William und Joanna - ab 1183 bis 1184

Julia saß auf der gepolsterten Fensterbank, ihrem Lieblingsort in der Burg von Oxford. Dort hatte man einen wundervollen Blick auf den Rosengarten und sie genoss die Ruhe. Die Kinder waren zum Spielen verschwunden, aber hier würde nichts passieren. Hier konnte sie einfach nur beruhigt sein. Sie fühlte sich wohl in diesem Zuhause und hatte sich an ihre Rolle als Burgherrin gewöhnt.
Als Edward nun herein kam, öffnete sie die entspannt geschlossenen Augen und lächelte ihn an. "Edward...heute so früh, Liebster? Alles in Ordnung?"
Sie begrüßte ihn mit einem sanften Kuss.

Als Edward das Gemach betrat, wurde ihm prompt warm ums Herz als er Julia in der Fensterbank sitzen sah. Es war schon ein vertrauter Anblick geworden, waren sie schließlich schon etwas länger in Oxford, aber dennoch genoss er ihn immer wieder. Das Lächeln, das sie ihm schenkte, besänftigte ihn gleich ein wenig und er trat zu seiner Gemahlin, um ihr zur Begrüßung einen Kuss zu geben.
"Hm, sagen wir mal, dein Sohn hat verhindert, dass ich mich noch allzu lange auf meine Arbeit konzentrieren konnte." erklärte er, setzte sich neben Julia in die Fensterbank und zog sich an sich. "Ich mache mir wirklich Sorgen um Thomas. Miles hat ihn heute dabei erwischt, wie er das Tor zu den Koppel öffnen wollte. Natürlich behauptet Thomas, dass er die Pferde nicht hatte freilassen wollen, aber Miles hätte keinen Grund sich so etwas auszudenken ... ich weiß einfach nicht, wie ich an den Jungen heran kommen soll."

Julia lächelte sanft, legte dann aber die Stirn in Falten und sah Edward skeptisch an. "Mein Sohn? Thomas?" Sie seufzte schwer. "Was hat er jetzt wieder angestellt?" Ihr Sohn stellte seit Wochen irgendwelchen Unsinn an um Aufmerksamkeit zu bekommen und sie wusste einfach nicht, was sie besser machen sollte. Ausgerechnet jetzt, wo sie ganz andere Dinge im Kopf hatte, über die sie mit Edward sprechen wollte.
"Herrje....wenn ich nur wüsste, woher die ganzen Flausen in seinem Kopf kommen. Ich denke, ich muss nochmal mit ihm reden. Aber er war schon immeretwas schwierig. Ich glaube, er ist über den Tod seines Vaters noch nicht hinweg. Du musst ihm Zeit geben....hast du ihn bestraft?"

Edward nickte grimmig. Was ihn fast am meisten an seinem schwierigen Verhältnis zu Thomas störte, war die Tatsache, das es Julia belastete. Und das war es, was er dem Jungen wirklich übel nahm. Er konnte damit leben, wenn Thomas nicht mehr mit ihm zu tun haben wollte, als unbedingt nötig, aber dass er seiner Mutter solchen Kummer bereitete, war einfach nicht richtig.
Edward seufzte leise. "Möglich. Auch wenn ich das bei bestem Willen nicht begreifen kann. Tom hat ihn doch bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit geschlagen, wie kann er dem Kerl hinterher trauern? Aber er ist der Meinung, ich wolle dich ihm weg nehmen und obendrein hätten wir ihn um sein Erbe gebracht. Dass er hier viel mehr erreichen kann als ein lausiges Wirtshaus zu führen, will er gar nicht sehen." Edward strich Julia gedankenverloren über den Arm und schüttelte dann den Kopf. "Nein. Am liebsten hätte ich ihm ein paar Manieren beigebracht, so wie er mit mir geredet hat, aber dann wäre ich auch keinen Deut besser als sein Vater es war." murmelte er.

Julia nickte langsam. "Ich weiß. Aber es ist sein Vater und Thomas kennt keinen anderen Vater als ihn. Dir nimmt er ein wenig übel, dass wir so früh geheiratet haben. Er ist noch so jung, Ed. Außerdem hat Tom die Jungs oft mitgenommen. Er war nicht immer nur schlecht zu ihnen, vor allem zu seinem Erben nicht."
Sie biss sich auf die Unterlippe.
"Wir Beide wissen das, aber er nicht. Das Wirtshaus war das, was seinen Vater ausgemacht hat. Das ist nicht einfach für ihn. Aber ich bin dir wirklich dankbar, dass du so nachsichtig mit ihm bist. Wir werden uns etwas überlegen müssen...Aber ich wollte noch etwas mit dir besprechen." Julia lächelte ihn an. "Ich bin wieder schwanger."

Edward seufzte leise. "Sicher. Und jetzt, wo Tom tot ist, ist es für den Bengel natürlich leicht, sich nur an die guten Seiten seines Vaters zu erinnern." brummte Edward.
Er runzelte die Stirn und nickte. "Ja, das müssen wir. Ich habe mir auch schon ein paar Gedanken gemacht, wie -" Edward brach mitten im Satz ab und starrte seine Frau an. "Was?" Er klang ungläubig und irritiert, dann sickerten ihre Worte langsam richtig zu ihm durch und ein breites Grinsen trat auf seine Lippen. "Bei Gott, Julia, das ist fantastisch!" erklärte er überschwänglich, zog sie dichter an sich und gab ihr einen innigen Kuss. Nach Gabriels Geburt war ihm durchaus wichtig gewesen, dass sie nicht sofort wieder schwanger wurde und die vertrackten Umstände hatten dazu beigetragen, dass es ohnehin nicht klappte, doch nach ihrer Hochzeit war der Wunsch nach einem Kind bei ihm immer größer geworden. Nach einem Kind, bei dem er alles miterleben durfte.
Edward schloss kurz die Augen und legte die Hände auf Julias Bauch. "Julia, das ist wundervoll." murmelte er ein wenig heiser. "Wie weit bist du schon?"

Julia nickte. "Natürlich, er ist acht Jahre alt. Was erwartest du? Die anderen Kinder können ihre Väter verehren, das will er auch. Er hat Tom geliebt."
Edwards Reaktion steigerte ihre Laune doch gewaltig. Sie erwiderte seinen Kuss und lächelte. "Das ist es und ich freue mich auch sehr. Ich denke, ich bin nicht allzu weit, vielleicht im zweiten oder dritten Monat. Ich weiß zwar nicht, wie Thomas darauf reagieren wird, aber wir werden es erleben." Sie liebte es, wie Edward seine Hände auf ihren Bauch legte. Auch für sie war es ein neues Gefühl, eine Schwangerschaft völlig unbeschwert genießen zu können. Ohne Arbeit bis zum Umfallen, ohne einen Mann, der sie schlug. Ohne Angst.

Edward nickte langsam. Das Verhältnis zwischen Thomas und dessen Vater würde er vermutlich nie wirklich durchschauen. Es hatte etwas von einem Hund, der ständig geprügelt wurde und doch immer wieder zu seinem Herren zurück gelaufen kam ... aber vielleicht würde der Junge ja irgendwann ein wenig offener werden.
"Ich liebe dich, Julia." murmelte Edward und strich über ihren Bauch. "Und ich freue mich so unglaublich auf das Kind." Endlich war es soweit.
Dann seufzte er leise. "Weißt du, ich hatte überlegt, ob es für Thomas nicht gut wäre, wenn er eine Zeit lang die nahe gelegene Klosterschule besuchen würde. Er könnte am Sonntag hier her kommen und bei uns sein, hätte aber unter der Woche zum einen etwas Abstand und zum anderen genug zu tun, um sich einmal auf sich selbst zu konzentrieren und nicht dauernd nur Unsinn auszuhecken." Edward hob leicht die Schultern. "Mein Vater hat mich damals zu König Henry geschickt und mir hat es wirklich gut getan, vielleicht ... wäre das für Thomas auch eine Möglichkeit, wenn er eine Weile nicht täglich hier sein würde."

"Ich liebe dich auch.", erwiderte Julia leise und war einfach nur zufrieden. Wie gut sich ihr Leben doch entwickelt hatte...
Edwards Vorschlag stieß bei ihr allerdings zunächst auf weniger Gegenliebe. "Ich weiß nicht, Ed. Glaubst du nicht, er wird sich dann erst recht weggestoßen und ungeliebt fühlen, wenn wir ihn in eine Klosterschule und damit von uns weg schicken? Glaubst du wirklich, es würde ihm gut tun? Er hatte doch noch nie Unterrichtin irgendetwas. Außer das, was ich ihm über lesen und schreiben beigebracht habe." Sie verzog leicht das Gesicht.
"Vielleicht tut es ihm auch gut...ich weiß es nicht. Aber irgendwie gefällt es mir nicht ihn wegzuschicken. Wenn du aber der Meinung bist, es hilft ihm...dann entscheide du, ich stehe hinter dir."

Edward nickte. "Er wird sicherlich erst einmal toben und sich ungerecht behandelt fühlen, aber ich hoffe, dass er schnell merken wird, dass es ihm eigentlich gut tut. Garantieren kann ich es natürlich nicht und sollte er überhaupt nicht zurecht kommen, holen wir ihn wieder zurück." Edward sah kurz aus dem Fenster und lächelte dann leicht. "Und genau das ist der Grund, weshalb es Zeit wird, dass er Unterricht bekommt. Ich hatte ohnehin daran gedacht, ab diesem Jahr dafür zu sorgen und unter diesen Umständen ..." Edward strich sachte über Julias Bauch. "Ich schätze, dass es für uns alle entspannter wäre, wenn wir es versuchen." erklärte er langsam.
Er hatte sich damals auch abgeschoben gefühlt, aber er hatte seine neuen Lebensumstände schnell schätzen gelernt und heute war er seinem Vater dankbar für diese Entscheidung. Er erwartete gar nicht, dass Thomas ihm eines Tages dankbar sein würde, aber vielleicht würde er wenigstens Gefallen an seiner Ausbildung finden.

Julia seufzte leise. "Es wird nicht leicht für ihn werden. Aber womöglich hast du Recht under wird merken, was für ein Potenzial ihm das bietet. Der Weg nach Hause steht ihm ja offen. Nun denn...dann lass es uns versuchen. Möchtest du mit ihm sprechen?"
Julia nickte langsam. "Ich denke auch, dass es vielleicht ein wenig ruhiger zugeht, wenn er unter der Woche nicht hier ist. Dann muss ich mir nicht so viele Sorgen machen."
Und Ruhe würde ihr gut tun, da war sie sich wirklich sicher.
"Lass uns abwarten, was auf uns zukommt."

Edward hatte sich entschieden bis zum nächsten Tag zu warten, um mit Thomas in Ruhe zu sprechen. Er hatte sich wenigstens den einen Nachmittag noch Ruhe gönnen wollen und hatte ihn mit Julia und später den drei anderen Kindern sichtlich genossen.
Nun saß er aber wieder in seinem Arbeitszimmer und wartete darauf, dass Thomas zu ihm kam. Er hatte Eric geschickt, um den Jungen zu holen und hoffte nur, dass Thomas seinen Unmut nicht sofort an Edward Knappen ausließ, der in diesem Fall mehr oder weniger der Überbringer schlechter Nachrichten war.
Ein wenig ungeduldig stand Edward auf und wandte der Tür den Rücken zu, trat ans Fenster und sah in den Hof hinaus. Das hier war wirklich eine Prüfung für ihn, schließlich war er nicht gerade ein geduldiger Mensch und er wusste genau, dass sein Feingefühl auch oft genug zu wünschen übrig ließ, aber er würde sein Bestes versuchen.

Thomas

Mürrisch und widerwillig war Thomas der Anweisung seines Stiefvaters gefolgt ihn aufzusuchen. Eric hatte gesagt, es wäre dringend und hatte sich nichts darüber entlocken lassen, worum es wohl gehen würde. Nun trat er also ein, nur angekündigt durch ein kurzes Klopfen an der Tür.
Trotzig stand er vor Edward, den Streit vom Vortag noch nicht vergessen habend. Er hatte keine Ahnung, was sein Stiefvater sich nun schon wieder für ihn ausgedacht hatte.
"Du hast gerufen?", fragte er unfreundlich. Er wollte einfach wieder hier weg, raus in den Stall, wo ihn jeder in Ruhe ließ. Ihn verstand ja ohnehin keiner und seine Geschwister verbrüderten sich mit dem Feind wie seine Mutter. Er stand allein.

Edward atmete geräuschvoll aus als er den trotzigen Ton seines Stiefsohns hörte. Wäre es sein leiblicher Sohn, hätte er sich jetzt eine saftige Ohrfeige eingefangen, aber Edward hatte sich vorgenommen, keine Hand an den Jungen zu legen.
Er drehte sich zu Thomas herum und nickte. "Das habe ich. Ich will etwas mit dir besprechen." Edward wies auf den freien Stuhl vor Thomas. "Setzt dich." forderte er in einem - wie er hoffte - freundlichen Ton und ließ sich dann Thomas gegenüber nieder.
"Thomas, ich habe mit deiner Mutter gesprochen und gründlich darüber nachgedacht, was ich mit dir machen soll, angesichts der Tatsache, dass du es ja kaum in meiner Nähe auszuhalten scheinst." begann Edward langsam. "Da ich ohnehin der Meinung bin, dass du mit deinen acht Jahren unbedingt vernünftig Lesen, Schreiben, Rechnen und all diese Dinge lernen musst, habe ich mich entschieden, dich auf die nahe gelegene Klosterschule hier zu schicken. Sonntags kannst du herkommen, um deine Mutter und deine Geschwister zu sehen, unter der Woche halte ich es jedoch für besser, wenn du dort bleibst. So kannst du dich voll und ganz auf den Unterricht konzentrieren und nicht darauf, wie du mir das nächste Mal eins auswischen kannst." erklärte Edward ernst.

Thomas

Thomas setzte sich widerwillig, zog es aber vor sich zunächst den Vorschlag seines Stiefvaters anzuhören. Der zauberte ihm aber zunächst einen ungläubigen, dann einen ausgesprochen wütenden Ausdruck auf das Gesicht.
"Du willst mich los werden! Du hast Mutter eingeredet, dass ich weg soll! Warum machst du das? Warum hasst du mich? Erst nimmst du mir mein Zuhause weg und dann auch noch meine Familie! ich will nicht schreiben und lesen lernen. Das ist unnötig. Ich will das alles nicht. Ich will meine Mama nicht nur sonntags sehen! Das machst du nur, damit du sie die ganze Woche für dich alleine hast!"
Thomas war aufgebracht aufgesprungen.

Edwards Augen verengten sich leicht. "Ich hasse dich nicht, Thomas. Im Gegenteil, ich wünschte, wir würden uns besser verstehen. Aber so respektlos wie du dich mir gegenüber verhältst, fällt es mir wirklich schwer nachsichtig mit dir zu sein. Und ich bin es Leid, dass du deiner Mutter so viel Kummer machst, nur weil du mir eins auswischen willst. Das hat sie nicht verdient und vielleicht kommst du endlich mal ein wenig zur Vernunft, wenn du etwas sinnvolles mit deiner Zeit anfängst." Edward schnaubte leise und lehnte sich etwas vor. "Lesen und Schreiben ist aber ausgesprochen wichtig, wenn du im Leben weiter kommen willst. Selbst wenn du irgendwann in die Fußstapfen deines Vaters treten und ein Wirtshaus führen willst, also mach die Augen auf Junge und versuch einmal zu begreifen, dass ich dir nichts böses will."

Thomas

Thomas schüttelte energisch den Kopf. "Das willst du gar nicht! Du nimmst mir alles weg, was mir wichtig ist! Und jetzt auch noch Mama! ich mache ihr nur Kummer wegen dir! Wenn du nicht wärst, wäre alles viel besser. Ich bin nicht respektlos, ich sag nur die Wahrheit.", erwiderte er trotzig.
"Pah...das was Mama mir beibringt, reicht aber doch völlig aus. Mehr brauch ich nicht. Da muss ich nicht auf eine Schule gehen. Das mach ich nicht. Nein! Ich werde nicht gehen."
Thomas wandte sich wütend zur Tür.
"Du kannst mich mal...!", rief er zornig und schlug die Tür hinter sich zu.

Edward ballte eine Hand zur Faust und mahnte sich zur Ruhe. "Deine Mutter kann dir aber nicht länger etwas beibringen, sie hat hier auch noch ganz andere Pflichten und du musst einfach etwas lernen. Ich will dir die Chance geben etwas aus deinem Leben zu machen, Thomas." erwiderte Edward mühsam beherrscht.
Im nächsten Moment blitzten seine Augen zornig auf und er eilte hinter Thomas her und erwischte ihn direkt draußen auf dem Gang. Er zog den Jungen zu sich herum und hielt ihn am Kragen gepackt. "Wage es ja nicht noch einmal so unverschämt mit mir zu sprechen! Eigentlich hättest du schon längst eine Tracht Prügel verdient, respektlos wie du bist, aber ich will es deinem Vater nicht gleich machen. Ich weiß, dass das alles schwer für dich ist, aber so wird es nie besser werden." zischte Edward wütend. "Du musst mich nun wirklich nicht lieben, aber du musst wenigstens aufhören, dich so rotzfrech zu benehmen."

Thomas

"Ich kann aus meinem Leben aber selber was machen. Dazu brauch ich dich nicht..." Kurz nachdem Thomas den Raum hinter sich gelassen hatte, fand er sich am Kragen gepackt wieder und starrte in Edwards wütendes Gesicht.
"Ich rede wie ich will! Du bist nicht mein Vater und du wirst es nie sein! Dann schlag mich doch! Mach doch! Denkst du, ich habe Angst vor dir? Ich bin nicht rotzefrech."
Thomas riss sich  los und rannte fort, in den Stall zu den Pferden, die ihn immer zu trösten verstanden und die ihn nicht schlecht redeten. Und dann...dann fiel sein Blick auf Chouchou.

Edward war für einen Sekundenbruchteil wirklich versucht Thomas eine Ohrfeige zu verpassen, doch ehe er diesen Entschluss umsetzen konnte, riss der Junge sich los und bewahrte Edward damit unwissentlich vor etwas, das er hinterher wahrlich bereut hätte.
Es war nicht so, dass Edward der Meinung war, dass eine Ohrfeige hin und wieder nicht angemessen wäre, aber gerade bei Thomas war es in seinen Augen der falsche Weg. Er wollte ihn nicht behandeln wie Tom es getan hatte ...
Deshalb blieb er auch auf dem Gang stehen als der Junge nun davon lief und fuhr sich müde über die Augen. "Was soll ich mit dir nur machen, Junge?" murmelte er leise. Manchmal hatte er das Gefühl, sie hatten doch alle Recht gehabt ... er war einfach nicht sonderlich gut geeignet für eine Vaterrolle und schon gar nicht für ein bockiges Stiefkind.

Thomas

Thomas hatte eine Weile überlegt, dann aber einen Entschluss gefasst. Wenn ihn hier sowieso keiner haben wollte, würde er eben gehen. Aber ganz sicher nicht in das Kloster, das sein Stiefvater für ihn vorsah. Er würde sich auf den Weg machen irgendwohin, wo man ihn respektierte. Vielleicht nach Hause...nach Truro. Dort warteten seine Freunde sicher noch auf ihn.
Aber er wollte nicht einfach so gehen. Es sollte Edward weh tun und ihn daran erinnern, was er getan hatte. Also hatte Thomas sich in den Kopf gesetzt Chouchou zu nehmen statt eines der braven Ponys. Chouchou, von dem Edward immer tönte, niemand sonst könne ihn reiten.
Mühselig und mit einem Stuhl schaffte er es schließlich dem schwarzen Hengst die Trense überzustreifen und sich auf den bloßen Rücken zu hieven.
Und es hatte funktioniert. Willig war der Hengst mit ihm hinaus aus dem Stall gelaufen und los in die Wildnis. Er hatte keine Ahnung, wohin er lief, aber er lief.
Er ritt bis es Nacht wurde und legte sich fröstelnd ins Gras. Und zu seinem Erstaunen ließ sich das große Schlachtross direkt neben ihm nieder.

Edward kniff die Augen zusammen und sah sich suchend um. Zum Glück war die Nacht sternenklar und der Mond spendete wenigstens ein bisschen Licht, sonst wäre sein Unterfangen wohl vollkommen aussichtslos gewesen. Wenngleich er sich auch so schon wenig Hoffnung auch Erfolg machte.
Die Nachrichten, dass Thomas verschwunden war und dass Chouchou nicht mehr in seinem Stall stand, waren beinahe zeitgleich bei Edward angekommen und es war nicht schwer gewesen eins und eins zusammen zu zählen. Edward seufzte leise. Er hatte ein schlechtes Gewissen, denn im ersten Moment war er einfach nur wütend gewesen, dass der Bengel sich sein Pferd genommen hatte. Sorgen um Thomas hatte er sich nun wirklich keine gemacht.
Doch mittlerweile hatte sich das geändert und er hoffte wirklich, dass er den Jungen noch finden konnte, bevor etwas passierte. Weder Julia würde ihm sonst verzeihen, noch er sich selbst ...
Edward runzelte die Stirn und streckte sich etwas im Sattel. War dort vorne etwa ...?
Er trieb sein Pferd ein wenig an und als er dicht genug heran war, um das große Schlachtross und den Jungen daneben zu erkennen, sprang er einfach aus dem Sattel und eilte auf das ungleiche Paar zu.
Chouchou sah ihm mit wachen Augen entgegen, rührte sich jedoch nicht vom Fleck als Edward sich neben Thomas auf die Knie sinken ließ.
"Thomas ..." murmelte er leise und strich dem Jungen über den wirren Schopf. "Komm schon, Junge." Vorsichtig schob er einen Arm unter den schmächtigen Körper, ließ sich zurück sinken und zog den schlafenden Jungen auf seinen Schoß. "Was machst du denn für Sachen?"
Edward war erstaunt, wie erleichtert er war, dass er Thomas gesund und munter wieder gefunden hatte. Nicht nur wegen Julia, sondern auch, weil ihm der Junge nicht so egal war, wie er sich bisher eingeredet hatte.

Thomas

Thomas hatte sich dicht an den Bauch des Hengstes gekuschelt, um etwas von seiner Wärme abzubekommen und so war er schließlich erschöpft eingeschlafen. Er hatte gehofft, er wäre weit genug gekommen, damit ihn niemand fand und damit er genug Vorsprung hatte.
Er regte sich leicht, als er spürte, wie er bewegt wurde und wie schließlich eine warme Hand durch seinen Schopf fuhr, beinahe liebevoll. Er murrte leise im Halbschlaf und kuschelte sich etwas dichter an die Person neben sich.
Eine leise Stimme sprach mit ihm und schließlich öffnete er blinzelnd die Augen, starrte verschlafen in Edwards nur vom Mondlicht erhelltes Gesicht. Im nächsten Moment schrak er hoch und wollte sich los machen. Sein Stiefvater, ausgerechnet! Der würde ihn doch nur zurükbringen wollen.

Edward war überrascht, wie warm ihm ums Herz wurde, also Thomas sich im Halbschlaf instinktiv an ihn kuschelte. Er musste lächeln und hauchte dem Jungen einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. "Gott sei gedankt, dass dir nichts passiert ist, du Lausebengel." murmelte er leise.
Hingegen wenig überrascht war er, als Thomas die Augen aufschlug und sich im nächsten Moment zu befreien versuchte. Edward hielt ihn jedoch fest, bemüht ihm dabei nicht weh zu tun, und schüttelte den Kopf. "Ruhig, ruhig, du verschreckst sonst ja noch deinen treuen Wegbegleiter und das wäre doch sehr undankbar nachdem er dich hier hergebracht und sogar gewärmt hat, meinst du nicht?" bemerkte er ruhig und setzte Thomas vor sich auf den Boden. "Bist du wirklich mit diesem verrückten Gaul bis hier her geritten?" fragte er neugierig und ließ den Blick zwischen Thomas und Chouchou hin und her gleiten. "Oder bist du gelaufen und hast ihn nur mitgenommen, um mich zu ärgern?"

Thomas

Thomas glaubte wirklich, er habe sich verhört und spürte deutlich, dass Edward ihn auf die Stirn küsste. Das verstand er nun ganz und gar nicht. Edward hasste ihn doch. Er wollte ihn loswerden. Dennoch fügte er sich und ließ sich beruhigen, weil er Chouchou tatsächlich nicht verschrecken wollte. Der Hengst war schließlich so brav gewesen.
Er schaute unruhig zwischen dem Rappen und seinem Besitzer hin und her. Jetzt würde sicherlich die Standpauke seines Lebens kommen und er zog schon einmal unbehaglich die Schultern hoch.
Thomas war aber überrascht, dass Edwards Ton recht ruhig blieb. Er schüttelte den Kopf. "Ich bin geritten...bin im Stall mit einem Stuhl aufgestiegen und er ist gelaufen bis hierher. Hier dachte ich, es wäre genug..."