joanna missmutig an. "Sie schmuggelt ab und zu Briefe zu ihm, nicht? Dann sag ihr, sie soll ihm schreiben, dass er unter keinen Umständen noch einmal unangekündigt hier auftauchen soll oder ich zerreiße ihn in der Luft. Wenn er Mary und die Kinder sehen will, dann hat er mich vorher darüber in Kenntnis zu setzten. Auch das gehört dazu, mir gegenüber guten Willen zu beweisen. Wenn er sich wie ein Verbrecher in meine Burg schleicht, spricht das nicht unbedingt für ihn."

"Da wäre vielleicht ratsam." Joanna verzog leicht das Gesicht. "Ja, ich glaube schon. Ich habe ihr nur geholfen ihm mitzuteilen, dass sie Zwillinge bekommt. Der Rest der Briefe muss einen anderen Weg gegangen sein. Aber ich werde es ihr sagen. Sie wird es ihm mitteilen.", versprach sie leise. "Und jetzt beruhige dich. Es war sicher keine böse Absicht. Er wusste vorher ja nicht, dass du nicht hier sein würdest und Mary ist direkt zu mir gekommen. Ich bin sicher, er wird sich in Zukunft anmelden."
Joanna seufzte leise. William war in diesem Punkt so kompromisslos. Sie hingegen glaubte schon, dass Gerard sich ändern wollte.

William fuhr sich über das Gesicht und hob leicht die Schultern. "Ich will einfach nicht von einer Katastrophe in die nächste stolpern. Ich bin schon froh, dass ich meinen Streit mit Henry beilegen konnte, das hängt mir einfach noch ein wenig nach." erwiderte William resignierend. "Er soll ja seine Chance haben, aber es ist nicht gerade erbaulich, wenn ich nach Hause komme und höre, dass er hier gewesen ist ohne dass ich davon wusste."
William bescherte Roberts Lage schon mehr als ein paar graue Haare, da wollte er sich nun nicht auch noch akute Sorgen um Mary machen müssen, weil Gerard hier heimlich ein und aus ging.

Joanna nickte und küsste ihn sanft auf die Wange. "Ich weiß...und das wirst du auch nicht. Jetzt wird alles gut, mein Liebster. Er wollte nur nachsehen, ob es Mary gut geht und ist schon längst nicht mehr hier. Er ist wieder in Essex."
Sie lächelte leicht. "Mach dir nicht so viele Gedanken. Wir gehen jetzt rein, du nimmst ein schönes, heißes Bad und ich besorge dir etwas leckeres zu essen. Dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, glaube mir."
Sie kannte ihren Mann und sie wusste, wie sie ihn am besten milde stimmte.