William und Joanna - ab 1183

William atmete tief durch, nickte aber langsam. "Ich weiß. Und das macht es mit dir zum gleichen Zeitpunkt leichter und schwerer." erwiderte er. Dass Richard sein Handeln nicht bereute und noch immer für richtig hielt, war für William eine Last, denn Richard hatte seinen Vater regelrecht in den Tod getrieben. Andererseits bedeutete es auch, dass Richard wohl überlegt gehandelt hatte, nicht aus einer Laune heraus, wie es John zum Beispiel stets tat.
William beobachtete wie ein Lächeln auf die Lippen des Königs trat und seufzte leise. "Natürlich war sie gut zu dir. Es war schwer dir etwas abzuschlagen als du noch ein liebreizender Bengel gewesen bist." brummte William halb amüsiert.
Dann erhob er sich jedoch mit einem unterdrückten Stöhnen. "Und nun fürchte ich, müsst ihr uns fürs erste entschuldigen. Es wird Zeit, dass wir ein bisschen ausruhen. Aber wir haben ja heute Abend noch genug Zeit um in Erinnerungen zu schwelgen, nicht wahr?" Er zwinkerte Beatrice zu und bot Joanna dann den Arm an, um sie aus dem Gemach zu führen.

Helene war einen Augenblick zurückgeblieben. Eigentlich war sie mit Mary und den Kindern unterwegs, aber sie hatte die Gelegenheit genutzt, da Mary ausgelassen mit den Kindern tobte, um hinter der letzten Ecke einen Moment zu verschnaufen.
Sie konnte es nicht kontrollieren, ihr war einfach speiübel. Sie wusste eigentlich ganz genau, was das zu bedeuten hatte. Aber Mary würde sie auch sofort durchschauen und das hätte sie gern noch ein wenig vermieden. Mary würde ihr Vorhaltungen machen und darauf konnte sie verzichten. Sie hatte mit sich selbst genug zu tun.
Früher oder später würde es heraus kommen, das war ihr klar. Aber warum nur musste ihr so schrecklich übel sein, dass sie das Gefühl hatte sich gleich übergeben zu müssen?

Mary war überglücklich darüber nicht länger ans Bett gefesselt zu sein. Sie sollte sich zwar immer noch ein wenig schonen und der gesamte Haushalt von Dover Castle schien von Charles Anweisung erhalten zu haben, dass alle immer ein Auge auf Mary hatten, doch all das war so viel besser als elend und dem Tode nahe im Bett zu liegen. Heute waren Helene und sie mit den jüngeren Kindern hinaus in den Garten gegangen und Mary hatte sich zu einem kleinen Fangenspiel überreden lassen. Lachend lief sie hinter ihnen hinterher und sie tobten ein wenig zwischen den Bäumen und Sträuchern hin und her, ehe Mary eines ihrer Kinder zu fassen bekam, es lachend an sich zog und erklärte, sie müssen jetzt erst einmal auf sie verzichten, sie müsse wieder zu Atem kommen.
Sie gab Gerard wieder frei und beobachtete, wie die kleine Schar vergnügt das Spiel fortsetzte. Und so dauerte es auch noch einen Moment bis Mary bemerkte, dass Helene gar nicht mehr bei ihnen war. Verwundert sah sie sich suchend um und wollte gerade die Kinder auffordern, dass sie zurück gingen als Helene hinter einer Ecke hervor kam und wieder auf sie zukam.
Mary lächelte leicht, doch als sie die Blässe ihrer Freundin bemerkte, malten sich Sorgenfalten auf ihrer Stirn ab. "Geht es dir nicht gut, Helene?" fragte sie sanft als Helene sie erreicht hatte. "Du siehst ziemlich blass aus ..."

Helene hatte sich bemüht möglichst schnell zurück zu den Anderen zu kommen, damit Mary keinen Verdacht schöpfte. Die Übelkeit war ein kleines bisshen abgeflaut und so versuchte sie ein möglichst normales Gesicht zu machen.
Doch Mary kannte sie gut. Sie lächelte möglichst offen und legte ihr kurz die Hand auf den Arm. "Oh, es geht schon, Mary, keine Sorge. Ich wollte nur einen kurzen Moment verschnaufen."
Helene ahnte schon beinahe, dass Mary sich damit nicht abspeisen lassen würde, aber was sollte sie schon tun?
Sie war blass, ihr war immer noch übel und sie war froh, dass sie nicht hier und jetzt einfach umfiel oder sich in den Busch erbrach.

Helene war mittlerweile wahrlich schon lange genug hier in Dover und sie beide einander so vertraut, dass Mary mühelos hinter dieses Lächeln sehen konnte. Etwas stimmte mit ihrer Freundin nicht und wenn Mary so darüber nachdachte, war heute nicht der erste Tag an dem Helene ihr ein wenig abgeschlagen vorkam. Bisher war es ihr noch nicht so aufgefallen wie heute da sie plötzlich einfach verschwunden war, aber ...
"Du weißt, dass du mir die Wahrheit sagen kannst, nicht wahr?" erwiderte sie und strich leicht über die Hand, die Helene ihr auf den Arm gelegt hatte. "Ganz gleich was es ist, du brauchst nicht zu lächeln, wenn irgendetwas nicht stimmt. Du vertraust mir doch, oder?" redete Mary sanft auf ihre Freundin ein, während sich jedoch bereits ein ungutes Gefühl in ihr breit machte. Noch konnte sie es nicht recht greifen, vielleicht lag es auch an ihrer langen Krankheit nach der Geburt der Zwillinge und sie war wirklich noch nicht ganz auf der Höhe. Sonst hätte sie Helene vielleicht sofort durchschaut. Aber so vertraute sie auf ihr Gefühl und das sagte ihr zumindest, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte.

Helene hatte geahnt, dass es schwer würde, Mary zu täuschen. Sie kannten sich einfach zu lange und zu gut.
"Ich weiß, Mary...", erwiderte sie seufzend. "Aber glaub mir, das ist...keine gute Idee. Auch wenn ich dir vertraue." Es würde eine Katastrophe auslösen, wenn es heraus kam und das wollte sie nicht. Sie wollte die Sache für sich behalten.
"Ich vertraue dir, aber je weniger ich dich in diese Sache mit hinein ziehe, desto besser für uns alle. Also mach dir keine Sorge, es ist nichts Schlimmes. Mir geht es gut."
Zumindest wird es das in ein, zwei Stunden wieder. Sie hätte einfach noch ein bisschen warten sollen mit diesem Spaziergang.

Mary neigte den Kopf etwas zur Seite und das Gefühl, dass etwas ganz und gar schief lief, wurde immer stärker bei Helenes Ausflüchten. "Desto besser für uns alle?" wiederholte sie mit gerunzelter Stirn und wollte gerade weiter sprechen als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Deshalb Helenes Unbehagen und die Scheu sich Mary anzuvertrauen, obwohl sie sonst doch alles miteinander teilten. Die Zeichen waren eindeutig, sie selbst hatte es immerhin zahlreiche Male erlebt und sie hatte auch Helene schon während einer Schwangerschaft hier in Dover beigestanden.
"Bei Gott und allen Heiligen ..." wisperte Mary und schloss für einen Moment die Augen. Sie liebte Edward wirklich, aber wieso nur, wieso musste ihr Bruder wohin er auch ging immer Chaos zurück lassen? Sie schlug die Augen wieder auf und sah ihre Freundin an, hin und her gerissen zwischen ihren Emotionen und Gedanken. "Sag mir bitte, dass du kein Kind von meinem missratenen Bruder erwartest." murmelte Mary gedämpft.

Helene biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste genau, dass Mary sie nun durchschaut hatte. Jetzt würde alles nur schwerer werden, weil sie sicherlich die Sache nicht für sich behalten würde.
Helene schlug die Augen nieder.
"Das kann ich nicht.", wisperte sie. Sie konnte Mary nicht anlügen, das hatte sie noch nie getan. Spätestens wenn ihr Bauch sich zu wölben begann, konnte sie es ohnehin nicht mehr verbergen. Stumm brach sie in Tränen aus. Warum musste alles so kompliziert sein? Sie freute sich wirklich über dieses Kind und sie wusste, Edward würde es auch lieben. Aber es würde seine Ehe vermutlich endgültig zerstören und deshalb musste sie es für sich behalten.
"Mary, ich flehe dich an...bitte sag ihm nichts davon. Er darf es nicht erfahren."

Mary schloss die Augen, legte die Hände vor das Gesicht und atmete langsam und tief durch. Das durfte doch wirklich nicht wahr sein! Sie hatte gleich gesagt, dass es eine denkbar schlechte Idee von Edward und Helene gewesen war sich wieder aufeinander einzulassen und jetzt das. Aber sie wusste auch, dass es keinen Zweck hatte sich über etwas zu beklagen, was nicht zu ändern war. Wichtiger war die Frage was nun werden sollte.
Sie ließ die Hände wieder sinken und sah ihre Freundin an, die stumm in Tränen ausgebrochen war. Mary konnte es nicht gut ertragen sie so zu sehen, also zog sie Helene in ihre Arme und strich ihr sanft über den Rücken. "Sch sch, schon gut." wisperte sie leise und hielt Helene eine kleine Weile einfach nur fest.
"Ich halte es für keine gute Idee es ihm vorzuenthalten. Er muss Verantwortung für seine Taten übernehmen und somit auch für dieses Kind." erwiderte Mary leise und strich Helene über die Wange. "Aber ... die Entscheidung liegt natürlich bei dir, Liebes. Und wenn du wirklich nicht willst, dass er es erfährt, wird er es von mir nicht hören. Aber wie stellst du dir das vor? Du wirst es nicht auf ewig vor ihm geheim halten können. Wenn er das nächste Mal hier auftaucht, kommt es heraus."

Helene vergrub das Gesicht einen Moment an Marys Schulter. Es tat gut einmal nicht alle Last allein zu tragen, auch wenn es nur für einen Augenblick war.
"Ich weiß. Und er würde es lieben wie ich es tue, Mary. Ich bereue es auch nicht. Aber es wird seine Ehe zerstören, wenn es heraus kommt und deshalb muss ich das alleine mit mir ausmachen. Vielleicht kommt es irgendwann heraus....aber vielleicht hat sie ihm dann verziehen. Vielleicht ist sie dann selber Mutter und es ist nicht mehr...so schlimm.", gestand sie.
"Es war für mich ein Licht im Dunkeln, auch wenn es unvernünftig ist, Mary. Und er fehlt mir. Er ist ein Chaot, aber...jetzt verstehen wir uns noch besser als während unserer Ehe. Ich weiß, ich kann ihn nicht haben und auf Dauer würde es vermutlich nicht gut gehen mit uns. Aber es ist trotzdem nicht so leicht. Und ich bin dankbar, dass dieses Kind mir wieder klar macht, dass mein Leben weitergeht. Meine Kinder tun das alle...Nun ja, wenn mir nicht permanent übel wäre...."

"Ja, das würde er wohl, denn eine seiner schönsten Gaben ist wohl, dass er all seine Kinder von ganzem Herzen liebt, ganz gleich von wem und legitim oder nicht." stimmte Mary zu, seufzte dann aber. "Wenn es seine Ehe zerstört, ist er ganz allein Schuld daran. Aber du hast Recht, vielleicht geht es glimpflicher aus, wenn es erst ans Licht kommt, wenn Claire selbst schon ein Kind bekommen hat. Das würde sie vermutlich nachsichtiger mit ihm und auch mit eurem Kind machen."
Mary stöhnte leise und schüttelte den Kopf. "Tu das nicht, Helene, ich bitte dich. Binde dich nicht wieder an ihn. Nicht noch mehr." murmelte sie und sah ihrer Freundin in die Augen. Sie wusste, dass es für diese Mahnung wohl ohnehin zu spät war, denn dieses Kind schaffte eine neue Verbindung zwischen Helene und ihrem Bruder, aber Mary wollte nicht, dass Helene wieder darunter leiden musste, dass sie sich nach Edward sehnte und aus der Ferne zusehen musste, wie er mit einer anderen glücklich war.

Helene nickte. "Das ist sie. Und es ist das, was Edward mit am liebenswertesten macht. Seine Ehe wird sich jetzt bewähren müssen. Und vielleicht sieht er dann auch klarer. Doch ob Claire ihm jemals ein Kind schenken wird, steht in den Sternen. An ihm liegt es ja jedenfalls nicht. Und solange das nicht passiert, wird sie mich hassen. Ich kann damit umgehen. Aber wenn sie es jemals an meinen Kindern auslässt, Gnade ihr Gott."
Helene lächelte schief. "Ich versuche es, aber ich fürchte, ein Band zwischen uns wird immer bleiben, egal was geschehen ist zwischen uns. Allein schon durch unsere Kinder. Ich denke, im Moment fehlt mir vor allem auch ein bisschen Wärme und Liebe, das hat er mir gegeben. Ich bin einfach ein wenig durcheinander....Aber ich weiß, ich kann ihn nicht haben."

Mary hob leicht die Schultern. "Claire ist noch so jung, es schadet ihr weiß Gott nicht, dass sie bisher noch kein Kind bekommen hat und die beiden haben dafür noch genug Zeit. Aber du hast ganz Recht, es liegt nicht an Edward - wie er hier ja nun wieder einmal unter Beweis gestellt hat - und an Claire nagt diese Sache. Wenn sie herausfindet, dass Edward und du nun noch ein Kind bekommt, wird sie dir in der Tat nicht wohlgesonnen sein. Aber sei versichert, du und deine Kinder, ihr habt hier immer ein zu Hause, Helene. Eines in dem ihr in Sicherheit seid." erwiderte Mary entschieden. Claire tat ihr Leid und sie bedauerte das Mädchen für den Kummer, den Edward ihr unweigerlich bereiten würde mit dieser Sache. Aber Helene war ebenso ihre Freundin und sie würde ihr beistehen.
Mary seufzte leise. "Es ist gut, dass du dir das klar zu machen versuchst. Hoffen wir nur, dein Herz hört auch auf dich, denn damit ist es manchmal ja nicht so einfach. Der Kopf, der weiß, das man einen Fehler begeht, kommt manchmal dennoch nicht gegen das Herz an." Und damit kannte sie sich ja ebenfalls aus. Sie hatte noch immer eisern an Gerard festgehalten als ihr schon längst klar gewesen war, dass er ihr nicht gut tat. Erst als sie Charles getroffen hatte und ihr Herz laut nach ihm zu schreien begonnen hatte, hatte sie sich wirklich von Gerard frei machen können.
"Ach Helene ..." murmelte Mary nachdenklich. "Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass ihr beide glücklich werdet. Egal auf welche Art und Weise. Aber wer weiß, wohin all das noch führen mag, Gottes Wege sind für uns immerhin oft genug unergründlich."

Helene nickte. "So ist es. Sie wird alles daran setzen, dass Edward uns nie wieder sieht. Ich kann es ihr wahrscheinlich nicht einmal verübeln."
Sie sah Mary einen Moment an und lächelte sanft. "Ich bin dir sehr dankbar, Mary. Das ist nicht selbstverständlich, ich habe schließlich bald drei kleine Bastarde. Denkst du...denkst du, Charles wird es auch dulden? Er hat uns schließlich vorher gewarnt..."
Und wenn Charles sie vor die Tür setzte, wusste sie nicht wohin. Sie war verloren hier in England und auf Marys Freundschaft angewiesen.
"Ja, das sind sie. Und glaub mir, ich hatte mir mein Leben auch anders vorgestellt. Ich dachte, ich würde heiraten, einen anständigen Ehemann bekommen, einen Haushalt führen und meine Kinder großziehen. Und jetzt schau mich an, Mary, ich trudele wie ein führerloses Schiff. Ich weiß nicht, wo mein Leben hingehen soll."

Mary hob leicht die Schultern. "Nein, verübeln kann man es ihr wohl nicht so Recht, aber ich glaube dennoch nicht, dass mein Bruder sich so einfach davon abhalten lässt. Er liebt Claire, aber er liebt auch seine Kinder und das wird auch für euer drittes Kind gelten. Ich glaube nicht, dass er darauf verzichten wird, es zu sehen, er ... er leidet so ja schon immer darunter, dass er nicht all seine Kinder bei sich haben kann. Es ist besser geworden, immerhin hat er jetzt zumindest Raymond und Michael ständig um sich, aber vorher hat ihn das ziemlich beschäftigt."
Mary lächelte, ergriff Helenes Hand und drückte sie leicht. "Na und? Was macht das schon? Ihr seid hier immer willkommen und um Charles brauchst du dir keine Sorgen machen. Selbst wenn er die Stirn runzeln wird, wenn er von der Schwangerschaft erfährt, er würde euch nie vor die Tür setzen, dafür hat er ein viel zu weiches Herz." erwiderte Mary augenzwinkernd. Und im Zweifelsfall würde sie ihren Mann schon zu bändigen wissen, da machte sie sich keine Gedanken.
Mary seufzte leise. "Ich kann dich gut verstehen, so dachte ich auch als ich damals Gerard geheiratet habe. Ich dachte, ich hätte einen Mann gefunden, den ich liebe und der mich liebt und mit dem ich die perfekte Ehe führen würde, die ich mir immer erträumt habe und dann wurde alles zu einem Albtraum. Aber Gott hat mir schließlich einen Ausweg geboten, wenn auch keinen ganz leichten. Und vielleicht hat er auch dich durch all diese Prüfungen geschickt, um dir letztlich einen Ausweg aufzuzeigen, der dich glücklich macht. Ich hoffe, dass es bald so weit sein wird und glaub mir, ich stehe dir in allem bei, was noch auf dich zukommen mag." versicherte Mary entschlossen.

"Nun, wenn das so ist, wird sie sich allerdings auf harte Zeiten einstellen müssen. Dahingehend ist Edward nicht zu Kompromissen bereit. Claire wird umso mehr einsehen müssen, dass es nicht leicht ist Edwards Frau zu sein."
Helene küsste Mary auf die Wange. "Ich danke dir, wirklich. Du hast ja Recht. Aber man macht sich seine Gedanken und wenn Richard in den Krieg zieht, wird Edward mit ihm gehen. Er ist weit fort."
Sie seufzte tief. "Ich zweifle ehrlich gesagt daran, dass Gott mir irgendwann einen Weg bereiten wird. Ich habe immer nur verloren, seit ich nach England gekommen bin. Ich habe meine Kinder und ich liebe sie....aber ich wünschte, ich hätte eine richtige Familie und eine Aufgabe. Aber das habe ich nicht."
Und es würde wohl nie wieder so werden.

Mary lächelte schief. "Oh ja, das ist wahrlich keine leichte Position. Vielleicht wird sie dich eines Tages dann sogar auch besser verstehen können." mutmaßte Mary und nickte dann. "Das ist wahr. Und ich hoffe, dass sie alle wieder gesund zurück kehren. Aber vielleicht ist es auch ganz förderlich, wenn Edward eine Weile auf dem Kontinent ist. Dann wird er hier so schnell nicht wieder auftauchen und feststellen, dass ihr noch ein Kind erwartet. So wird die Sache noch länger geheim bleiben und ich denke, es ist ganz gut, wenn Claire frühestens nach der Geburt des Kindes erfährt, was zwischen Edward und dir geschehen ist." Das wäre vor allem für Helene einfacher, denn während einer Schwangerschaft konnte man solchen zusätzlichen Stress wirklich nicht gebrauchen.
Mary legte Helene einen Arm um die Taille und sah kurz zu den spielenden Kindern hinüber. "Ich verstehe, was du meinst." erwiderte und sah ihre Freundin wieder an. "Aber hier bist du Teil unserer Familie und als meine Freundin und Vertraute hast du ebenso eine Aufgabe." erwiderte Mary und zwinkerte Helene leicht zu.

Helene hob die Schultern. "Möglicherweise wird sie das. Aber wenn, dann würde sie es nie zugeben. Edwards Abwesenheit hat sicher gute und schlechte Seiten. Er richtet einen Scherbenhaufen an und verschwindet. Das kann er gut...aber ja, vielleicht kann ein bisschen Gras über die Sache wachsen..." Helene lehnte sich leicht an Mary und lächelte dankbar.
"Und ich weiß das sehr zu schätzen. Ihr seid schließlich alles, was ich habe und alles, was mir geblieben ist. Das ist mehr, als ich hoffen konnte. Ich sollte etwas dankbarer sein und mich nicht so gehen lassen. Ich sollte nicht jammern."
Helene betrachtete ihre Kinder.
"Ich habe gesunde Kinder, was will ich mehr..."

Edward war sich unschlüssig darüber, ob er über die Ankunft seiner Eltern erfreut war oder nicht. Sicher, es tat gut sie zu sehen und womöglich konnte ihm ein Gespräch mit seiner Mutter in dieser verqueren Lage durchaus helfen, aber es würde auch bedeuten, dass er sich eine ganze Menge Vorwürfe würde anhören müssen.
Und aus dem Grund scheute er sich davor, sie aufzusuchen. Es würde ihn gar nicht Wundern, wenn sie irgendwie schon heraus bekommen hatten, was geschehen war und das würde nichts Gutes für ihn bedeuten. Andererseits konnte er sich auch nicht ewig vor dieser Begegnung drücken und je länger er davor weg lief, desto schwieriger wurde es womöglich.
Er war unschlüssig und eher ziellos durch die Burg gewandert, aber offenbar hatte Gott oder irgendein Heiliger seine Schritte doch genau gelenkt, denn als er um die nächste Ecke bog, fand er sich plötzlich fast Auge in Auge mit seiner Mutter wieder.
"Mama ..." Er lächelte für seine Verhältnisse ungewohnt scheu, dann umarmte er sie eilig. "Wie gut dich zu sehen." murmelte er, während er das Gesicht für einen kurzen Moment an ihrer Schulter vergrub und seiner eigenen Schwäche nachgab.

Joanna hatte lange darüber nachgedacht, was Edward wieder angestellt hatte. Doch es konnte natürlich alles mögliche sein, sie würde nicht darauf kommen und natürlich schien Edward ihnen aus dem Weg zu gehen.
Sie wanderte in Gedanken ein wenig durch die Gänge und als hätten ihre Gedanken sie auf den richtigen Weg gebracht, stand sie auf einmal Edward gegenüber.
"Edward..." Joanna war ein wenig überrascht, wie er reagierte, erwiderte aber die Umarmung und fuhr durch den roten Schopf. Sie spürte sofort, dass es ihm nicht gut ging, er war schließlich ihr Erstgeborener.
"Was ist los, hm? Robert sagte, du hast Schwierigkeiten."
Sie hatte keine Ahnung, warum Edward so ein enfant terrible geworden war, aber sie liebte ihn trotzdem über alles.

Als seine Mutter ihn in die Arme schloss und ihm durch die Haare strich, fühlte Edward sich unweigerlich etwas getröstet. Er wusste, dass sie sein Handeln nicht gut heißen und ihn dafür tadeln würde, aber in diesem Moment gab er sich einfach dieser mütterlichen Wärme hin und ließ zu, dass sie seinen Schmerz ein wenig linderte. Es spielte keine Rolle, dass er ein gestandener Mann von Mitte dreißig war und für solche mütterlichen Gesten doch eigentlich schon lange zu alt, denn jetzt und hier war es einfach Balsam auf seiner Seele.
Er löste sich langsam wieder von ihr und seufzte leise. "Natürlich hat er das gesagt ..." murmelte er und ließ den Blick kurz den Gang entlang schweifen. "Das ist eine längere und ... komplizierte Geschichte. Lass uns irgendwo hin gehen wo wir ungestört sind, ja? Ich schätze, für meine Beichte brauche ich etwas Ruhe."

Es sagte Joanna schon viel, dass Edward sich so sehr auf mütterliche Zuneigung einließ, der er sich sonst schon entwachsen fühlte.
Sie lächelte sanft, als er sie losließ. "Ich weiß...das habe ich erwartet. Du hast einen Hang zu komplizierten Geschichten, mein Lieber. Also lass uns gehen und dann sagst du mir, was geschehen ist. Möchtest du ein Stück gehen? Ich gehe davon aus, du willst gerade nicht noch mit deinem Vater über die Sache sprechen. Daher lass uns in die Gärten gehen, hm?"
Joanna konnte Edward ansehen, dass es ihm nicht leicht fiel. Umso mehr schätzte sie es, dass er sich ihr öffnen wollte.
"Ich werde dir nicht gleich eine Predigt halten, keine Sorge."

Edward nickte und schnitt dann eine Grimasse. "Oh je, bloß nicht, er würde mir wohl den Kopf abreißen." murmelte Edward gedämpft. "Aber die Gärten sind eine gute Idee." Zumal er wohl ohnehin kaum würde stillsitzen können, wenn er seiner Mutter berichtete was vorgefallen war.
Er zog leicht eine Augenbraue in die Höhe als sie sich in Bewegung setzten. "Danke, aber versprich lieber nicht zuviel bevor du nicht weißt, worum es geht, hm?" schlug Edward etwas unbehaglich vor.
Erst als sie die Gärten erreicht hatte, atmete er durch und gab sich einen Ruck. "Ich habe eine ziemliche Dummheit gemacht ... wieder einmal, muss ich wohl sagen." begann er langsam und sah seine Mutter an. "Habt ihr davon gehört, dass Alexander, Helenes ... Lieblingspriester umgekommen ist? Auf der Treppe gestürzt und hat sich den Hals gebrochen." entschied Edward die ganze Sache von vorne zu beginnen. "Helene war erwartungsgemäß untröstlich und Mary hat sich irgendwann solche Sorgen um sie gemacht, dass sie mir geschrieben hat. Also bin ich nach Dover geritten, um zu sehen, ob ich irgendwie helfen kann, ihr beistehen ... irgendetwas."

Joanna lachte leise. "Das könnte passieren. Er war nicht begeistert, als Robert dein Chaos erwähnt hat. Von daher ist es vielleicht besser, wenn du es mir sagst."
Sie gingen gemeinsam nach draußen und sie hakte sich bei ihrem Sohn unter. "Ich kenne dich schon ziemlich lange, mein Junge, so leicht schockiert mich nichts mehr. Wir haben eine turbulente Famile." Joanna neigte langsam den Kopf.
"Ja, wir haben davon gehört. Es hat mir sehr leid getan für sie. Das hat sie nicht verdient, nachdem gerade alles sich zum Guten gewendet hat. Ein harter Schlag...."
Sie lauschte ihm und runzelte die Stirn. "Ihr hattet immer noch eine Verbindung zueinander, das ist wahr. Aber ich....befürchte irgendwie, dass ich ahne, wohin diese Geschichte geht."

Edward musste unweigerlich lächeln. "Also gut, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt." bemerkte er als seine Mutter sich bei ihm einhakte und sie langsam den Weg entlang schlenderten.
"Ja, es war furchtbar für sie. In Dover war sie wirklich glücklich und das hatte sie verdient. Aber ... Gott hatte offenbar wieder andere Pläne mit ihr." Edward nickte und zuckte zugleich mit den Schultern. "Das hatten wir, aber vor allem konnte ich auch gut nachvollziehen, wie sie sich fühlte. Also bin ich hin geritten und habe versucht Helene aus ihrer Lethargie zu befreien, ihr klar zu machen, dass ihr Leben schon wegen der Kinder noch immer lebenswert ist und all diese Dinge." berichtete Edward weiter, schwieg dann jedoch einen Moment, weil er nicht wusste, wie er diese Sache weiter erzählen sollte. Einen eleganten Weg dafür gab es nicht, so viel war sicher.
Er schluckte und fuhr dann schließlich fort. "Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und ... mich hat ihre Situation nicht kalt gelassen. Erst in Dover und in all den Gesprächen mit Helene ist mir bewusst geworden, dass ich mit Julias Tod noch immer nicht völlig abgeschlossen hatte. Die Sache hat mich ziemlich aufgewühlt und Helene und ich sind uns näher gekommen als ich je erwartet hätte. Naja und ... irgendwie kam dann eins zu anderen ..." berichtete er etwas gedämpft.