William und Joanna - ab 1183

Edward folgte Marys Aufforderung und ließ sich von Raphael die großzügige Kammer zeigen, die für ihn hergerichtet worden war. Er wechselte die von der Reise staubigen Kleider und machte auch von dem Wasser Gebrauch, dass in einer kleinen Waschschale bereit stand, doch anschließend machte er sich nicht direkt auf den Weg zu Mary, sondern hielt sich noch etwas länger in dem Gemach auf, um Raphaels großen und kleinen Abenteuern noch etwas länger ungestört lauschen zu können. Er fand es schier unmöglich dem Jungen in irgendeiner Weise zu widerstehen, viel zu sehr genoss er die Gesellschaft seines Sohnes. Vermutlich würde er sich in den nächsten Tagen von Raphael noch zu allerhand Unsinn überreden lassen, weil er seinem Sohn nichts abschlagen konnte.
Doch schließlich meldete sich auch Edwards Magen mit einem Knurren, dass er nicht mehr ignorieren konnte und Raphael gestand, dass er eigentlich schon längst beim Unterricht hätte sein müssen. Also versprach Edward ihm im Anschluss an den Unterricht noch mehr Zeit zu widmen und machte sich auf den Weg zu seiner Schwester.
Wenig später saß er mit Mary und Charles zusammen an einem kleinen Tisch in ihrem Wohngemach, nahm einen großen Schluck von dem guten Rotwein und lächelte dann zufrieden. "Raphael hat sich wirklich großartig gemacht." bemerkte er und seufzte leise. "Ich weiß wirklich nicht, wie ich euch das jemals danken soll." Denn natürlich hatte der Junge hier seine Mutter, aber Edward wusste genau, wie groß auch Marys und besonders Charles' Anteil an der Entwicklung des Jungen war.

Mary genoss es, ein wenig Zeit mit ihrem großen Bruder zu verbringen. Sie nahm ebenfalls einen Schluck Wein und lächelte dann zufrieden. "Das hat er, da hast du recht. Er ist viel selbstsicherer geworden. Weniger schüchtern. Ich denke, das kommt ihm für die Zukunft sehr zugute."
Sie neigte leicht den Kopf.
"Ach, das ist wirklich kein Problem." Charles nickte. "Wir haben den Jungen gern hier, er ist ein wirklich unkompliziertes Kind. Sehr bemüht, sehr zielstrebig. Aber bewerte unseren Anteil nicht über, Schwager. Raphael hat auch seine Mutter hier und die beiden haben ein wirklich gutes Verhältnis. Was sind deine Pläne mit dem Jungen? Auch deswegen bist du ja hier."

Edward grinste leicht. "Wahrlich, von schüchtern ist in der Tat nichts mehr zu bemerken." erwiderte er und war durchaus erfreut über diesen Umstand. Es war gut, wenn seine Söhne ein gewisses Selbstbewusstsein mitbrachten, schließlich waren sie von hoher Geburt, würden eines Tages wichtige Persönlichkeiten im Reich sein - und er selbst konnte damit wesentlich besser umgehen, vermutlich weil es ihm selbst nicht an Selbstbewusstsein mangelte, schätzte Edward.
Edward nahm noch einen Schluck Wein und versuchte sich nichts anmerken zu lassen als Helene so beiläufig Erwähnung fand. "Ja, auch deswegen bin ich hier." stimmte er zu als er den Becher absetzte. "Nun, erst einmal will ich ihn wieder besser kennenlernen. Ich war lange genug nicht hier und er hat sich sehr gemacht in der Zeit. Aber ich denke nach wie vor, dass eine geistliche Laufbahn für ihn womöglich das Richtige sein könnte. Du nennst ihn bemüht und zielstrebig, das sind wichtige Eigenschaften. Er ist ein ausgesprochen kluger Kopf, ich denke, er könnte es wirklich weit bringen." erwiderte Edward nachdenklich. "Ich will mir erst einmal ein Bild machen in den Tagen in denen ich hier bin. Und vielleicht nehme ich ihn mit, wenn ich wieder abreise. Nicht um ihn schon irgendwo hinzubringen, erst einmal, um etwas mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Er kann mich nach Oxford und Cornwall begleiten, seine Geschwister und Großeltern treffen. Anschließend bringe ich ihn wieder her und wir sehen weiter. Vielleicht machen wir auch einen kleinen Umweg nach Winchester ..." Es könnte von Vorteil sein, wenn James den Jungen in Augenschein nahm, vielleicht könnte sein kleiner Bruder ihm einen guten Rat für Raphaels Zukunft geben.

Mary nickte. "Und das ist gut so. Der Junge hat es einfacher so." Sie war gar nicht so überrascht von Edwards Plänen. Sie hatte geahnt, dass Edward den Jungen mehr bei sich haben wollte. Dass seine Kinder so weit entfernt waren, war ihm immer schon ein Dorn im Auge gewesen.
"Ich bin sicher, ihr werdet euch rasch wieder besser kennenlernen. Eine geistliche Laufbahn könnte ich mir vorstellen für ihn, Alexander war auch immer sehr angetan von seinem hellen Köpfchen, als er noch lebte. Du hast die besten Kontakte. Aber lass dem Jungen noch ein bisschen Zeit, vielleicht könnte man ein Arragement finden, dass ihn nicht gleich von seiner Familie trennt. Dennoch glaube ich, eine kleine Reise könnte ihm gut tun."
Und das würde Helene auch wieder etwas Luft verschaffen.
"Wann willst du wieder abreisen? Du bleibst doch sicher eine Weile?"

Edward lauschte seiner Schwester aufmerksam und nickte versonnen bei ihrer Erzählung, seufzte dann jedoch leise als sie geendet hatte. "Wenn seine Familie nicht ohnehin schon völlig auseinander gerissen wäre ... verteilt über England wie ein bunter Scherbenhaufen." murmelte er. "Aber ich weiß worauf du hinaus willst und ich denke durchaus, dass du Recht hast. Auch wenn es mir schwer fällt ihn so wenig zu sehen, hier war er immer gut aufgehoben und hat einen sicheren Hafen. Für ihn wäre es sicher nicht das schlechteste, wenn er hier noch weiter gefördert wird, ehe er wirklich alt genug ist."
Edward rieb sich nachdenklich über das Kinn und zuckte leicht mit den Schultern. "Ich würde gerne länger bleiben, aber ich befinde mich ja mehr oder weniger auf dem Hinweg, neben meinen privaten Wünschen muss ich auch für Richard noch ein paar Dinge erledigen. Ich schätze also, es werden nur ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Aber auf dem Rückweg komme ich ja sowieso wieder vorbei, wenn ich Raphael wieder bringe, vielleicht habe ich dann auch noch ein wenig mehr Zeit." erklärte er und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinbecher, ehe er für einen Moment versonnen auf die dunkelrote Flüssigkeit hinab starrte. Er zögerte noch einen Moment, dann sah er jedoch wieder auf und blickte zu Mary, stellte schließlich die Frage, die ihn schon die ganze Zeit über beschäftigte und versuchte trotz allem eher beiläufig und nur milde interessiert zu klingen. "Wie geht es Helene? Da du mir nicht nochmal geschrieben hast, nehme ich an, sie hat sich gefangen?"

Mary seufzte tief. "Ja, ich weiß...Aber ich denke, er kommt zurecht damit. Er hat seine Mutter hier, seine Halbgeschwister...er ist ja nicht völlig allein. Und wir sind ja auch Teil seiner Familie. Trotzdem vergöttert er dich über alles, du bist sein Held. Egal, wie oft ihr euch seht."
Wie froh sie doch war, dass Edward ihren Vorschlag nicht gleich verwarf, sondern wirklich in Betracht zog. Auch für Helene wäre es wunderbar, wenn der Junge noch blieb.
"Du bist eben ein vielbeschäftigter Mann. Solange du nicht gleich morgen wieder aufbrichst, soll es mir recht sein. Dann haben wir wenigstens etwas von dir."
Und dann stellte Edward die Frage, die sie befürchtet hatte...
"Ja, es geht ihr viel besser. Sie zieht sich immer mal wieder etwas zurück, aber das ist in Ordnung. Sie hat wieder zu sich selbst gefunden und sich gefangen. Dein Besuch hat ihr gut getan."
Und er hatte ihr etwas gegeben, dass ihr noch mehr Grund gab zu leben und sich nicht hängen zu lassen. Aber das durfte er nicht erfahren, so wenig ihr da behagte.

Edward grinste schief. "Und das sollte ich auskosten, solange es währt. Irgendwann wird auch Raphael alt genug sein, um festzustellen, dass sein Vater nicht der große Held ist für den er ihn als kleiner Bengel gehalten hat." bemerkte Edward ohne Bitterkeit. Es war ein ganz normaler Prozess des Erwachsenwerdes, auch er selbst hatte seinen Vater vergöttert als er ein kleiner Junge gewesen war, doch irgendwann hatte er gelernt, dass dieser auch nur ein Mensch war, der Fehler machen konnte und kein leibhaftig gewordener König Artus.
Er lächelte leicht als Mary von Helene berichtete und nickte erleichtert. "Gut, das freut mich wirklich. Aber ich werde sie ja sicher auch selbst noch zu Gesicht bekommen während ich hier bin, sie wird sich ja kaum vor mir verstecken, hm?" bemerkte er scherzhaft, nahm einen weiteren Schluck Wein und wechselte dann das Thema, damit Mary nicht womöglich doch merkte, dass ihn Helene mehr beschäftigte als er vorgab.
"Sagt, wie alt ist Roland mittlerweile eigentlich? Bald alt genug, um seine Knappenausbildung zu beginnen, oder? Habt ihr schon Pläne für ihn?"

Mary nickte. "Das ist wahr.", antwortete sie lächelnd. Aber bis dahin hast du noch sehr viel Zeit. Raphael braucht noch Zeit und er wird die Zeit nutzen. Noch vergöttert er dich."
Sie musste ein wenig an sich halten, als Edward diese so treffende Bemerkung über Helene machte. Wenn er nur wüsste, wie Recht er hatte. Natürlich versteckte sie sich, nur den Grund würde Edward nie erraten können.
"Ach was...Du wirst sie sicher noch sehen und mit ihr sprechen können. Sie wird sich sicher freuen dich zu sehen, es ist eine Weile her und ihr habt ja immer noch eine Bindung zueinander."
May lachte leisee. "Du rührst an ein heikles Thema. Wenn es nach ihm ginge, wäre er längst fort n Knappenausbildung. Aber ich möchte, dass er noch eine Weile hier bleibt. Meines Erachtens nach ist er noch nicht soweit."

Edward nickte und führte dann vorsorglich den Becher an die Lippen, damit er das Thema Helene wirklich erst einmal ruhen ließ und sich nicht doch noch zu einer unbedarften Bemerkung hinreißen ließ. Er war doch schließlich nicht umsonst bis nach Italien gereist und hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Claire wieder für sich zurück zu gewinnen.
Dann jedoch huschte ein Grinsen über seine Lippen und für einen kurzen Moment wanderte sein Blick zu seinem Schwager hinüber, ehe Edward seine Schwester mit einem sanften Kopfschütteln bedachte. "Also wirklich, Mary, denkst du nicht, du bemutterst ihn zu sehr? Ich habe den Bengel vorhin gesehen, man kann wirklich nicht behaupten, es sei noch ein kleiner Junge. Und du solltest vorsichtig sein, wenn du ihn zu sehr an der kurzen Leine hältst, könnte es sein, dass er diese irgendwann durchbeißt und davon rennt. Frag Robert, unser Bruderherz hat jüngst selbst solch eine schmerzliche Erfahrung machen müssen." erklärte er und nahm sich insgeheim vor, nicht nur mit seinem Sohn, sondern auch mit seinem Neffen Zeit zu verbringen solange er hier war. Er wollte dem Burschen nur zu gerne etwas auf den Zahn fühlen.

Mary hob die Schultern. "Möglicherweise habe ich diese Verhaltensweise noch nicht abgelegt, aber du weißt auch, was ich mit den Zwillingen durchgemacht habe damals. Aber ich denke, es hält sich noch im Rahmen." Sie schüttelte dann lächelnd den Kopf.
"Nein, ein kleiner Junge ist er weiß Gott nicht mehr, das kann man nicht behaupten. Oh, tatsächlich? Wie das? Armer Robert, wo er doch immer alles so gern unter Kontrolle hat. Aber ich denke nicht, dass Roland das vor hat. Er müsste Juliana freiwillig allein lassen und das wird er nicht tun. Die Beiden hängen immer noch aneinander wie Pech und Schwefel. Und stellen genug Unsinn an."
Aber sie liebte ihre Kinder wirklich.
"Aber du wirst deine Freude an den Beiden haben, so wie ich dich kenne. Setz ihnen nicht noch mehr Flausen in den Kopf."

Edward nickte leicht. Natürlich wusste er das noch zu gut und hin und wieder dachte er bei sich, dass Gerard, dieses Monster, eigentlich viel zu billig davon gekommen war. Aber natürlich sprach er diesen Gedanken nie aus, denn all das lag nun glücklicherweise schon lange zurück und Mary war in ihrer Ehe mit Charles endlich angekommen.
Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen. "Tja, Isaac, dieser durchtriebene Bengel, war der Ansicht, dass er auf dem Festland wesentlich mehr lernen könnte als wenn er zu Hause bei seinem Bruder in Truro hocken bliebe. Also hat er sich heimlich davon gemacht und sich auf eigene Faust bis in Richards Heerlager durchgeschlagen. Dort ist er mir dann irgendwann vor die Füße gelaufen und der Junge hatte so bestechende Argumente, dass ich mich seiner angenommen habe - sehr zum Ärger unseres werten Bruders, aber er hat es schließlich Zähneknirschend hingenommen. Der kleine Teufel hielt jedoch auch nichts von meinen Reiseplänen nach Italien und hat sich dann hinter meinem Rücken zu unserem königlichen Schwager begeben und diesen überredet ihn als Knappen in seinen Dienst zu nehmen. Ich sage dir, Robert hat gekocht vor Zorn." berichtete Edward noch immer grinsend. Sicher, er war im ersten Moment auch alles andere als glücklich über seinen rebellischen Knappen gewesen, aber er hatte nun einmal einfach eine Schwäche für Querköpfe, also hatte er Isaac nicht wirklich gram sein können.
Edward nippte an seinem Wein und lachte dann auf. "Nun, wir werden sehen, wer wem mehr Flausen in den Kopf setzt." scherzte er heiter. "Aber ich schätze, eines Tages wird er sich von seiner Schwester trennen müssen, sie werden nicht auf ewig so eng aneinander kleben können."

Mary hob die Augenbrauen und lehnte sich leicht vor. "Was? Er ist einfach abgehauen und aufs Festland gepilgert? Ganz allein? Meine Güte, er hat es wirklich faustdick hinter den Ohren, das steht fest. Da sollten unsere Kinder besser nicht so genau zuhören, bevor sie noch auf dumme Gedanken kommen. Wenigstens hast du ihn aufgegabelt. Und nun, da er in Richards Obhut ist, wird er nicht mehr so ein leichtes Leben haben. Er wird ihn an die Kandare nehmen, da bin ich sicher. Und vielleicht gelingt dann das Wunder, Isaac erwachsen werden zu lassen. Das hat bei dir doch auch ganz gut funktioniert vor so vielen Jahren."
Mary lachte leise.
"Ja, wir werden sehen. Und irgendwann werden sie schon ihre eigenen Wege gehen. Sie sind jung,sie haben noch Zeit. Isabella und ich konnten uns ja auch irgendwann trennen, auch wenn wir einander so eng verbunden sind."

Edwards Grinsen wurde noch eine Spur breiter. "Ganz allein." bestätigte er amüsiert. "Ich sag es dir, Mary, der Bengel wird noch eine große Zukunft vor sich haben, denn er weiß ganz genau, was er will und scheut sich nicht davor unbequeme Wege zu gehen, um es zu bekommen. Ich gebe dir Recht, Richard wird ihm das Leben nicht leicht machen, aber wenn Isaac klug ist und sich auch nur ein wenig fügt, wird er von unserem König eine ganze Menge lernen können, denn ich glaube nicht, dass es auf Gottes schöner Erde einen klügeren und gerisseneren Taktiker gibt als ihn." Und vermutlich hatte Mary recht, so wie es ihm damals gut getan hatte in König Henrys Dienste zu treten, würde es Isaac ohne Zweifel auch helfen seinen Weg zu finden und erwachsen zu werden.
Edward nickte langsam. "Ja, irgendwann werden sie das. Irgendwann haben wir schließlich alle unseren eigenen Weg gefunden. Und wenn es soweit ist, denkt gerne an mich. In der Regel laufen mir die Knappen auch nicht davon, ich würde sagen, Isaac ist da eine Ausnahme." scherzte er dann.

Helene saß praktisch auf glühenden Kohlen, seit Edward eingetroffen war. Sie würde ihm aus dem Weg gehen, soweit es ging. Aber wenn sie sich vollständig fern hielt, würde er auch Verdacht schöpfen. Sie wollte auf keinen Fall seine Ehe zerstören, indem sie ihm seine Tochter präsentierte.
Sie lief in Gedanken durch den Flur, wollte nach den Kindern sehen. Doch als sie um die nächste Ecke bog, stieß sie mit jemandem zusammen. Als sie den Blick hob, sah sie direkt auf einen ihr wohlbekannten Rotschopf.
"Edward!" Helene lächelte leicht. Es war ja nicht so, als ob sie sich nicht freute ihn zu sehen. Sie hatten immer noch eine gute Bindung zueinander, das hatten die gemeinsamen Nächte gezeigt. Er hatte ihr den Weg zurück ins Leben gezeigt.

Edward schlenderte gemütlich durch die Gänge der Burg, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Jedes Mal wenn er nach Dover kam, stellte er erneut fest an was für einem schönen Ort seine Schwester eigentlich lebte. Selbst wenn es ihn auf Grund seiner Kinder nicht immer wieder hier her ziehen würde, die Lage der Burg und Stadt so dicht am Wasser war in seinen Augen einfach traumhaft und Mary und Charles hatten es vollbracht eine wunderbare Atmosphäre auf der Burg zu schaffen; man fühlte sich hier wirklich immer willkommen.
So sah Edward auch den vor ihm liegenden Tagen freudig entgegen, denn er wollte viel Zeit mit seinem Sohn und Neffen und Nichten verbringen. Kinder brachten immer wieder die besonders guten Seiten an ihm zum Vorschein, dass wusste er selbst genau und so hing er gerade diesen Gedanken nach als unvermittelt jemand um die Ecke vor ihm bog und er sich im nächsten Moment Auge in Auge mit Helene wiederfand.
Instinktiv hatte er nach ihren Oberarmen gegriffen als sie gegen ihn gelaufen war, um sie vor einem möglichen Sturz zu bewahren und ihm war gar nicht bewusst, dass er die Hände nur zögerlich wieder sinken ließ. "Helene ... stürmisch, wie eh und je, hm?" bemerkte Edward lächelnd und musterte sie aufmerksam. "Ich habe mich schon gefragt, wo du dich vor mir versteckst." neckte er scherzhaft. "Wie geht es dir? Wollen wir ein Stück zusammen gehen?"

Helene nahm seine Berührung intensiver war, als es angemessen gewesen wäre. Irgendetwas bewegte Edward immer noch in ihr, dieser verfluchte Teufel. Damals wie heute zog er sie ein wenig an, wie das Licht die Motte.
"Hast du erwartet, dass ich mich noch viel verändere, hm?", erwiderte sie mit einem leicht nervösen Lächeln. "Warum sollte ich mich verstecken? Dazu habe ich doch keinen Grund." Wenn er nur wüsste... "Oh, es geht ganz gut. Seit deinem letzten Besuch ging es immer ein wenig aufwärts, die Kinder helfen mir dabei. Es gibt gute und schlechte Tage, weißt du. Das kennst du sicherlich. Aber gern, lass uns ein Stück spazieren gehen."
Dann begegnete er auch nicht seiner Tochter. "Wie geht es dir? Läuft deine Ehe wieder etwas besser?"

Edward lachte leise auf. "Nein, wohl kaum. Ich schätze, weder du noch ich werden uns in unserem Leben noch wirklich verändern." erwiderte er unbekümmert, bemerkte aber sehr wohl das etwas nervöse Lächeln, das Helene ihm schenkte und dabei passte es doch gar nicht wirklich zu ihr, dass seine Anwesenheit sie verunsicherte.
Er winkte ab. "Natürlich nicht, ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen. Vielleicht war ich ja ein wenig enttäuscht, dass du mich nicht begrüßt hast?" schlug Edward augenzwinkernd vor, ehe er eine Spur ernster wurde und nickte. Gute und schlechte Tage, ja, das kannte er zu Genüge. Aber er war froh, dass es Helene immerhin insgesamt besser ging und sie sich nicht wieder völlig von der Welt zurück gezogen hatte.
Edward bot Helene den Arm an. "Wohin warst du unterwegs? Ich begleite dich gern dorthin, dann stehle ich dir nicht mehr Zeit als notwendig." neckte er leicht. "Ich denke, ich kann nicht klagen. Ich habe eine kleine Pause von dem ganzen Krieg spielen auf dem Festland, gerade lange genug, um im Anschluss wieder freudig ins Feld zurückzukehren, nehme ich an." begann er mit einem kleinen Grinsen. "Und ja, ich glaube, Claire und ich sind wieder auf einem guten Weg. Ich bin zu ihr nach Italien gereist und die Zeit dort, fern ab von allem was unseren Alltag sonst so bestimmt hat, hat uns wirklich gut getan. Wir haben einige Dinge klären können und sind uns wieder näher gekommen." berichtete Edward und beobachtete Helene dabei ein wenig nachdenklich. Sie hatte sich danach erkundigt, also erzählte er ihr auch davon, aber er fragte sich, ob das im Grunde nicht etwas war, was sie eher belastete. Auch wenn sie sich wieder weitestgehend gefangen hatte, Alexanders Tod und die Lücke, die er in ihrem Leben hinterlassen hatte, mussten noch immer sehr schmerzen.

Helene lächelte breit. "Nein, das werden wir nicht. Dazu haben wir auch einfach zu viel erlebt. Und du, du hast noch nie Anstalten gemacht dich großen Veränderungen zu unterziehen. Du bist genauso ein Kindskopf, wie du es früher schon warst.", sagte sie beinahe eine Spur liebevoll. Manchmal fehlte ihre Ehe ihr doch.
"Ach, ich wollte dich nicht gleich in Verlegenheit bringen...Nach deinem letzten Besuch..." Sie hob leicht die Schultern. "Außerdem wusste ich nicht, ob deine Frau dich nicht vielleicht doch begleitet. Es erschien mir besser, erst einmal etwas zurückhaltend zu sein. Ich war nicht sicher, ob du mich sehen willst. Ich habe für ziemlich viel Wirbel gesorgt in deiner Ehe."
Sie atmete verstohlen durch und nahm seinen Arm. "Ach, ich hatte gar nichts Spezielles vor. Ich war auf dem Weg zur Kinderstube. Aber lass uns doch einen Spaziergang machen, dann können wir uns besser unterhalten." Das Letzte, was sie brauchen konnte, war ein Besuch mit ihm an der Seite in der Kinderstube, wo sich gerade auch Rachel befand.
"Hm, ein Draufgänger wie eh und je, nicht wahr? Das wird sich wohl nie ändern. Aber es freut mich für dich, dass ihr die Kurve bekommen und euch wieder annähern konntet. Ich hatte nicht beabsichtigt deine Ehe in Gefahr zu bringen...Das wäre auch ganz und gar nicht fair, schließlich habe ich unsere Ehe damals zum Scheiten gebracht."
Er war nicht unschuldig, er hatte sie dazu getrieben, aber Fakt war, dass sie ihn betrogen hatte. Und mit Distanz betrachtet, tat es ihr durchaus leid. Sie hatte Alexander sehr geliebt, aber Edward war eigentlich ein anständiger Kerl.

Edward zuckte grinsend mit den Schultern. Helene hatte Recht, er hatte wenig Neigung dazu sich zu verändern und wenn er es doch einmal etwas tat, war dies meist auf drastische Ereignisse zurück zu führen.
Spöttisch zog er eine Augenbrauen in die Höhe. "In Verlegenheit bringen? Mich?" fragte er amüsiert, denn Edward war nun wahrlich nicht leicht in Verlegenheit zu bringen.
"Gern, aber wir können auch zuerst einen kleinen Abstecher zu den Kindern machen und dann noch etwas draußen spazieren gehen. Ich kann ganz gut mit Kindern, weißt du?" scherzte er und drückte kurz ohne darüber nachzudenken Helenes Hand, die auf seinem Arm ruhte.
"Du sagst ja selbst, ich verändere mich nicht." erwiderte er und machte dann eine abwehrende Geste. "Unsinn. Du hast unserer Ehe vielleicht den letzten kleinen Schubs über die Klippe gegeben, aber ich habe sie von sicherem Boden bis dorthin geführt und mindestens einen Fuß bereits über den Abgrund gehalten." Und wer wusste schon was passiert wäre, wenn Helene ihm treu geblieben wäre. Irgendwann hätte Edward wahrscheinlich doch dafür gesorgt, dass ihre Ehe gänzlich scheiterte.

Helene lächelte schief. "Ach weißt du...es gibt immer unschöne Situationen, wenn gewisse Leute dabei sind. Und ich wusste nicht, ob du Claire mitbringst. Ich möchte kein Öl ins Feuer gießen."
Sie lachte kurz auf. "Ich weiß, du kannst gut mit Kindern. Du bist ja beinahe selbst noch eins. Aber das ist wirklich nicht notwendig. Wahrscheinlich sind sie ohnehin gut beschäftigt. Lass uns in den Garten gehen."
Sie schluckte unmerklich, als er ihre Hand drückte. Wie ungewohnt es war, ihm so nahe zu sein. Und er war ihr einfach nicht so gleichgültig, wie sie es gern hätte.
"Ich bin froh, dass du das mittlerweile so betrachten kannst. Wir habe beide Schuld und vermutlich das Beste daraus gemacht."
Auch wenn sie manchmal darüber nachdachte, ob sie ihrer Ehe noch eine Chance hätte geben sollen. Wenn Edward es auch getan hätte...
Helene zog ihn leicht mit sich. "Komm, lass uns ein Stück gehen. Ich will noch ein paar Abenteuer vom Kontinent hören. Was gibt es Neues?"

Edward nickte langsam. "Wir waren uns beide einig, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich alleine herkomme." erwiderte er. Es hatte Claire Überwindung gekostet ihm dieses Vertrauen entgegen zu bringen, das wusste er und er war ihr überaus dankbar, dass sie es in ihrem Herzen gefunden hatte ihm eine solche Chance zu geben. Doch letztlich war es so besser, einfacher ... eine Begegnung zwischen Claire und Helene wäre ohne Zweifel schwer geworden.
Dann huschte wieder ein Grinsen über Edwards Lippen und seine Augen funkelten schelmisch. "Wohl wahr, aber das hält mich jung." scherzte er, wurde dann jedoch eine Spur ernster und zuckte leicht mit den Schultern. "Vielleicht haben wir das, ja." Auch wenn er sich nicht ganz sicher war. Hatten sie wirklich das Beste daraus gemacht? Er war glücklich mit Claire und aus diesem Blickwinkel heraus war es wohl richtig, so wie alles gekommen war. Aber wenn man es genau nahm, war er ausgesprochen hart mit Helene ins Gericht gegangen, bedachte man all seine Fehltritte. "Aber so oder so, es freut mich, dass du dein Lachen wieder gefunden hast. Es steht dir, weißt du?" erwiderte er lächelnd und ließ sich dann von Helene mit ziehen. "Oh je, willst du das wirklich?" fragte er lachend. "Kriegsgeschichten hören? Von langweiligen Belagerungen und unrühmlichen, staubigen Scharmützeln, die am Ende ja doch nicht furchtbar viel voran bringen?"

"Das war sicher eine kluge Entscheidung." Auch wenn Helene nicht sicher war, ob sie ihn nach dieser Vorgeschichte an Claires Stelle allein hätte herkommen lassen. "Sie hat Vertrauen zu dir.", stellte sie schlicht fest. Beeindruckend, aber vielleicht auch ein wenig naiv? Es bestärkte sie jedenfalls darin, dass er von seiner Tochter nichts erfahren durfte. Das würde den wackeligen status quo dieser Ehe wohl sehr in Gefahr bringen.
Sie lächelte leicht. "Das ist sehr nett von dir. Es hat auch eine Weile gedauert, manchmal ist es immer noch schwer. Aber es geht aufwärts."
Sie dirigierte Edward Richtung Garten, bloß fort vom Kinderzimmer. "Oh sicher will ich das. Ich komme ja kaum je hier fort, die Welt da draußen weckt immer mein Interesse. Solange ich sie aus angenehmer Entfernung betrachten kann. Lass mich ein bisschen teilhaben."

Edward schnitt eine kleine Grimasse. "Ja ... und ich hoffe, dass ich dieses Vertrauen nicht wieder enttäusche." erwiderte er seufzend und warf Helene einen kleinen, etwas unbehaglichen Blick zu. "Ich meine ... ich will sie wirklich nicht enttäuschen, aber ... aber ich kenne mich." fügte er beklommen hinzu. Heute war er absolut entschlossen dazu Claire nicht zu enttäuschen und diese zweite Chance zu nutzen, die sie ihrer Ehe gab. Aber in seinem bisherigen Leben war er noch nie gut darin gewesen, solch ehernen Entschlüsse lange Zeit durchzuhalten. Es war ja nicht so, als würde er diese Dinge tun, um seinen Liebsten weh zu tun, das lag ihm dabei völlig fern. Er ... vergaß nur manchmal scheinbar was für Konsequenzen sein Handeln haben würde.
Edward atmete tief durch als sie den Garten erreichten und lachte dann auf. "Weise. Die Welt da draußen ist meist ja doch recht hässlich. Hier ist es viel friedvoller und schöner." bemerkte er. "Aber einverstanden, ich erzähle dir ein bisschen was vom Festland, aber im Gegenzug will ich dann auch hören, wie es hier gewesen ist, was die Kinder so getrieben haben." Auch wenn Edward rastlos wurde, wenn es zu lange an einem Ort war, wo er fast nur die Hände in den Schoß legte, jedes Mal, wenn er zurück kam, ganz gleich ob es Oxford, Truro oder Dover war, er freute sich immer darüber durchzuatmen und den kleinen und großen Abenteuern seiner Sprösslinge zu lauschen.

Helene nickte. "Das wirst du schon nicht. Wenn dir etwas wirklich wichtig ist, kannst du dich auch zusammen reißen. Und das ist dir wichtig. Ich kenne dich auch." Sie grinste leicht und zwinkerte ihm zu. "Ich werde dich jedenfalls diesmal nicht in Versuchung führen."
Zumindest nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Wenn er von seiner Tochter erfuhr, sah das Ganze ein bisschen anders aus.
Sie folgte seinem Blick und hob die Schultern. "Das haben wir beide schon schmerzvoll erfahren, sie hat uns oft genug ihr hässlichstes Gesicht gezeigt. Aber hier finde ich Frieden, es tut meiner Seele gut hier zu sein. Trotzdem höre ich gern Geschichten. Deine werden spannender sein als meine, denn auch das Leben der Kinder verläuft hier friedlich und ruhig. Charles und Mary bieten uns ein gutes Zuhause."
Und auch, wenn sie manchmal Geborgenheit vermisste, einee starke Schulter zum Anlehnen, wusste sie, dass sie zufrieden sein sollte mit dem, was sie hatte.

"Hm, mir scheint, du hast mehr Vertrauen in mich als ich selbst." erwiderte Edward leise seufzend. "Aber ich hoffe, du behältst Recht. Denn es ist wie du sagst, meine Ehe mit Claire ist mir wichtig; sie ist mir wichtig." Er sah Helene nachdenklich an und erwiderte das Grinsen nur etwas halbherzig. "Das ist gut. Denn auch, wenn das etwas ist, was du besser gar nicht zu hören bekommen solltest: du bist meinen Erfahrungen nach wohl die Frau, die mich derzeit am ehesten ins Straucheln bringen könnte." bemerkte er und schnitt eine kleine Grimasse. "Und nun vergiss am besten direkt wieder, dass ich das gesagt habe." Er sollte solchen Unsinn gar nicht aussprechen, aber letztlich war es ja doch so. Wäre Helene nicht gewesen, hätte er Claire wohl bis heute nicht mit einer anderen Frau hintergangen, dessen war er sich ziemlich sicher.
Er betrachtete Helene einen Moment schweigend und nickte dann. "Und das sieht man dir auch an. Du wirkst so als würdest du in dir ruhen. Wenngleich dich gerade noch irgendetwas zu beschäftigen scheint. Es gibt da nämlich diese eine kleine Falte auf deiner Stirn, die du bekommst, wenn du angespannt bist." bemerkte er grinsend. "Aber gut, du willst Geschichten hören ... der Krieg ist hässlich wie immer, aber Richard führt ihn in gewohnter, erfolgreicher Weise. Was aber womöglich wirklich sein Meisterstück zu werden verspricht, ist Château Gaillard. Auf dem Weg nach England bin ich daran vorbei gekommen und glaub mir Helene, ich weiß wirklich nicht, was die Baumeister dort treiben, aber dafür dass sie eigentlich erst vor kurzem begonnen haben, geht es unglaublich schnell voran. Wenn es so weitergeht, wird die Festung sicher in wenigen Jahren fertig sein und daran wird Philippe Auguste sich endgültig den Schädel einrennen. Diese Burg wird er niemals einnehmen können."