William und Joanna - 1192

Josephine musste schmunzeln. "Oh ja, Hermes. Er hat ein kleines Wunder mit diesem Pferd vollbracht. Er wird ihn dir sicher auch so schnell wie möglich zeigen wollen, er war so euphorisch, dass das Training funktionierte so wie er es sich erhofft hatte."
Josephine beugte sich vor und griff nach Giselles Hand. "Die Welt ist nie nur gut oder böse. Dein Vater wollte dich sicher schützen, aber er hat es dabei ganz offenbar etwas übertrieben. Und auch hier wirst du sicher mal an die eine oder andere unschöne Situation geraten, so wie wir alle es immer wieder im Leben tun. Aber mit Menschen an der Seite, die dich liebe, ist alles irgendwie zu meistern." erklärte Josephine und drückte sachte die Hand der jungen Frau. "Das wird er nie. So ist Rob einfach nicht. Wenn er sich zu einer Sache oder zu jemandem bekennt, dann mit all den Konsequenzen. Er würde dich nie einfach fallen lassen. Außerdem ist er wirklich über beide Ohren in dich verliebt, er ist ganz durcheinander seit er dich kennt, Liebes."

Giselle

Giselle lachte leise. "Ja, Hermes. Ich bin schon wirklich gespannt darauf ihn kennenzulernen. Und ob es wirklich funktioniert, wie er sich das vorstellt. Ich habe auch ein bisschen Angst davor, ich saß noch nie auf einem Pferd. Nur als Kind bin ich einmal ein Pony geritten. Aber allein die Vorstellung, dass Hermes mir etwas Freiheit geben könnte....Das ist eine unbeschreibliche Vorstellung. Und dann werde ich das Rob niemals vergessen..." Es bedeutete, dass sie dem Gefängnis ihres Körpers ein wenig entkommen konnte, all die Natur sehen.
Sie erwiderte leicht den Druck von Josephines Hand. "Das ist in Ordnung für mich, wenn Rob zu mir steht. Aber ich fürchte mich, dass sie mich auslachen....Auch bei meiner Hochzeit."
Giselle nickte. "Ich bin gern bereit das zu glauben, denn es passt so gut zu ihm. Nun, da geht es ihm nicht anders als mir auch. Mein Leben ist völlig durcheinander, seit ich ihn kenne."

"Hermes ist ein wirklich gutmütiger Geselle. Ich bin sicher, dass du dich gut mit ihm wirst anfreunden können. Und du kannst es ja ganz langsam angehen lassen. Du musst ja nicht gleich am ersten Tag einen wilden Ausritt unternehmen." erwiderte Josephine lächelnd. Es würde sie freuen, wenn Giselle Vertrauen zu dem Wallach fasste, Rob hatte sich solche Mühe gegeben und für das Mädchen wäre es ein wahrer Segen.
Wie seltsam sich manche Dinge einfach wiederholen. schoss es Josephine unvermittelt durch den Kopf.
"Das wird er. Und ich verstehe deine Ängste so gut, Giselle, glaub mir. Mir ging es damals ganz ähnlich, mich haben die gleichen Sorgen geplagt, auch wenn mein Markel nicht so augenfällig ist, wie deiner, die Menschen sind gut darin jedes Geheimnis heraus zu finden, besonders die düsteren. Ich hatte anfangs ebenfalls Angst davor, dass ich Robert zu Last werden würde. Dass die Menschen sich wieder und wieder über mich lustig machen würden. Aber Robert hat mich Vertraue gelernt und an seiner Seite ist es nicht so furchtbar wichtig was der ein oder andere vielleicht denkt oder sagt." Erzählte Josephine und lächelte leicht bei der Erinnerung daran wie sie aus dieser Angst heraus mit ihrem Kind unter dem Herzen fort gegangen war, nur damit Robert und sie sich später doch wieder fand.

Giselle

"Ich hoffe es sehr, ich bin ihm jedenfalls sehr offen gegenüber. Es kann nur eine Erleichterung für mich werden. Ich werde es einfach neu lernen müssen, aber dazu bin ich gern bereit. Und irgendwann wird der Tag kommen, wenn ich mit Rob zusammen ausreiten kann."
Giselle schaute Josephine aufmerksam an. "Ich...bin froh, dass Ihr Verständnis für mich habt. Rob erzählte mir von seiner Vergangenheit und auch von Eurer...ich hoffe, das war Euch Recht. Aber es macht mir die Dinge viel einfacher. Ich fühle mich nicht wie der einzige makelbehaftete Mensch. Zudem habt Ihr einen angesehenen Platz hier dennoch gefunden. Das gibt mir Hoffnung, dass es mir auch gelingen könnte."
Und sie wollte auch in Rob solches Vertrauen fassen können, wie es Josephine in ihren Mann gelungen war.
"Ich denke, ich werde hier zurecht kommen."

"Das werdet ihr bestimmt irgendwann können." pflichtete Josephine ihrer zukünftigen Schwiegertochter bei. Dann lächelte sie nachsichtig. "Natürlich. Wenn Rob entscheidet, dass er sich in dieser Sache jemandem anvertrauen kann, so ist es mir nur Recht. Ich gehe mit meiner Vergangenheit nicht hausieren, aber ich versuche auch nicht sie zwanghaft zu verstecken. Und ich vertraue dem Urteil meines Sohnes in dieser Sache, schließlich hat meine Vergangenheit ihn auch stark beeinflusst. Er hat also jedes Recht es zu erzählen." Josephine schüttelte leicht den Kopf. "Ach Liebes, kein Mensch ist perfekt. Jeder hat seinen Markel, bei dem einen sieht man es vielleicht eher als bei dem anderen. Aber mach dir nicht mehr Gedanken darüber als unbedingt nötig. Nicht dein Gebrechen bestimmt dein Leben, sondern du bestimmst es. Du allein mit deinen Wünschen, Träumen und Hoffnungen."
Josephine unterdrückte ein leises Seufzen. Sie wusste genau wieso ihr Sohn sich so unsterblich in Giselle verliebt hatte und die beiden passten auf ihre besondere Art so gut zusammen wie Giselle es sich nie hätte erträumen können.
"Oh ja, das denke ich auch."

Giselle

Giselle nickte erleichtert. "Ich bin froh, dass Ihr das so seht. Ihr geht unglaublich gelassen damit um, vielleicht gelingt es mir ja auch eines Tages. Ich müsste mich ja daran gewöhnt haben, nach so vielen Jahren. Ich werde versuchen mein Leben in die Hand zu nehmen. Ihr macht mir Mut...ich danke Euch."
Giselle seufzte zufrieden. "Das ist gut. Und ich hoffe, Euer Mann wird mich ebenso herzlich aufnehmen wie Ihr, auch wenn er mir gegenüber ein wenig skeptisch war. Aber ich glaube, Rob hat ihm das ein wenig schmackhafter gemacht."
Giselle war nun noch glücklicher darüber den Schritt gewagt zu haben. Hier eröffnete sich ein neues, aufregendes Leben und Robs Mutter hatte sie so freundlich aufgenommen, dass sie sich zutiefst erleichtert und ermutigt fühlte.

Rob war selig. Seit zwei Tagen war Giselle hier in Truro und es schien sich alles noch besser zu fügen als er zu hoffen gewagt hatte. Für heute morgen hatte er Bill um Hilfe gebeten, der zuerst einen Stuhl nach draußen gebracht hatte und nun Giselle holte, während Rob Hermes fertig machte.
Er strich dem Apfelschimmel über das weiche Fell und lehnte kurz die Stirn an den Pferdehals. "Und mach mir heute ja keine Schande, Hermes, mein Junge. Auf diese erste Begegnung von euch beiden kommt alles an, hörst du? Also zeig dich von deiner besten Seite." wisperte Rob, dann trenste er den gutmütigen Wallach und führte ihn nach draußen. Auf dem kleinen Übungsplatz wartete Bill auch bereits mit Giselle und Rob konnte die Gedanken des Hünen förmlich hören. Er hielt es für eine total irrsinnige Idee, aber weil er wusste, dass Giselle den Wallach unbedingt kennen lernen wollte, hatte er Robs Bitte natürlich nicht abgelehnt.
Rob kam mit Hermes am Zügel zu den beiden hinüber und lächelte ein wenig scheu. "Giselle, darf ich dir Hermes vorstellen?" Der graue Wallach trat neugierig näher und stupste Giselle vorsichtig mit seiner weichen Nase an, ganz so als wolle er sie selbst begrüßen.

Giselle

Giselle hatte sich in Truro ein wenig eingefunden und auch, wenn sie immer wieder neue Dinge entdeckte und erfuhr, fühlte sie sich wirklich wohl. Bisher war ihr niemand anders als freundlich begegnet, auch wenn sie natürlich neugierige und mitleidige Blicke erntete.
Heute war es soweit, dass Rob ihr den Wallach vorstellen wollte, den er für sie ausbildete. Giselle war unglaublich aufgeregt und freute sich auf die Begegnung, auch wenn sie spüren konnte, dass Bill dem sehr skeptisch gegenüber stand.
Der Hüne stand ihr natürlich dennoch zur Seite und brachte sie zum Übungsplatz. Als sie dort schließlich saß, kam Rob ihr mit dem Pferd entgegen. Sie legte einen Moment die Hand vor den Mund und dann stupste das Pferd sie auch schon freundlich an, so ganz ohne Scheu.
Noch ein bisschen zurückhaltend streichelte Giselle seine samtene Nase und lächelte dann. "Hallo, Hermes...oh Rob, er ist wunderschön!"
Der schlanke Wallach hatte einen hübschen Kopf und warme, freundliche Augen. Das gefiel ihr auf Anhieb, auch wenn sie mit Pferden keine wirkliche Erfahrung hatte.

Rob grinste zufrieden als Hermes so ohne zu zögern den Kontakt zu Giselle suchte. Er wusste schon, wieso er mit Philippe ausgerechnet Hermes ausgesucht hatte. Dieses Pferd war wirklich Gold wert.
"Das ist er. Und wie du siehst ein sehr zutraulicher Geselle." bemerkte Rob, der erleichtert war, dass Giselle die erste Begegnung schon einmal gut aufzunehmen schien. Er ließ den beiden noch ein wenig Zeit, um sich miteinander vertraut zu machen und Hermes zeigte sich dabei von seiner besten Seite und ließ sich geruhsam streicheln und kraulen.
"Hier, lass mich dir etwas zeigen. Hermes ist wirklich ein kluger Kopf." erklärte Rob schließlich und ließ Hermes wieder einen Schritt zurück treten. Er atmete verstohlen durch und gab ihm dann das Zeichen mit dem sie die letzten Wochen geübt hatten - und Hermes knickte vollkommen selbstverständlich die Beine ein und legte sich vor Giselle in den Sand.

Giselle

Giselle freundete sich mit Hermes noch eine ganze Weile an und kraulte mit zunehmendem Vertrauen den Wallach hinter den Ohren. Hermes näherte sich ihr so völlig selbstverständlich, aber er blieb vorsichtig und wurde nicht rüpelig.
"Oh ja, auf jeden Fall. Er ist wirklich süß...so verschmust." Sie mochte das Pferd jetzt schon, auch wenn sie es vielleicht nie reiten würde. Sie fühlte sich in diesem Moment wie ein ganz normales Mädchen.
Neugierig ließ sie schließlich von ihm ab, als Rob ihr etwas zeigen wollte und voller Faszination beobachtete sie, wie Hermes sich in den Sand legte und ruhig dort verweilte.
Giselle legte die Hände an die Wangen. "Oh mein Gott! Rob! Ich hätte nie gedacht, dass man einem Pferd so etwas beibringen könnte! Wie lieb er ist..."
Da lag dieses große Pferd einfach vor ihr im Sand und schaute sie an.

Es wärmte Rob das Herz zu sehen wie viel Freude Giselle an der Begegnung mit Hermes hatte. Wenn sie darauf jeden Tag ein bisschen aufbauen konnten, würde er sie vielleicht bald schon das erste Mal den Sattel ausprobieren lassen können.
Er grinste leicht. "Es ist ein bisschen unkonventionell und nicht jedes Pferd lernt es so problemlos, aber Hermes ist ausgesprochen gelehrig. Und ich habe mir von Azeem ein paar Tipps geben lassen. Er kommt aus dem Heiligen Land, lebt aber seit Jahren schon hier in Truro und arbeitet im Hospital. Er hat mir erzählt, wie man es den Kamelen beibringt und ich habe das ein bisschen abgewandelt, um es Hermes beizubringen." erzählte Rob bereitwillig und strich Hermes sachte über den Hals.
"Wenn du willst, können wir Hermes jeden Tag besuchen und ihr könnt euch in aller Ruhe kennen lernen. Und dann zeige ich dir den Sattel, den ich mit Frederic unserem Sattler entworfen habe und du sagst mir, was du davon hältst, einverstanden?"

Giselle

Giselle lauschte aufmerksam Rob Auführungen. "Oh,wie den Kamelen? Die legen sich auch hin, damit ihre Reiter aufsteigen können?" Sie hatte von diesen Tieren gehört, aber Genaues wusste sie nicht. "Er hat es offenbar so gut gelernt."
Sie lächelte. "Das klingt gut. Ich kann es kaum erwarten den Sattel zu sehen, ihr habt euch so viel Mühe für mich gemacht."
Und sie war auch ausgesprochen neugierig darauf, wie es sich anfühlen würde, auf dem Pferd zu sitzen. Es würde eine recht überwältigende Erfahrung sein, vermutete sie.
"Ich danke dir wirklich. Hermes ist ein großartiger Kerl, wir werden uns sicher gut verstehen. Ich will ja, dass er mich genauso kennenlernt wie ich ihn. Vielleicht werde ich ihm morgen einen Apfel mitbringen."

Rob nickte. "Ja, ich habe es selbst im Heiligen Land gesehen und als ich hier war und Hermes angefangen habe auszubilden, dachte ich mir, dass das doch eine gute Möglichkeit wäre. Also habe ich mich etwas mit Azeem unterhalten und das Ergebnis kannst du ja selbst sehen."
Rob griff nach Giselles Hand und hauchte einen Kuss darauf. "Das ist das mindeste, das ich tun konnte." erklärte er leise und lächelte ihr zu. Rob würde Berge in Bewegung versetzen, wenn es sein musste und Giselle helfen würde.
Rob sah kurz zu dem Apfelschimmel hinüber, der immer noch geduldig vor ihnen im Sand lag und schmunzelte. "Oh zu einem Apfel würde Hermes sicher nicht nein sagen. Liebe geht bei ihm wie bei allen Pferden ganz besonders durch den Magen." bemerkte Rob augenzwinkernd.

John war gerade auf dem Weg zur Burg zurück, als ihm Rob entgegen kam, der scheinbar ins Dorf wollte. Er blieb lächelnd stehen, um einen Moment mit dem jungen Mann zu sprechen.
"Rob, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?" Er hatte aus der Ferne gesehen, dass Robs Verlobte hier angekommen war und natürlich hatte er schon von ihrem Gebrechen gehört. Das beeinträchtigte den Charakter des Mädchens aber keineswegs, sonst hätte Rob sich sicherlich nicht in sie verliebt. Denn schließlich war Rob doch recht eigen, was das anging.
"Hat Giselle sich schon ein wenig eingelebt hier in Truro?" Er würde es dem Mädchen jedenfalls gönnen, dass sie ein neues Zuhause fand und sich wohl fühlte.
"Ihre Zofe hat sich mit Cathie ein wenig angefreundet."

Rob war gerade auf dem Weg ins Dorf als John im entgegen kam und ihn ansprach. Rob schenkte dem Arzt ein Lächeln. "Oh, ich kann mich nicht beschweren. Besonders jetzt, da Giselle hier ist." erwiderte er ohne zu Zögern, dann nickte er leicht. "Doch, ich denke schon. Sie war ziemlich nervös wie es hier werden würde und ob die Leute ihr freundlich begegnen würden, aber ihre Sorgen war unbegründet, bisher haben sie alle sehr freundlich aufgenommen." Und das hatte auch Rob entspannter werden lassen. Er hatte zwar nicht wirklich an den Leuten hier gezweifelt, aber man konnte es letztlich ja auch nie genau wissen.
"Wirklich? Das ist schön. Es wäre nur von Vorteil, wenn sie und auch Bill sich hier wohl fühlen. Sie werden ja schließlich zusammen mit Giselle hier bleiben und sie liegen ihr sehr am Herzen, sind ihre wichtigsten Vertrauten und Helfer."

"Das glaube ich dir sofort, du wirkst auch höchst zufrieden. Es freut mich sehr für dich, dass du die richtige Frau gefunden hast." John lächelte leicht. "Letztlich findet in Truro doch jeder sein Plätzchen. Die Leute mögen ein wenig neugierig schauen, aber wirklich unfreundlich sind sie nicht." Und er kannte durch seine Tätigkeit als Arzt nun wirklich fast alle Menschen im Dorf.
"Ich hege da keine Zweifel. Ich glaube, Bill hat sich gestern mit dem Schmied unterhalten und mit ihm ein Bier getrunken. Ich habe die Beiden im Wirtshaus sitzen sehen. Sie werden sich genauso rasch wohl fühlen wie ihre Herrin, glaub mir."
John legte den Kopf schief. "Sag, die Verletzungen, die Giselle erlitten hat, wie alt sind sie? Weißt du, wie man sie zu behandeln versucht hat?"

"Danke, John. Was es wirklich bedeutet, habe ich jetzt erst begriffen, da ich Giselle kennen gelernt habe. Vorher war die richtige Frau zu finden für mich zwar irgendwie wünschenswert, aber so ... abstrakt. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, wie es sein würde."
Er lächelte leicht. "Ja, Truro ist ein umgängliches Plätzchen. Es hat schon so seinen Vorteil, dass wir etwas abgelegen wohnen." Je dichter man an London und den bunten Zentren der Macht war, desto komplizierter wurde das Leben oft.
Rob fuhr sich mit ernster Miene über das Kinn. "Sie war noch klein damals, sieben oder acht Jahre alt. Es ist also schon einige Jahre her, dass sie gestürzt ist." erwiderte Rob und hob leicht die Schultern. "Ich glaube, viel wurde nicht gemacht. Ganz genau weiß ich es nicht, aber so wie ich es verstanden habe, hat der Arzt damals mehr oder weniger nur festgestellt, dass sie ihre Beine nicht mehr bewegen kann und hat gesagt, sie kann froh sein, dass sie sich nicht das Genick gebrochen hat. Mehr ist nicht passiert." Rob zog die Augenbrauen etwas in die Höhe und sah John unsicher an. "Denkst du etwa, man könnte nach all der Zeit noch irgendetwas tun?"

John nickte. "Man kann es sich nicht vorstellen, bis es einen selbst erwischt. Ich weiß das nur zu gut aus eigener Erfahrung." Er lächelte versonnen. Constance hatte ihn damals vollkommen aus der Bahn geworfen, er hatte völlig neben sich gestanden. Und dann hatte er sie geheiratet und war zum glücklichsten Menschen der Welt geworden.
John dachte einen Moment nach. "Ein Quacksalber also...", brummte er. "Nun, schwer zu sagen, aber ausgeschlossen ist es nicht. Es muss etwas zerstört worden sein, dass ihr die Fähigkeit zu laufen geraubt hat. Vielleicht ist es ein wenig regeneriert worden inzwischen, da möchte ich mich jetzt nicht festlegen. Meinst du, sie wäre damit einverstanden, dass ich sie mir ansehe? Vielleicht könnte man ihr wenigstens das Leben leichter machen, wenn sie schon nicht heilen. Aber versprechen kann und will ich natürlich nicht."

Rob grinste schief. "Ja, auch deine Entscheidung kann ich jetzt noch viel besser nachvollziehen. Ich meine, es war für mich immer offensichtlich, dass Constance und du zusammen gehört, selbst mit verschlossenen Augen konnte man das sehen. Aber jetzt weiß ich noch mehr wie es sich anfühlt."
Rob seufzte leise und hob die Schultern. "Anzunehmen, ja. Es wäre den Leuten wirklich geholfen, wenn es mehr gut ausgebildete Ärzte geben würde." murmelte Rob und dachte nicht zum ersten Mal, dass er den Wunsch seines Großvaters und Johns, dieses Hospital zu gründen, immer besser nachvollziehen konnte. Auch etwas, dass er durch den Kreuzzug und Giselle gelernt hatte.
Er stieß geräuschvoll den Atem aus. "Großer Gott ..." murmelte er leise. "Ich weiß nicht genau. Ich denke schon, wenn ich mit ihr rede. Herrje, ich stelle ihr Leben wirklich ganz schön auf den Kopf." bemerkte er und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch das kurze, schwarze Haar.

"Das freut mich. Sie gehört einfach zu mir, es war die richtige Entscheidung. Man weiß es einfach mitallen Konsequenzen und scheut sich nicht davor. Ich habe gezweifelt in meinem Leben, aber nie an meiner Liebe zu ihr.", erwiderte John lächelnd.
"Nun, wir tragen dazu unseren Teil bei. Jedes Jahr verlassen uns ein paar fähige Ärzte und verteilen sich wieder in England. Das wird das Leben vieler Menschen besser machen. Das Hospital ist auch eine Lehreinrichtung geworden, zumindest ein bisschen."
John hob die Schultern. "Frag sie...ich weiß, es ist sicher eine Überwindung sich mir anzuvertrauen und ich will ihr auch keine falsche Hoffnung machen. Aber vielleicht gibt es etwas, wie wir es ihr leichter machen können."
Es würde ihn jedenfalls freuen.

Rob nickte versonnen. "Ja und das ist auch wirklich gut so. Vielleicht sollten wir das mit der Zeit auch noch ein wenig weiter ausbauen, so dass wir immer ein paar Plätze für interessierte, zukünftige Ärzte haben. Nicht allzu viel, es soll ja nach wie vor um die Patienten gehen und nicht Überhand nehmen, aber die Ausbildung neuer Ärzte ist so wichtig." sinnierte Rob, dann blinzelte er kurz und sah John wieder direkt an. "Das werde ich. Sobald wir einen ruhigen Moment haben, spreche ich mit ihr darüber. Ich schätze, sie wird es machen wollen, wenngleich es natürlich ein ziemlicher Schritt ist. Auch wenn man nicht will, dein Angebot weckt ganz unweigerlich Hoffnungen." Und Rob wollte nicht, dass Giselle zu sehr enttäuscht war, sollte John nichts ausrichten können.

Giselle

Giselle hatte Rob heute bei der Arbeit mit Hermes zugesehen und schon vor ein paar Tagen den Sattel bewundert, den er mit dem Sattler für sie gebaut hatte. Es war faszinierend, was die Beiden so ausgetüftelt hatten.
Sie saß wie häufig in letzter Zeit am Übungsplatz, während Rob ritt und schaute interessiert zu. Sie war immer wieder beeindruckt, wie brav Hermes seine Runden lief und Rob saß auf dem Pferd, als wäre er festgeklebt worden.
Schließlich kam Hermes bei ihr zum Stehen und sie fuhr über seine Stirn, als der Waach vertrauensvoll den Kopf senkte.
"Das hast du gut gemacht, mein Großer."

Rob hatte Hermes heute geritten und wie es schon beinahe zur liebgewonnenen Gewohnheit geworden war, saß Giselle am Rand des Platzes und hatte zugesehen. Nun ritt er wieder zu ihr hinüber und Hermes streckte Giselle vertrauensvoll die Nase entgegen. Irgendwie schien der Wallach ganz besonders von Giselle angezogen zu werden, fast so als wisse Hermes instinktiv, dass Rob ihn für Giselle ausgesucht hatte.
"Nicht wahr? Er ist wirklich hervorragend." bemerkte Rob zufrieden und gab Hermes dann das Zeichen sich hinzulegen, damit er absteigen konnte.
Als er kurz darauf neben dem gutmütigen Schimmel stand, sah er Giselle an und kaute kurz auf der Unterlippe herum, ehe er sich einen Ruck gab. "Du solltest ihn ausprobieren." schlug er dann vor. Giselle musste ja nicht gleich Stunden lang reiten, aber sich wenigstens schon einmal in den Sattel setzen und vielleicht führte er sie eine Runde um den Platz.

Giselle

Es war inzwischen ein vertrauter Anblick, dass das große Ross sich so einfach vor ihr in den Sand legte. Hermes hatte das vollkommen verinnerlicht.
"Oh ja, das ist er. Er hat gut mitgearbeitet." Giselle blinzelte überrascht, als Rob so plötzlich den üblichen Ablauf änderte. Sie schaute ihn fast etwas bestürzt an, denn das kam nun wirklich unvorbereitet.
"Oh...ich weiß nicht." Ein bisschen mulmig war ihr ja doch zumute, denn das konnte so viel ändern und es konnte auch soviel schief gehen. Aber schließlich hatte Rob Hermes ja für sie ausgebildet, sie musste den Schritt irgendwann gehen.
Sie fand ihre eigene Nervosität in Robs Mimik ein bisschen gespiegelt, überwand sich dann aber. "Na gut...Dann....wollen wir es wagen. Irgendwann muss es ja soweit sein."
Hoffentlich blieb Hermes so entspannt, auch wenn sie im Sattel saß.

Rob strahlte als Giselle schließlich einwilligte. "Es wird schon gut gehen, hab keine Angst." bemerkte er zuversichtlich, dann half er Giselle in den Sattel. "Und was sagst du, ist es bequem so? Wir können noch alles ändern, damit der Sattel für dich gut passt." erklärte er und musste fast über sich selbst den Kopf schütteln, weil er so aufgeregt klang. Aber das hier war der Moment auf den er nun schon so viele Wochen hingearbeitet hatte und es machte ihn glücklich, dass er Giselle endlich diese Möglichkeit bieten konnte.
"Also gut, dann halt dich fest und gib Hermes das Zeichen zum Aufstehen, das ich dir gezeigt habe." forderte er sie auf. Die Zügel des grauen Wallachs hielt Rob noch locker in der Hand. Erst einmal sollte Giselle nur auf Hermes sitzen und sich etwas auf das neue Gefühl einlassen.