William und Joanna - ab 1189 bis 1190

"Er hat heute in einer Pfütze aus Blut neben Arthur und dir gekniet, hat Arthur sterben sehen und fürchtet sich bis jetzt noch davor, du könntest ebenfalls sterben. Er wird nicht das Kind bleiben, das er bis heute morgen noch war. Das ist einfach unmöglich." Außerdem war Constantin alles andere als dumm, er wusste genau, was Arthurs Tod und dessen Testament bedeuteten und was das für ihn selbst alles änderte.
Constance atmete zitternd durch. "Arthur war jahrelang mein bester Freund, neben deiner Schwester der einzige Mensch, der sich für mich interessiert hat und mit dem ich gerne zusammen war. Und ja, John, ich habe ihn einmal geliebt, aber das ist lange her. Ich habe mich für dich entschieden und das ist es doch, was zählt, nicht wahr? Ist es denn trotzdem so verwunderlich, dass Arthur mir nicht egal ist? Dass sein Tod mich schmerzt und dass ich ihm die letzte Ehre erweisen will, wenn sonst schon niemand weiter an seinem Grab steht, der ihm verbunden war?" Wer wusste schon, ob Alais kommen würde ...
Was John dann jedoch sagte, ließ Constance wie unter einem Peitschenhieb zurückzucken. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. "Wie kannst du das nur glauben?" wisperte sie heiser. "Wie kannst du wirklich denken, ich würde mir jemals deinen Tod wünschen?" fragte sie und erhob sich, weil sie nicht länger ruhig sitzen bleiben konnte. Trotzdem sah sie John in die Augen als sie weiter sprach. "Kennst du mich wirklich so schlecht?" Sicher, sie würde in den nächsten Tagen Zeit haben über das Geschehene nachzudenken und sie würde ohne Zweifel auch damit hadern, aber nie könnte sie John deswegen hassen. Nie könnte sie seinen Tod herbei wünschen.

"Das hat er. Und deshalb ist es wichtig ihm ein bisschen Geborgenheit zu vermitteln. Wirst du das können auf einer langen Reise durch die Fremde?" Sie würde es schließlich allein tun müssen, er konnte sie nicht begleiten und er wusste auch nicht, ob er das wollte.
"Ich wusste immer, dass er dir nicht egal ist, sonst hättest du ihn nicht fortwährend verteidigt und Ausreden für sein Verhalten gefunden. Außerdem ist es ja nicht so, dass er niemanden hat. Er hat dort auch Freude und ich bin mir auch sicher, dass Alais kommen wird. Aber es hat doch ohnehin keinen Sinn mit dir darüber zu diskutieren. Deine Entscheidung steht fest und du wirst nicht mehr daran rütteln. Du wirst dorthin reisen, ob mit oder ohne mein Einverständnis. Du wolltest nicht wirklich darüber reden, du wolltest mich informieren." Und sie hatte es ohne ihn einfach entschieden. Das verletzte ihn. Dennoch war er einfach nicht in der Lage ausschweifende Diskussionen mit ihr zu führen, seine Gedankengänge waren derzeit nicht scharf genug.
"Gerade weil ich dich kenne...du hast seit Jahren nie richtig Ruhe gefunden, weil du dich immer insgeheim fragst, ob deine Entscheidung richtig war. Vielleicht war es dir selbst gar nicht so sehr bewusst, aber es ist defintitv so. Da ist der Gedankengang dazu nicht allzu weit. Du wünschst dir nicht direkt meinen Tod. Aber du wirst mit meiner Rolle bei dieser Sache hadern.

"Natürlich kann ich das, ich bin seine Mutter! Und wenn ich mit ihm bis nach Jerusalem und wieder zurück reisen müsste, ich wäre immer in der Lage ihm Geborgenheit zu vermitteln." erwiderte Constance entschlossen und auch eine Spur verletzt darüber, dass ihre Qualitäten in dieser Hinsicht angezweifelt wurden.
Constance biss die Zähne aufeinander und schloss die Augen. Sie hatte geahnt, dass John nicht begeistert sein würde, aber dass es so ausarten würde, hatte sie nicht erwartet. Schließlich öffnete sie die Augen wieder und sah ihn an. "Wenn du willst, dass ich bleibe, dann sag es." erwiderte sie schließlich. "Sag es und ich ... ich werde bleiben." Constance atmete zitternd durch. "Aber ich denke, dass Constantin unabhängig davon selbst entscheiden sollte, ob er nach Hereford gehen will oder nicht." Vielleicht konnte Lucas ihn begleiten, wenn sie hier blieb. Ansonsten fiel ihr niemand so recht ein.
Constance schlang die Arme um ihren Oberkörper und erschauderte leicht unter Johns Worten. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist bei dir zu bleiben, John." Hätte sie daran gezweifelt, an sich und John, an ihrer Liebe zueinander, dann hätte Arthur leichtes Spiel gehabt, dann wäre sie nach Hereford gegangen.

"Auch, wenn du so viel zu tun hast? Niemand, der dir etwas abnehmen kann und dazu ein kleiness Kind? Das würde selbst dich an deine Grenzen bringen, oder nicht?", fragte John leise. Er wollte Constance ja nicht die Fähigkeit absprechen sich um ihren Sohn zu kümmern, aber mit dieser Sache übernahm sie sich ein wenig.
Bei ihrer Aufforderung hob er erstaunt die Augenbraue.
"Nein.", sagte er dann. "Du wirst in dieser Sache eine eigene Entscheidung treffen müssen. Du wirst mir nicht den schwarzen Peter zuschieben. Das ist deine Sache. Wenn du gehen willst, bitte, geh. Aber erwarte von mir nicht, dass ich mich darüber freue. Constantin wird ohnehin nicht ohne dich gehen wollen."
John zwang sich dazu bei der Sache zu bleiben, als seine Gedanken fort schweben wollten. Die Mittel gegen die Schmerzen sorgten dafür, dass er nicht ganz so klar denken konnte wie sonst, als würde sein Kopf im Nebel stecken.
"Dann ist es ja gut..." Er wusste nicht, ob er das wirklich glauben sollte. Sicher hatte sie Nächte gehabt, in denen sie wach lagund nachdachte, ob sie nicht besser anders entschieden hätte.

Constance verengte die Augen. "Versuch ja nicht mir einzureden, ich sei eine schlechte Mutter. Unfähig mich auch in solch einer Situation um mein Kind zu kümmern." Von all den vergifteten Worten, die sie schon gewechselt hatten, trafen diese Constance wohl am meisten. Sie liebte ihre Kinder, tat alles für sie und die Unfähigkeit ihnen zu helfen, war ihr größter Albtraum. "Außerdem ist Constantin bei Leibe nicht mehr so klein, wie du tust. Andere Jungen in seinem Alter sind schon als Pagen an irgendwelchen Höfen, er ist also kein kleines Kind mehr."
Constance schnaubte leise. "Oh bitte, meine Entscheidung? Mit all den Vorwürfen, die du mir deswegen machst? Als ich herkam, habe ich nicht erwartet, dass du dich freuen würdest, ich wusste, dass du nicht begeistert sein würdest, aber ich hatte gehofft, du würdest wenigstens ein klein wenig Verständnis aufbringen. Herrgott nochmal, John, wir reden hier immerhin über deinen Bruder. Und wenn ich dich daran erinnern darf, du selbst hast ihm noch auf seinem Sterbebett verziehen! War das etwa nur ein schnödes Lippenbekenntnis und mehr nicht?"
Constance schloss die Augen. Dann ist es ja gut ...
Er glaubte ihr nicht. Er glaubte ihr nicht und er vertraute ihr in dieser Sache auch nicht und das verletzte sie nach all den Jahren immer wieder aufs Neue.

John schloss die Augen. "Das tue ich nicht. Aber du solltest darüber nachdenken. Ich kann dich eben nicht begleiten um dir zu helfen. Andere Jungen sind aber nicht schon in diesem Alter hin und her gerissen, haben solche Dinge wie heute nicht mit ansehen müssen."
Er grub die Finger in seine Bettdecke.
"Natürlich ist es deine Entscheidung! Oder glaubst du, ich würde dich für eine falsche Entscheidung bestrafen? Entweder du gehst oder du gehst nicht. Ich werde diese Sache nicht entscheiden. Es ist nicht so, dass ich nicht verstehen kann, warum du glaubst gehen zu müssen. Es gefällt mir trotzdem nicht. Ich habe ihm verziehen, aber deshalb habe ich nicht alles gleich vergessen. Falls es dir entfallen ist, er hat versucht mich zu töten. Entschuldige, dass es mir da ein bisschen schwer fällt heute versöhnlich zu sein. Du musst tun, was du für richtig hältst. Ich kann nicht einmal richtig denken, Constance, weil Azeem seinen Vorrat an schmerzlindernden Substanzen an mir erschöpft hat, so wie es sich anfühlt. Ich werde so keine Entscheidung treffen. Mach das selbst, ich habe ohnehin keine Wahl als hier liegen zu bleiben. Wenn du glaubst, du musst das tun, dann tu es."
Arthur triumphierte auch jetzt noch. Aber John war dieses Streites müde.

"Ja, das glaube ich, denn es ist genau das, was du tust. Du bestrafst Menschen um dich herum mit dieser ganz besonderen Art von Missfallen, wenn sie anders handeln, als du es für richtig hältst. Das hast du immer schon getan. Nie würdest du es offen vor dir hertragen, aber manchmal reicht schon ein Blick von dir, ein Stirnrunzeln ... ein Wort und es ist klar, was in dir vorgeht." erwiderte Constance mit belegter Stimme.
Constance lag noch so viel auf der Zunge, aber sie schluckte es alles hinunter und nickte nur kurz. "Am besten solltest du jetzt auch noch etwas schlafen. Dich ausruhen. Ich ... komme später wieder." erklärte sie, dann wandte sie sich mit einem letzten Blick auf John ab und ging zur Tür, bestrebt sich nicht noch einmal umzudrehen, damit er die Tränen nicht sah, die ihr bereits ihre Augen füllten und ihr über die Wange liefen als sie die Tür erreicht hatte.

John fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, als sie sich abwandte. Er war einfach nicht in der Verfassung für Streitigkeiten mit Constance, die eine wahre Ehekrise hervorrufen könnten. Als sie sich abwandte, zögerte John einen Moment. Er konnte sie nicht aufhalten, konnte er das Bett doch nicht einmal verlassen. Aber wollte er sie so gehen lassen? Es würde etwas verändern...
"Constance!", rief er sie noch einmal an. "Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was du von mir hören willst, aber  ich kann einfach nicht so tun, als würde mir gefallen, wenn ihr dort hin geht. Was das Missfallen angeht...du weißt es. Ich war schon immer so und es war in Ordnung für dich, dass ich so bin. Aber wenn du gehen willst, dann geh. Du wirst es mir ohnehin nicht verzeihen, wenn du meinetwegen nicht gehst."
Warum sie nur zu erwarten schien, dass es für ihn so einfach war?

Constance hielt an der Tür inne als John ihren Namen rief. Sie zögerte, fuhr sich mit den Händen verstohlen über das Gesicht, um die Tränen fortzuwischen, dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Es muss dir nicht gefallen, John, das habe ich gar nicht erwartet.“ erwiderte Constance ein wenig heiser. „Ich hatte nur … ich weiß auch nicht … vielleicht auf einen Funken Verständnis gehofft. Es gibt zwischen gefallen und missbilligen schließlich noch eine ganze Menge Abstufungen an Empfindungen.“ Sie hatte gewusst, dass er es nicht gerade begrüßen würde, aber aus irgendeiner irrigen Laune heraus hatte sie angenommen, dass John zumindest ihr Gefühl von Notwendigkeit für diese Dinge verstehen und akzeptieren würde.
Constance lächelte müde. „Schlaf jetzt etwas, ja? Du musst dich ausruhen und ich muss nachdenken.“

John hatte nach diesem Streit natürlich kein bisschen erholsamen Schlaf gefunden und fühlte sich spät am Abend als wäre er unter die Räder gekommen. All diese Dinge gingen ihm ohne Unterlass im Kopf herum, all diese Fragen. Wenn Constance nun morgen aufbrach, was würde er hier so alleine tun? Es fühlte sich ein bisschen an, als würde sie ihn im Stich lassen. Natürlich war das nicht ihre Absicht, aber es war trotzdem kein schöner Gedanke.
Als sich schließlich die Tür einen Spalt aufschob, schaute John überrascht auf und lächelte matt, als er William im Türrahmen stehen sah, der ihn ohne Zweifel nicht hatte wecken wollen.
"So sind unsere Rollen diesmal vertauscht, alter Freund."

William hatte den Tag in völliger Ahnungslosigkeit über die Katastrophe, die in Truro hereingebrochen war, verbracht. Mit Robert hatte er die umliegenden Dörfer besucht und diesen Ausflug durchaus genossen. Er liebte es mit den Menschen hier direkt in Kontakt zu kommen, sich ihre Sorgen anzuhören, aber auch ihre Freuden und Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Und noch schöner war es mit Robert an seiner Seite. Wenn er sehen konnte, wie sein Sohn mit den Menschen hier umging und vor allem, wie freudig diese ihn aufnahmen, wärmte es William jedes Mal das Herz.
Als er nun am späten Abend wieder nach Hause gekommen war, hörte er sofort von den Ereignissen und er schlug umgehend den Weg ins Hospital ein, um eigenhändig nach John zu sehen.
Leise öffnete er die Tür, um seinen Freund nicht zu wecken, sollte dieser schlafen, allerdings erwies sich Williams Vorsicht als unnötig. John war wach, sah aber reichlich mitgenommen und erschöpft aus.
William schnitt eine kleine Grimasse. „Unnötig, dass du mir alles nachmachen musst.“ bemerkte William, schloss die Tür hinter sich und trat an das Bett heran, um sich vorsichtig auf der Kante niederzulassen. „Wie geht es dir?“ erkundigte William sich forschend.

John lächelte schief. "Zu meiner Verteidigung, ich habe es nicht darauf angelegt. Ach, es könnte besser sein, aber vermutlich hatte ich noch Glück im Unglück. Er hätte mich auch töten können. So war es mein Dolch, der fehl ging."
John richtete sich mühselig ein paar Zentimeter auf. "Am Schlimmsten ist diese ewige Streiterei mit Constance. Diese Dinge lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Sie wird morgen mit Constantin nach Hereford aufbrechen. Das gefällt mir nicht. Sicher war er mein Bruder und es ist sicher gut ihm die letzte Ehre zu erweisen, allerdings hat er versucht mich umzubringen. Warum muss es Constance sein, die all das organisiert? Es fühlt sich an, als hätte er doch noch gewonnen. Und so wird es sein. Constantin wird nicht mehr mein Sohn sein."

William grinste leicht. „Ich habe es auch nie darauf angelegt.“ bemerkte er und nickte dann nachdenklich. „Glück im Unglück kann man sagen. Ich bin jedenfalls heilfroh, dass du noch am Leben bist und da bin ich bei Weitem nicht der Einzige.“
„Ihr habt gestritten?“ fragte William verwundert, der nach solch einem Eklat nicht unbedingt einen Streit zwischen den beiden erwartet hätte, doch im nächsten Moment wurde ihm so einiges klar. „Hmm, kompliziert.“ brummte er nachdenklich und fuhr sich versonnen über den Bart. „Ich kann verstehen, dass du darüber nicht glücklich bist. Aber du musst dir vor allem klar machen, dass Arthur nicht gewonnen hat. Er ist tot, du noch am Leben und kannst dich an deiner Frau und deinen Kindern erfreuen.“ William lächelte schief. „Ich weiß, die Leute werden dir sagen, dass Constantin immer dein Sohn bleiben wird, dass sich diese Sache nur formell ändert und sie haben Recht. Aber ich weiß ganz genau, wie schmerzhaft solche Dinge sind. Es kratzt am Stolz und der Ehre und das ist oft schmerzhafter als jede geschlagene Wunde.“ Wie sehr litt er selbst doch noch unter dem Verlust seines Amtes und das obwohl alle Welt ihm sagte, dass er doch immer noch ein wichtiger, einflussreicher Mann war und dass er als Ratgeber immer noch gefragt und von großem Nutzen war. Aber es war einfach nicht dasselbe.

John nickte. "Das bin ich auch. Ich dachte, er würde mich töten. Es war nur eine glückliche Fügung, die mich gerettet hat. Und die Tatsache, dass ich nie ohne meinen Dolch das Haus verlasse..."
Er seufzte tief und verzog leicht das Gesicht, als dabei ein stechender Schmerz durch seine Wunde zuckte.
"Wir streiten oft in letzter Zeit. Und das Thema ist in vielfacher Variante immer dasselbe. Du hast Recht, er ist tot. Aber Constance wird ihn nicht loslassen und ich bin mir nicht sicher, ob sie mir verzeihen wird, dass ich Arthur getötet habe. Auch, wenn es ein Unfall war.", erwiderte er leise.
"Ja, das tut es. Es schmerzt mich, weil ich dieses Kind aufgezogen habe und ihm beigebracht habe, was es weiß. Ich habe mich entschieden ihn trotz aller Ungewissheit als meinen Sohn anzunehmen. Und nun, nun nimmt man mir ihn und ich werde nie wieder in aller Offenheit sagen können, er sei mein Sohn. Ich bin sein Stiefvater, sein Onkel, aber nicht mehr sein Vater. Constance begreift nicht, wie sehr mich das wirklich schmerzt. Ich könnte so tun, als wären diese Dokumente falsch. Aber zum einen weiß ich nicht, ob er wirklich mein Sohn ist und zum Anderen würde ich ihm eine bessere Zukunft nehmen, als ich sie ih jegeben kann und das werde ich nicht tun. Arthur wusste das genau."

„Eine sehr weise Vorkehrung, mein Freund.“ erwiderte William und lauschte Johns Bericht dann mit ernster Miene. „Aber vielleicht wird sie ihn nun los lassen, sobald er beigesetzt ist. Vielleicht findet diese Sache dann endlich Frieden.“ William legte den Kopf schief und lächelte dann leicht. „Sie wird es dir verzeihen, du Narr. Sie liebt dich von ganzem Herzen. Ich habe sie als ich zurück gekommen bin kurz gesehen, sie ist völlig durch den Wind und hat wahnsinnige Angst, dass sie dich verlieren könnte – auf die ein oder andere Art und Weise, wie mir scheint. Natürlich wird sie dir diesen Unfall verzeihen. Wenn du selbst es auch kannst.“
William seufzte leise. „Verständlich. Ich habe eine Tochter, die ich nie so nennen konnte. Ich habe von Anfang an akzeptieren müssen, dass sie in den Augen der Welt nie mein Kind sein wird. Und ich will mir gar nicht ausmalen wie viel schwerer es für mich geworden wäre, wenn ich sie als kleines Mädchen noch bei mir gehabt hätte.“ bemerkte William ernst. „Aber so schwer es auch ist, Constantin profitiert von diesem Erbe, du sagst es ja selbst. Und du wirst in seinem Herzen immer sein Vater bleiben und hier könnt ihr das auch nach wie vor ohne Einschränkungen sein.“

"Spätestens meine Erfahrungen mit Tom, dem Wirt, haben mich gelehrt, dass diese Maßnahme ihre Berechtigung hat. Mehr als einmal war es durchaus sinnvoll." John wiegte den Kopf hin und her. "Ich bin nicht sicher, William. Ich wäre froh, es wäre so, aber sein Schatten wird immer da sein. Weil Constantin dieses Erbe antreten wird. Ich werde mich immer noch damit auseinander setzen müssen."
Er schaute William ernst an. "Vielleicht tut sie das. Aber ehrlich gesagt bin ich mir nicht allzu sicher, ob sie ihn nicht ebenso geliebt hat. Sie hat ihm gesagt, sie würde mich nicht verlassen, solange ich lebe. Was Arthur natürlich als Aufforderung gesehen hat. Sie würde mich nicht verlassen, weil sie weiß, dass ich damit nicht zurecht käme. Manchmal frage ich mich, ob das der einzige Grund ist, denn machen wir uns nichts vor, die Entscheidung war nicht eindeutig und leicht zu fällen für sie. Sie ist nicht grundlos in seinem Bett gelandet. Und nun wird sie dorthin gehen und ich fühle mich, als würde sie mich im Stich lassen, auch wenn es ein bisschen albern ist."
John seufzte. "Ich weiß nicht, ob ich es irgendwann kann. Es war ein Unfall und ich war in Panik, er wollte mich umbringen! Aber Tatsache ist, ich habe meinen eigenen Bruder umgebracht."
Er lauschte aufmerksam. "Ja und ich bin froh, dass wenigstens du verstehen kannst, was es für mich bedeutet. Constance...begreift es nicht. Als wäre es so leicht für mich. Ja, er profitiert davon, aber er ist jung und beeinflussbar. Irgendwann wird er nicht mehr Vater zu mir sagen, nicht mal mehr, wenn wir allein sind. Niemand wird sehen, dass ich ihn aufgezogen habe. Er wird Arthurs Sohn sein. Sie werden Arthurs Erbe sehen, nicht meins. Ich wünschte, ich wüsste, ob er mein Fleisch und Blut ist. Es hätte alles so viel leichter gemacht."

William sah John irritiert an. "Sie hat gesagt, sie würde dich nicht verlassen, weil sie weiß, dass du damit nicht zurecht kämst?" fragte er mehr als verwundert. Das waren nun wirklich keine Worte, die William Constance zugetraut hätte. Und er konnte auch nur schwerlich glauben, dass das der Wahrheit entsprechen sollte.
"Nein, die Entscheidung war nicht leicht für sie, aber sie hat sie dennoch zu deinen Gunsten getroffen und das sollte doch für sich sprechen, denkst du nicht? Sie hatte über die Jahre genügend Gelegenheiten sich umzuentscheiden, sie hätte jeder Zeit ihre Sachen packen und nach Hereford gehen können. Aber sie hat es nicht getan. Spricht das nicht auch für sich?"
William schüttelte leicht den Kopf. "Wie kommst du darauf, dass er das nicht mehr tun wird? Ja, er ist jung und beeinflussbar, aber wieso sollte ihm das zum Nachteil gereichen? Es wird ein Verwalter in Hereford eingesetzt und Constantin bekommt einen Vormund, der dafür sorgt, dass er nicht eigenmächtig irgendwelchen Unsinn in der Grafschaft anstellen kann, ehe er nicht mündig ist. Und solange bleibt der Junge doch auch hier. Hier bei dir. Du hast also nach wie vor Zeit, die du ihm widmen kannst und du bist es, der ihn weiter prägen wird."
William runzelte die Stirn. "Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn klar wäre, dass er dein Sohn ist, ja. Aber wenn sicher wäre, dass er Arthurs Sohn wäre, hätte das alles nur noch komplizierter gemacht. Du hättest ihn trotzdem in dein Herz geschlossen, dich Jahre lang um ihn gekümmert ... es wäre nur schlimmer gewesen, wenn Arthur gekommen wäre, um ihn zu holen. Denn dann hätte er ihn auf Dauer mitnehmen können."

John sah William verwundert an, schüttelte dann den Kopf. "Nein, das hat sie nicht gesagt und sie würde es auch nicht zugeben. Aber ich weiß, dass es so ist und dass auch das ein Grund ist, warum sie bei mir geblieben ist. Sie hat die Entscheidung für mich getroffen, aber sie nimmt ihn bei jeder Gelegenheit in Schutz, selbst jetzt noch. Er hätte mich nicht getötet, davon ist sie fest überzeugt. Aber in dieser Situation wollte er es beenden, endlich wollte er sein einziges Hindernis aus dem Weg räumen. Aber vielleicht hast du Recht und es legt sich nach der Beisetzung. Es behagt mir trotzdem nicht, dass sie dorthin geht. Darüber haben wir so gestritten. Vielleicht bin ich auch etwas unbedacht in meinen Worten, aber ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. In einer solchen Lage über solche Dinge zu diskutieren... Azeem hat mir alle möglichen Dinge gegen die Schmerzen gegeben, manchmal fühlt sich mein Kopf minutenlang an, als wäre er aus Watte."
John dachte einen Moment nach, nickte dann.
"Ja, vielleicht hast du Recht und ich danke dir für deinen Zuspruch, mein Freund. Es tut gut mit jemandem zu sprechen, der nicht so emotional betroffen ist wie Constance, Constantin war so oft ein Streitthema zwischen uns. Das Gespräch mit dir hilft mir, meine Gedanken zu ordnen. Ich brauche einfach etwas Zeit mich mit all dem abzufinden. Und vielleicht ist es wirklich besser, dass niemand die Wahrheit kennt und der Junge aussieht wie seine Mutter."

William wiegte den Kopf ein wenig hin und her. "Ich bin mir nicht so sicher, ob es so ist. Aber was ich denke, ist letztlich von wenig Bedeutung. Wichtig ist, was du denkst. Und über eins musst du dir klar werden, John. Du musst entscheiden, ob du damit leben kannst oder nicht. Ob du mit der Möglichkeit zurecht kommst, dass sie aus den von dir genannten Gründen bei dir geblieben ist. Wenn du es kannst, gut. Dann schließ mit der Sache ab, sobald Constance aus Hereford zurück ist und du wieder etwas genesen bist. Denn sonst wird es immer wieder und wieder ein Thema zwischen euch sein. Solltest du aber nicht damit zurecht kommen, musst du dir darüber klar werden, was das für Konsequenzen hat. Eure Ehe kann nicht ewig fortbestehen, wenn ihr beide euch umkreist wie zwei misstrauische Hunde, die nur darauf warten, dass der andere einen Fehler macht. Das ist für niemanden erträglich."
William nickte ernst. "Ich bin immer für dich da, mein Freund, das weißt du doch. Und nun versuch zu schlafen, hm? Ich glaube, unsere Diskussion war lang genug." William konnte John ansehen, wie erschöpft er war und er wusste selbst schließlich aus eigener Erfahrung wie anstrengend allein Gespräche in so einer Situation sein konnten.

John nickte. "Ja, das muss ich wohl und ich habe Zeit mir darüber klar zu werden, während Constance in Hereford ist. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben und ich will dieses Misstrauen wieder los werden. Es ist traurig. Ich hatte eine so glückliche Ehe, bis Arthur wieder in mein Leben trat. Danach war es nie wieder so wie vorher. Immer diese Ungewissheit..."
John ließ sich wieder ein wenig tiefer ins Bett sinken. "Ich werde es versuchen. Vielleicht lassen die Gedanken mich nun endlich zur Ruhe kommen, erschöpft genug bin ich in der Tat. Ich danke dir, alter Freund."
Es würde sich wohl zeigen, was die Zukunft bringen würde.

Constance hatte keinen einzigen Moment Ruhe gefunden. Sie war nach ihrem Streit mit John eine Weile spazieren gegangen, hatte gehofft, dass sie ihre Gedanken würde sortieren können, aber es hatte nicht wirklich gut geklappt. Schließlich hatte sie sich dazu gezwungen nach Arthur zu sehen. Zu ihrer Erleichterung hatte man bereits dafür gesorgt, dass seine blutverschmierten Kleider weggeworfen worden und man hatte ihn dafür in frische, saubere Gewänder gekleidet. So war der Anblick wenigstens nicht ganz so erschütternd.
Eine Weile hatte sie dort in dem kleinen Raum gesessen und versucht zu begreifen, was alles geschehen war. Es war noch immer so unwirklich, selbst jetzt, wo sie Arthurs Leichnam vor sich sah.
Schließlich war Constance wieder aufgestanden und hatte zielstrebig noch einmal den Weg zu Joanna eingeschlagen. Sie musste einfach noch einmal mit ihr reden, besonders nach diesem Streit mit John.
Also klopfte sie nun zum zweiten Mal an diesem Tag bei ihrer Freundin.

Joanna hatte William gleich bei seiner Rückkehr berichtet, was sich in Truro ereignet hatte. Wie sie erwartet hatte, hatte William sich sofort auf den Weg gemacht um nach John zu sehen. Die Beiden waren seit Jahren enge Freunde und für John war es sicher gut, wenn William ihm ein bisschen gut zureden konnte.
Sie war nicht übermäßig überrascht, als es klopfte und erneut Constance vor ihrer Tür stand. Es war keine einfache Sache und sie würde ihrer langjährigen Freundin gern helfen, wenn sie das denn konnte.
"Setz dich, Constance.", sagte sie und gab ihrer Freundin einen Becher starken Wein. "Du siehst aus, als könntest du den Wein jetzt gut vertragen."
Sie lächelte leicht. "Dein Gespräch mit John war nicht ganz so einträchtig, wie du es dir gewünscht hast?"

Constance trat erleichtert ein als Joanna ihr die Tür öffnete, setzte sich und nahm dankbar den Wein entgegen. Sie nippte ein paar Mal daran, dann sah sie Joanna schließlich an und nickte langsam. "So kann man es sagen, ja. Wir haben gestritten. Es ... es war wirklich hässlich." Sie schüttelte fast etwas benommen den Kopf. Mit ernster Miene sah sie ihrer Freundin in die Augen. "Joanna, was würdest du an meiner Stelle tun?" fragte sie schließlich. "Würdest du hier bleiben oder nach Hereford gehen für ein paar Tage?" Hier bei John bleiben oder endgültig Abschied nehmen von Arthur?
Constance wusste einfach nicht mehr, was sie tun sollte. Denn eins war ihr nun wieder mehr als klar geworden: egal wie sie sich entschied, auf die ein oder andere Art und Weise war es immer die falsche Entscheidung.

Joanna nickte verständnisvoll. "Arme Constance, keine leichte Angelegenheit. Aber du solltest nicht jedes Wort von John heute auf die Goldwaage legen. Er hat viel erlebt heute, wie du auch und er ist immerhin schwer verletzt. Sein Gemüt wird daher nicht ganz so ausgeglichen sein wie es das bisher war."
Sie erwiderte den Blick ihrer Freundin nachdenklich. Es war eine schwierige Sache.
"Ich denke, du solltest gehen, wenn du wirklich gewillt bist damit abzuschließen. Ich denke, John hat Angst dich immer noch an Arthurs Andenken zu verlieren. Dass du ihm nicht verzeihst... Aber zum einen hast du recht und Constantin sollte dorthin gehen, aber nicht allein. Und zum Anderen würde dir ein klarer Schlussstrich sicher gut tun."
Damit ihre Familie wieder Ruhe und Frieden finden konnte.

"Ich weiß und ich versuche mir das auch immer wieder vor Augen zu führen, aber es ist ... so verletzend, manches von dem, was er gesagt hat." erwiderte Constance müde und nahm noch einen Schluck von ihrem Wein, während sie Joanna zuhörte.
Die Erleichterung, dass sie nicht die einzige war, die einen gewissen Sinn in ihrer Reise nach Hereford sah, war größer als Constance es für möglich gehalten hatte und für einen Moment rang sie mit ihrer Fassung. Sie legte kurz eine Hand vor den Mund und schloss die Augen, dann nahm sie sich wieder zusammen.
"Ich möchte es zu Ende bringen, verstehst du? Ich glaube, dass es mir gut tun wird, wenn ich bei der Beisetzung dabei bin und es damit alles ein Ende findet. Es fällt mir ja auch nicht leicht John ausgerechnet in dieser Situation alleine zu lassen, aber er sieht das gar nicht, er sieht nur, dass ich nach Hereford gehe." Constance fuhr sich über die müden Augen. "Ich habe solche Angst, dass ich zurück komme und alles ... alles dahin ist." Dass Johns Misstrauen ihr gegenüber zu groß war, dass sie es nicht schaffte die Distanz zwischen ihnen wieder zu überbrücken. Und sie wusste wirklich nicht, was sie dann tun sollte.