William und Joanna ~ 1178

Als John die Hand weg zog, zuckte Constance fast unmerklich zusammen und sah ihn überrascht an. Einen Moment lang musterte sie ihren Gemahl eingehend, dann riss sie sich zusammen. "Und was genau ist so schlimm daran einen Abend mit mir vor dem Kamin zu verbringen?" fragte Constance und zu ihrer Sorge mischte sich nun auch Argwohn und Verletzung über diese rüde Abfertigung. "Deinen Wein trinken kannst du dort auch und nachdenken ebenso." hielt sie ihm vor und lehnte sich wieder zurück, da sie sich albern vorkam, wie sie dort saß, etwas vorgelehnt und die Hände noch immer dort, wo Johns gerade gelegen hatte.
Warum mied er sie denn bloß so?
"Ist es immer noch wegen dieser verfluchten letzten Nacht? John, ich erwarte nichts von dir, ich will einfach nur mit meinem Gemahl vor dem Kamin sitzen, ist das schon zu viel verlangt?"

"Nichts ist schlimm, aber ich habe keine Lust darauf, ganz einfach. Ich will meine Ruhe und hier sitzen.", erwiderte John mürrisch.
"Nein kann ich nicht und will ich nicht. Verstehst du nicht, dass ich meine Ruhe will? Du hast gesagt, du akzeptierst das.", warf er ihr vor.
"Es ist nichts. Ich will nur meine Ruhe. Wenn das nicht geht, kann ich auch gehen." Warum konnte sie ihn nicht einfach in Frieden lassen?
"Es ist viel verlangt, weil ich nicht will. Und die letzte Nacht hat damit nichts zu tun." John knurrte leise. Vielleicht sollte er wirklich gehen.

Constance konnte kaum glauben, was er da sagte. Wo war ihr Gemahl geblieben, der früher alles darum gegeben hätte einen gemütlichen Abend nur mit ihr zu verbringen?
"Ich akzeptiere es, solange es in einem vernünftigen Maß bleibt. Wie soll das denn weiter gehen, John? Wenn du keine Lust mehr hast mit mir Zeit zu verbringen, ja nicht einmal mit mir zu reden ... sollen wir dann einfach so aneinander vorbei leben? Das ist doch kein Zustand!" erwiderte Constance und ihre Stimme klang dabei fester als sie erwartet hatte. Tatsächlich fühlte sie sich nämlich miserabel.
Constance verengte ein wenig die Augen, nahm allen Mut zusammen und atmete leise aus. "Hast du eine Andere?" fragte sie dann gerade heraus. "Ist es das? Ist das der Grund weshalb du mich meidest, ständig deine Ruhe von mir willst, abends immer verschwindest und wenn du nach Hause kommst nicht mehr in der Lage bist ..." sie sprach nicht weiter, aber was sie meinte war ohnehin klar.

John schüttelte den Kopf. "Ich werde das Maß für mich ja wohl selbst bestimmen können! Ich weiß selber, was gut für mich ist. Dazu brauche ich nicht dich. Ich will nicht an dir vorbei leben, aber ich will im Moment einfach nur Zeit für mich. Ich habe keine Lust, ich bin müde."
Seine Augen wurden ebenfalls schmal, als sie ihn fragte, ob er sie betrog. "Das fragst du mich jetzt nicht ernsthaft!" Du fragst mich, ob ich mein Eheversprechen breche?! Ich habe dich noch nie betrogen und das werde ich auch nicht tun! Dass du mir unterstellst, dass ich deshalb versage..."
Ihm fehlten die Worte und es kränkte ihn wirklich, dass sie ihm jetzt vorwarf, dass es ihm nicht gelungen war sie zu befriedigen. Es ging einfach nicht. "Erst heuchelst du Verständnis und jetzt wirfst du es mir vor!"

"Normalerweise kannst du das, ja, aber im Moment ... im Moment bin ich mir da nicht mehr sicher." erwiderte Constance. "Aber es ist genau das, was wir tun, John! Wir leben aneinander vorbei. Egal was für einen Versuch ich mache, du lehnst ab, willst deine Ruhe, hast keine Lust und schickst mich ins Bett ... ich begreife es einfach nicht."
Constance schloss die Augen und kämpfte um ihre Fassung. Als sie John wieder ansah, waren ihre Augen glücklicherweise noch trocken, aber die Frage war, wie lange das noch anhalten würde. "Ich habe kein Verständnis geheuchelt. Aber du bist nicht der Einzige der nachdenkt, John. Und all diese Dinge in letzter Zeit ... Himmel, früher hättest du so viel darum gegeben den Abend mit mir zu verbringen und hättest auch sicher nichts anbrennen lassen. Und nun hast du keine Lust? Wie soll ich das verstehen? Das kann doch nur an mir liegen, welchen Grund gäbe es sonst, dass du mich nicht mehr anfassen willst?"
Constance schluckte streckte die Hand aus und legte sie an Johns Wange. "Bitte John, ich begreife es einfach nicht. Ich will dir doch nur eine gute Ehefrau sein und ich will Zeit mit meinem Mann verbringen. Ich verstehe einfach nicht, warum du mich abweist."

"Ja, ich begreife auch nicht, warum du im Moment ständig so anhänglich bist. Das warst du früher nicht." John hatte wirklich Schwierigkeiten sich auf die Diskussion zu konzentrieren. Er konnte nur daran denken, wann er endlich etwas trinken konnte. Gegen seine Kopfschmerzen, natürlich. Warum auch sonst? Gerade rechtzeitig kam er wieder in den Streit zurück. "Jetzt ist aber nicht früher, jetzt habe ich eben keine Lust. Und wenn du mir nicht glauben willst, dass es nicht an dir liegt, bitte. Dann musst du eben mit deinem Irrglauben weiterleben."
Als sie die Hand an seine Wange legte, drehte er den Kopf weg. "Ich begreife es auch nicht." Er stand auf. "Weil du mir auf die Nerven gehst, deshalb. Und jetzt lass mich in Ruhe und geh schlafen, ich gehe nochmal ins Dorf.", sagte er barsch und verließ das Gemach.

"Ich ... bin nicht anhänglich." erwiderte Constance ein wenig unsicher, da er sie mit diesem Vorwurf völlig aus dem Konzept gebracht hatte. Sie forderte doch gar nicht mehr als sonst, oder doch?
Als John den Kopf abwandte, um ihrer Berührung zu entkommen versetzte das Constance einen herben Stich. Doch noch viel schlimmer war das, was danach kam. Und jetzt lass mich in Ruhe und geh schlafen, ich gehe nochmal ins Dorf.
Constance war so überrascht, dass sie einen Moment brauchte um zu reagieren, dann erhob sie sich eilig und lief John hinter her. "John, warte!" bat sie eindringlich und erreichte ihn auf dem Gang, ehe er die Tür schließen konnte. "Bitte, geh nicht." murmelte sie und griff nach seinem Handgelenk, um ihn aufzuhalten.
"Oder sag mir wenigstens, was du dort treibst, damit ich weiß, woran ich bin. Was zieht dich dorthin und weg von mir?" fragte sie und atmete tief durch. "Ich habe mit Joanna gesprochen. Sie sagte, William sei an dem Abend bei ihr gewesen, die ganze Zeit über. Wieso hast du mich angelogen?" sprach sie dann endlich aus, was ihr auf der Seele brannte.

"Doch, das bist du.", erwiderte John ungehalten. Was fiel ihr ein ihn doch noch aufzuhalten? Er war ein freier Mann und durfte gehen, wohin er wollte! Das mischte sie sich da bitte ein?
Er entriss ihr seinen Arm, als sie ihn am Handgelenk aufhielt. Warum ließ sie ihn nicht endlich gehen? Er brauchte sein Bier, dann konnte er sich auch wieder beruhigen! Das führte doch zu nichts.
"Spionierst du mir jetzt noch hinterher?", fragte er empört. "Was soll das? Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, ich tue, was ich für richtig halte. Ich weiß noch nicht, wo ich hingehe. Also, keine Ahnung." Wieder eine Lüge, er wollte ja ins Wirtshaus. Aber am Ende kam sie noch auf die Idee ihm zu folgen. Das war doch wohl die Höhe!
"Was mich weg von dir zieht? Dass du mir auf die Nerven gehst, weil du immer wissen willst, was los ist, was ich denke und fühle!"

Constance schnappte leise nach Luft als John sich von ihr los riss und legte die Arme vor ihren Körper, strich sich nervös mit einer Hand über den Hals. "Ich spioniere dir nicht nach!" protestierte sie. "Wir haben zusammen gesessen und ich habe gesagt, dass es mich gefreut hat, dass du mit William unterwegs warst, da meinte sie, dass er gar nicht weg gewesen sein!" In Constances Augen leuchtete der Trotz auf. "Mach mich nicht für deine Lügen verantwortlich!" erwiderte sie scharf und wirkte dabei herrischer als sie es für möglich gehalten hätte.
Aber ihr Mut hielt auch nicht sonderlich lange an. "Ich will es wissen, weil wir das sonst immer miteinander geteilt haben." erwiderte sie ein wenig elend. "John, sag mir doch einfach was los ist, damit ich es verstehe. Damit ich begreife, warum ich dich in Ruhe lassen soll, warum du so merkwürdig bist." bat sie ihn, streckte die Hand aus, hielt sich im letzten Moment jedoch noch davon ab ihn zu berühren. "Ich kann so nicht weiter machen, John, ich fühle mich so unsicher ... ich weiß einfach nicht, ob du nicht eines abends wieder nach Hause kommst und entschieden hast, dass du mich gar nicht mehr willst." Und dann würde sie dasitzen mit den Kindern ... was sollte sie denn ohne ihren Mann tun?

"Doch, das tust du. Du willst ständig wissen, wo ich gewesen bin. Wer weiß, ob du mir nicht schon gefolgt bist? Du und dein verdammtes Misstrauen!"
John schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht merkwürdig. Und wenn du glaubst, ich würde einfach so aufhören dich zu lieben, bitte. Glaub deinen Unsinn weiter, aber belästige mich nicht damit. Und genau mit diesen Dingen gehst du mir auf die Nerven. Geh doch zu Joanna und heule ihr etwas vor, wie furchtbar ich doch bin. Ich gehe jetzt. Gute Nacht."
Und damit schlug er die Tür hinter sich zu, um endlich sein wohlverdientes Bier trinken zu gehen. Weiber waren doch alle gleich...

Du und dein verdammtes Misstrauen!
Constance stand da und starrte ihren Mann an, unfähig noch irgendetwas zu erwidern. Zu sehr traf sie diese Szene, die sich hier gerade abspielte. Was war nur aus ihnen geworden, dass sie sich so gegenseitig angingen? Sich Vorwürfe machten?
"John ..." murmelte sie leise, regelrecht flehend als er die Tür zuschlug, dann dauerte es nur noch einen kurzen Moment bis sie die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Sie kamen einfach so, ohne das Constance noch etwas dagegen tun konnte und so ließ sie einen Moment lang zu, dass die Tränen hemmungslos über ihre Wangen liefen, ehe sie sich mit dem Ärmel über das Gesicht fuhr und langsam begann noch die letzten Teile in ihrem Gemach zusammen zu räumen, die verstreut herum lagen. Das tat sie ein bisschen wie in Trance und als sie fertig war mit aufräumen, ging sie nach nebenan, zog sich ohne darüber nachzudenken um und kroch unter die Bettdecke.
Sie hatte fest damit gerechnet, dass die Tränen wieder kommen würden, doch dieses Mal blieben sie aus und Constance rollte sie zusammen und wartete. Wartete, dass die Zeit umging, dass John wieder kommen würde, wartete darauf, dass sie begriff, was sie falsch machte, dass sie John so von sich weg trieb.

John war gerufen worden, weil er sich um Elias kümmern sollte. Der Junge hatte sich beim Spielen verletzt und er sollte ihn versorgen. Das nervte ihn ein wenig, denn er war heute Morgen sowieso so in Eile gewesen, dass er noch nicht einmal geschafft hatte in Ruhe seinen Becher Wein zu trinken. Deshalb zitterten seine verfluchten Finger jetzt auch so, als er dem Jungen den Ärmel hochstreifte. Außerdem schwitzte er, als wäre es Hochsommer, dabei war es wirklich eher kühl draußen. Und Hunger hatte er am Morgen auch nicht verspürt, es war einfach nicht wichtig, was er aß und wann. Der Wein wäre wichtiger gewesen, aber nicht mal das gönnte man ihm. Er hatte aber auch schnell fort gewollt von Constance, bevor die wieder anfing ihn in ein Gespräch über seine Probleme zu verwickeln. Er hatte keine Probleme außer sie.
Elias versuchte ihm den Arm wegzuziehen, weil er ein bisschen ungeschickt beim reinigen war. Warum blieben seine Finger auch nicht still?
"Halt still, sonst dauert es noch viel länger.", wies er den Jungen mürrisch zurecht.

Elias

William seufzte leise. Als Elias mit verräterisch schimmernden Augen schon nach kurzer Zeit vom Spielen zurück gekommen war, hatte er geahnt, dass der Junge sich verletzt hatte, noch ehe er einen genauen Blick darauf werfen konnte. Elias' Kleider waren schmutzig und an einem Knie hatte seine Hose einen riss, so dass das aufgeschürfte Knie zu sehen war.
Und so wie der Junge jammerte, kaum das er bei seinen Eltern war, hätte man meinen können er hätte sich den Arm gebrochen. Er blutete tatsächlich am Arm, der Knochen schien aber heile geblieben zu sein, dennoch hatte William sofort nach John schicken lassen.
"Es tut mir wirklich Leid, dass ich dich so früh schon herholen musste, aber ich dachte mir, es ist besser, wenn die Wunden gleich ordentlich versorgt sind, bevor sich noch etwas entzündet." Das ging ja meist schneller als man gucken konnte.
Elias kamen nun doch die Tränen als John seinen Arm festhielt und sich an der Verletzung zu schaffen machte. "Aber es tut so weh." jammerte er, obwohl er wusste, dass ein Mann die Zähne zusammen beißen musste. Gerade fühlte er sich jedoch wenig männlich. "Bitte ..." Er versuchte trotz der schroffen Zurechtweisung seinen Arm erneut wegzuziehen. "Es brennt!" beklagte er sich.

"Ja, ja...", erwiderte John nur unwillig. "Aber dem Jungen wird der Arm schon nicht abfallen." So schnell ging das mit einer Entzündung nun auch wieder nicht.
Elias' Jammern ging ihm allerdings ziemlich auf die Nerven und besänftige die sich anbahnenden Kopfschmerzen nun nicht gerade. Ihm lag daran hier schnell fertig zu werden, aber der Junge machte ihm das immer schwerer und er konnte mit dessen Zappelei kaum die Wunde richtig säubern, zumal seine Finger immer unsicherer wurden, je mehr er sich konzentrierte.
Als Elias erneut versuchte sich zu lösen, packte John ihn mit der freien Hand am Handgelenk. "Dann pass nächstes Mal gefälligst besser beim spielen auf, dann brennt es auch nicht! Stell dich nicht so an. Oder wäre es dir lieber, ich würde den Arm abnehmen?"

Elias

William beobachtete mit gerunzelter Stirn wie John zu Werke ging. Es schien ihm als sei der Arzt nicht wirklich bei der Sache und blass war er auch. Ehe er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, fuhr John Elias so dermaßen an, dass der Junge ihn schockiert ansah.
Elias' Augen weiteten sich panisch und für einen Moment verharrte er in einer Schockstarre, dann versuchte er sich mit aller Macht von John los zu reißen. "Nein! Nein! Nicht meinen Arm! Lass mich los! Los lassen!" Panisch zerrte er an seinem Handgelenk, das John festhielt und die Tränen begannen nun erst Recht zu laufen.
Ehe John nun endgültig die Geduld mit dem Jungen verlieren konnte, war William bei ihnen, schlang die Arme um seinen Sohn und hielt ihn fest. "Sch sch, keine Angst, dein Arm bleibt dran. Versprochen." murmelte er beruhigend und strich Elias durch die Haare. "Alles gut, Kurzer, du musst nur noch einmal tapfer sein." redete er auf Elias ein und warf John einen vernichtenden Blick zu. "Und wir unterhalten uns gleich." brummte er und maß den Arzt mit zornigem Blick. Hatte John den Verstand verloren dem Jungen mit so etwas zu drohen?

John holte gerade Luft um den Jungen erneut zurecht zu weisen, als William eingriff und die Arme um seinen Sohn legte. Er bedachte Williams Ankündigung mit einem kühlen Blick, brachte dann seine unruhigen Finger soweit unter Kontrolle, dass er die Wunde reinigen und einen kleinen Verband anlegen konnte. Er war wirklich dankbar, als er den Jungen endlich loslassen und seiner Wege gehen lassen konnte.
Stoisch säuberte er seine Sachen und packte sie in seine Tasche. Dass Elias so einen Aufstand machte, hatte ihm gerade noch gefehlt. Der Junge musste eben lernen, dass es nicht immer nach seinem Willen ging und dann musste er eben vorsichtiger spielen.
Aber dass William auf der Seite seines Sohnes stand, war klar.

Als alles überstanden war, strich William Elias noch einmal durch die Haare und stellte ihn dann wieder auf seine Füße. "Na los, lauf schon zu den anderen. Aber sei vorsichtig, hörst du?" trug er dem Jungen mit einem milden Lächeln auf. Elias schniefte noch einmal, nickte dann und lief zur Tür hinaus.
William wartete bis die Tür wieder zu war, dann drehte er sich zu John herum und seine Miene verfinsterte sich schlagartig.
"Was zum Teufel fällt dir eigentlich ein? Du kannst dem Jungen doch nicht damit drohen ihm den Arm abzunehmen! Bist du von allen guten Geistern verlassen, John?" fuhr er den Arzt zornig an. "Du solltest dich wirklich besser im Griff haben, möchte man meinen."

John ließ sich von Williams finsterer Miene nicht beeindrucken, sondern schüttelte den Kopf. "Ich habe ihm nicht gedroht, ich habe ihn nur gefragt, ob ihm das lieber ist als stillzuhalten? Wenn er schon so unvorsichtig beim spielen ist, muss er auch die Konsequenzen tragen. Und die Wunde war nun wirklich nicht so schlimm, als dass sie ein derartiges Theater gerechtfertigt hätte. Ich kann mich nicht stundenlang damit befassen, ich habe noch andere Dinge zu tun."
Er schloss seine Tasche und hob sie auf.
"Ich habe mich im Griff, aber Elias stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Wenn das dann alles war..." Was fing William jetzt auch noch an ihm dummes Gespräch zu halten? Er wollte zurück nach Hause, ein, zwei Becher Wein trinken und dann zum Unterricht mit den Kindern gehen.

William hatte mit einer Menge gerechnet, aber Johns Reaktion fiel nun doch gänzlich anders aus als er erwartet hätte. Für einen Moment konnte er ihn nur verblüfft anstarren, dann gewann er wieder die Kontrolle und verengte die Augen. "Ist mir gleich, ob du ihm drohst oder ihn danach fragst, das war vollkommen unangemessen! Sowas hast du doch sonst nie nötig. Er ist ein kleiner Junge, John! Vermutlich war der Schreck größer als der Schmerz, aber deshalb kannst du ihn doch nicht so anfahren."
Als John seine Tasche aufhob, machte William einen Schritt zur Seite, um zwischen ihn und die Tür zu kommen, denn so leicht wollte er John nicht davon kommen lassen.
"Wenn er deine Geduld auf solch eine Probe stellt ... dann tätest du in Zukunft besser daran dich von ihm fern zu halten." entschied William dann. "Tu was du willst, aber du wirst weder jemanden aus meiner Familie anfassen noch unterrichten, bist du dich wieder im Griff hast. Denkst du, mir wäre nicht aufgefallen, dass deine Hände gezittert haben? Du warst überhaupt nicht bei der Sache." William schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Ahnung was mit dir los ist und so wie du reagierst, wirst du es mir wohl auch nicht sagen, aber solange du so bist, halte ich dich nicht länger für einen guten Arzt oder Lehrer. Also sieh zu, dass du nach Hause kommst, die Kinder wird in nächster Zeit jemand anderes unterrichten."

"So klein ist er nun auch nicht mehr! Er ist acht Jahre alt. Andere in seinem Alter müssen helfen für ihre Familie zu sorgen. Also sollte er sich nun wirklich nicht so anstellen! Das war unangemessen."
John verdrehte genervt die Augen, als William sich zwischen ihn und die Tür stellte. Warum nur wollte ihm jeder vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hatte?
"Da ist nichts. Meine Hände zittern nicht, das bildest du dir ein.", rechtfertigte John sich ungehalten, dann aber wurde er noch blasser und seine Augen weiteten sich entsetzt. Das war sein Leben! Der Unterricht mit den Kindern, das Behandeln ihrer kleinen und großen Krankheiten und Blessuren. "Das kannst du nicht machen! Du kannst mir nicht meine Arbeit wegnehmen!"
Die Kinder waren doch im Prinzip der einzige Grund, warum er noch morgens aufstand, so wenig Lust er auch hatte!
Was hatten sie denn plötzlich alle gegen ihn? "Was soll das?"

William verengte die Augen zu Schlitzen. "Was fällt dir eigentlich ein dich in die Erziehung meiner Kinder einzumischen? Ich entscheide immer noch, was er zu tun und zu lassen hat. Und er hat nun einmal das Glück kein Bauernbengel zu sein, der von morgens bis abends schuften muss." knurrte William wütend.
"Ich habe es mir nicht eingebildet, John. Ich weiß was ich gesehen habe und das hat mir weiß Gott nicht gefallen." entgegnete er und nickte dann. "Doch, ich kann und ich tue es. Es liegt in deiner Hand wie lange dieser Zustand anhalten muss, sobald du mir beweist, dass du dich wieder im Griff hast und dich benimmst wie der John, den ich kenne, kannst du deine Arbeit gerne wieder aufnehmen. Aber nicht im Moment. Im Moment denke ich, schadest du den Kindern eher als dass du ihnen nützt."
William fuhr sich mit der Hand über den Bart. "Geh dich ein wenig beruhigen, John. Wenn du das getan hast und dann heute Abend mit mir über das sprechen möchtest, was dich belastet, nur zu. Du weißt, dass meine Tür für meine Freunde immer offen steht. Aber ich will nicht, dass du deine Probleme an den Kindern auslässt."

"Da ich sie unterrichte, darf ich ja wohl ein Urteil abgeben, ob du meinem Rat nun folgst oder nicht.", erwiderte John überzeugt und schüttelte dann den Kopf. "Ich habe mich im Griff und verändert habe ich mich nicht. Ich würde nie den Kindern schaden! Wie kannst du mir so etwas vorwerfen?" Er unterrichtete schließlich seit Jahren Williams Kinder, niemals hatte der sich beklagt und sie waren alle kluge, gebildete Kinder geworden.
"Beruhigen?! Ich muss mich nicht beruhigen. Du musst dir darüber klar werden, was für einen Fehler du machst! Deine Tür steht für deine Freunde immer offen? Dann ja wohl nicht für mich. Du bist ganz sicher nicht mein Freund, wenn du mir das Einzige nimmst, wofür ich mich aufraffe! Ach, lass es einfach, du bist sowieso immer völlig überzeugt von dir! Du brauchst nicht zu glauben, dass ich auf Knien zu dir rutsche, damit du mich wieder arbeiten lässt. Du wirst schon noch sehen, was du davon hast!"
Doch er folgte er Aufforderung und verließ das Zimmer, ließ William stehen. Auf dem Weg in Richtung Dorf begegnete ihm glücklicherweise niemand, als ihm die Tränen kamen. Warum waren sie plötzlich alle so zu ihm? Erst Constance, dann William...Was wollten sie nur alle von ihm? Und er war doch immer so gerne Lehrer gewesen.
William würde irgendwann dafür büßen, dass er ihm das antat! Er selbst würde sich jetzt erst einmal etwas zu trinken besorgen und sich dann irgendwo hin verkriechen, wo ihn niemand störte.

"Ich werfe dir nichts vor, ich halte nur fest, was ich gerade beobachten konnte. Und so erscheint es mir wenig ratsam, dich mit den Kindern arbeiten zu lassen. John, der Junge hatte Angst und anstatt ihn zu beruhigen hast du ihn mit deinem unbedachten Spruch in Panik versetzt. So kenne ich dich nicht und ich muss sagen, dass es mir auch nicht sonderlich gefällt." entgegnete William entschlossen.
"Es betrübt mich zu hören, dass du das so siehst. Ich für meinen Fall halte dich sehr wohl für meinen Freund, aber dennoch muss ich in diesem Fall Konsequenzen ziehen." erwiderte er und schüttelte betrübt den Kopf. "John, du hast Frau und Kinder. Sie sollten der maßgebliche Grund sein, warum du dich morgens aufraffst, vergiss das nicht." rief er seinem Freund nach.
Als John sich dann davon machte, hielt William ihn nicht auf, sondern setzte sich auf den nächst besten Stuhl und atmete tief durch. "Was zum Teufel ist nur in dich gefahren, John?" murmelte er leise und fuhr sich kurz mit der Hand über die Augen. Sein Freund war ganz und gar nicht bei sich gewesen, so hatte er ihn ja noch nie erlebt.

Es war später Morgen und Joanna räumte hier und da ein wenig auf, behielt dabei ihre Kinder im Blick, die einträchtig spielten und war dennoch mit den Gedanken ein wenig abwesend. Sie genoss den ruhigen Morgen, aber William hatte ihr von dem Gespräch mit John erzählt und das stimmte sie doch nachdenklich. So kannte sie ihn gar nicht. Keiner von ihnen tat das, sie würde wirklich Constance einmal fragen müssen.
Wie aufs Stichwort klopfte es und Joanna bat den Besuch herein.
Es war Constance, die ziemlich bleich und verstört wirkte. Joanna ging sofort zu ihr hinüber.
"Constance! Setz dich, du siehst furchtbar aus. Was ist passiert?"

Constance hatte zwei Nächte und einen Tag ausgehalten, aber nun lagen ihre Nerven blank und sie wusste einfach nicht mehr ein noch aus. John war vorgestern geholt worden, damit er sich Elias ansah, der sich beim Spielen verletzt hatte und Constance hatte schon erwartet, dass er dann gleich aufbleiben würde, um sich um weitere Patienten zu kümmern und später die Kinder zu unterrichten, wie er es immer tat.
Allerdings war er auch abends nicht zurück gekommen und als die Nacht hereinbrach, hatte sie sich voller Sorge ins Bett gelegt und gehofft, er würde einfach irgendwann auftauchen. Aber John war weg geblieben. In der Nacht so wie am darauffolgenden Tag und auch in der zurück liegenden Nacht war er nicht nach Hause gekommen.
Den Kindern hatte sie gesagt, dass er einen wichtigen Patienten ein paar Dörfer weiter weg betreuen müsste und wieder kam, sobald dieser gesund war, aber Cathie hatte ihre Mutter immerhin zielsicher durchschaut und Constance schien es als würden zumindest auch die Zwillinge merken, dass etwas nicht in Ordnung war. Und sie wusste einfach nicht mehr wie es weiter gehen sollte.
Deshalb klopfte sie nun auch bei Joanna und war froh, dass ihre Freundin da war und sie herein bat.
Constance befolgte Joannas Aufforderung und ließ sich auf dem nächsten Stuhl nieder. "Er ist weg." murmelte sie betroffen und sah langsam auf. "John ist weg. Er ist einfach nicht mehr nach Hause gekommen. Ich dumme Gans konnte ihn ja nicht in Ruhe lassen und jetzt ist er einfach gegangen." Constance hatte die letzten zwei Nächte so viele Tränen vergossen, dass nicht einmal jetzt, wo sie es laut aussprach noch welche kamen. Nur die Verzweiflung war da und hielt sie gefangen.