William und Joanna - ab 1183

Miriam

Miriam nickte. "Das glaube ich dir, Und ich finde es schön, dass du dir für solche Dinge Zeit nimmst. Man muss offen sein, um fremde Dinge verstehen zu können. Und wenn alle etwas offener wären, würde es weniger Schwierigkeiten zwischen den Menschen geben..."
Sie ließ zu, dass er ihren Kopf ein wenig drehte und erwiderte seinen Blick. Es war ein sehr inniger Moment, der ihr Herz höher schlagen ließ.
Ganz besonders, als er ihr seine Liebe gestand. Sie errötete leicht und lächelte zaghaft. Und doch konnte sie ihn so gut verstehen, denn ihr ging es nicht anders.
"Und ich....liebe dich."
Einen kurzen Moment zögerte sie, dann gab sie sich einen Ruck und gab ihm einen Kuss.

Levi

Levi wurde ganz flau im Magen als Miriam errötete. Sie sah so hinreißend aus, dass er gar nicht mehr wusste wohin mit sich. Und dann kamen die Worte, die ihn aus seiner heimlichen Angst, er könne zu weit gegangen sein, befreiten. Levi hatte gerade genug Zeit um erleichtert durchzuatmen, da überwand Miriam das letzte Bisschen Distanz zwischen ihnen und küsste ihn.
Levi war überglücklich. Er zog sie ein wenig enger an sich und erwiderte der Kuss sanft, aber voller Hingabe. Nie wieder sollte sich das ändern. Miriam sollte hier bei ihm bleiben und er würde alles in Bewegung setzen, damit sie glücklich war.

Raymond

Frustriert warf Raymond sein Kohlestück zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hasste diese Schreibübungen, die er machen sollte und all diese Buchstaben sahen für ihn nur aus wie wildes Durcheinander an Klecksen.
Er hatte darauf keine Lust und er war wütend auf seinen Vater, weil er diese Dinge lernen und an Michaels Unterricht teilnehmen sollte.
"Ich kann das einfach nicht...", fluchte er vor sich hin und schob auch noch das Papier von seinem Schoß. Wahrscheinlich brauchte er das nie wieder.. Warum zum Teufel sollte ihm auch daran gelegen sein, lesen zu lernen?

Michael

Michael war nach wie vor hin und her gerissen was er von der Anwesenheit seines Bruders hier halten sollte. Einerseits hatte Michael die Erfahrung gemacht, dass Geschwister etwas wunderbares waren und Raymond war auch nicht so furchtbar viel älter als er, so dass sie eigentlich gut zusammen hätten spielen können. Aber andererseits schien es zwischen Raymond und ihm viel komplizierter als es zum Beispiel mit Raphael war. Raymond war so anders als Michael es kannte und das schüchterte ihn etwas ein, weckte aber gleichzeitig auch seine Neugierde, so dass er sich zu seinem größeren Bruder fast wie magisch hingezogen fühlte.
Als er Raymond nun aber zielsicher gefunden hatte, erkannte Michael sofort, dass er sich vielleicht nicht den besten Zeitpunkt ausgesucht hatte. Raymonds Miene war sturmumwölkt. Aber es war zu spät, um einfach wieder zu verschwinden.
"Was machst du gerade, Ray?" versuchte Michael dennoch einen fröhlichen Beginn zu finden.

Raymond

Raymond brütete immer noch missmutig über seinem Papier, als sich Michael näherte. Wie konnte der so fröhlich sein, bei all dem, was er lernen musste? Seit dem eindringlichen Gespräch mit seinem Vater hatte er sich vorgenommen, etwas netter zu Michael zu sein und sich Mühe zu geben ihn wirklich kennenzulernen. Aber das war gar nicht so leicht, denn er war so schnell wütend, wenn die Dinge nicht liegen, wie er es eigentlich wollte. Auch wenn es an ihm selbst lag...
Er hob den Blick und bedachte Michael mit einem zweifelnden Blick. "Ach, ich soll diese dämlichen Schreibübungen mit den Buchstaben machen, aber ich bin zu dumm dazu. Ich will das nicht lernen....diese Striche sehen für mich alle aus wie Hühnerfüße."
Es hatte sich am Anfang noch sinnvoll angehört, als sein Vater ihm gesagt hatte, er solle schreiben lernen. Aber je mehr er sah, desto schlechter erschien ihm diese Idee. Es würde sinnvoll sein lesen zu lernen, vielleicht. Aber Schreiben? Er konnte kaum lesbare Zeichen auf dieses Papier machen.

Michael

Michael hatte sich schon auf eine kühle Abfuhr eingestellt, wurde aber überrascht und trat daher noch einen Schritt näher. Unwillkürlich musste er über Raymonds Vergleich kichern und schlug sich eilig eine Hand vor den Mund. "Tschuldigung." murmelte er ein wenig verlegen. "Es ist nur ... Hühnerfüße ..." Michael trat noch näher und spähte auf das Blatt. "Du musst dir merken, dass die Hühnerfüße in verschiedene Richtungen laufen." schlug Michael dann vor. "Vielleicht geht es dann besser."
Er konnte Raymond in gewisser Weise verstehen, er hatte es Anfangs auch ziemlich schwierig gefunden, aber irgendwann war er besser geworden und mittlerweile machte ihm das Lernen von Lesen und Schreiben wirklich Spaß.

Raymond

Raymond  brummte. Er war ganz froh, dass Michael seine Worte wenigstens amüsant fand, denn wie sonst konnte er mit Michael mithalten, wenn nicht durch eine große Klappe?
"Ja, vielleicht....aber ich schätze, ich werde es nie lernen. Es gibt zu viele Buchstaben, die sich auch noch ähnlich sehen. Ich kann das nicht auseinander halten. Und wenn ich versuche sie zu schreiben, kann man sie nicht erkennen."
Er zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß auch nicht, warum ich das brauche. Es ist eigentlich unsinnig das zu lernen. Lesen kann ja vielleicht nützlich sein....aber schreiben? Du wirst Ritter...muss man als Ritter lesen können? Ich dachte, man muss nur kämpfen können als Ritter."

Michael

Michael sah Raymond nachdenklich an, betrachtete seine Schreibversuche und runzelte leicht dir Stirn. "Vielleicht musst du es mit links versuchen?" schlug er dann vor. Er hatte es einmal in Dover bei einem der Schreiber gesehen. Dieser hatte einen Brief abgefasst, den der Earl ihm diktiert hatte und die Feder war nur so über das Pergament geflogen, das hatte Michael so fasziniert, dass er von seinem Spiel abgelassen und den Schreiber bei seiner Arbeit beobachtet hatte und dabei hatte er gesehen, dass dieser mit der linken Hand die Feder führte, anders als Michael es in seinem Unterricht zu dem Zeitpunkt zu lernen begann.
Michael zog leicht die Schultern in die Höhe, nickte dann aber. "Oh ja. Recht viele können es nicht, aber es ist von großem Vorteil. Wenn man etwas Land besitzt, ist es für die Verwaltung ungemein nützlich, weil der Verwalter dich nicht übers Ohr hauen kann, wenn du selbst die Bücher lesen kannst. Und es ist viel besser Dinge einem Brief als einem Boten anzuvertrauen, denn dann kann man sicher sein, dass der Empfänger auch wirklich das erfährt, was er soll." erklärte Michael bereitwillig.

Raymond

Raymond hob die Augenbrauen und sah auf seine Hände hinab. "Mit links? Und du denkst, das hilft? Der Lehrer hat gesagt, ich soll mit der rechten Hand schreiben. Aber ich denke, ich werde es trotzdem versuchen." Er stand auf und suchte das Kohlestück, das er fort geworden hatte vor Wut. Nach wenigen Schritten wurde er fündig.
"Hm, das klingt sinnvoll. Ich werde wohl nie Landbesitzer, aber ich sehe ein, dass man Dinge vielleicht lieber einem Brief anvertraut."
Er seufzte tief. "Ich hatte gehofft, ich müsste es nicht lernen...Es ist so schwierig. Ich glaube, ich werde es niemals hinkriegen."
Trotzdem setzte er das Kohlestück diesmal mit links an und die Linien waren ein wenig gerader als zuvor. "Hm, vielleicht hast du recht...Ich bin eben anders."

Michael

Michael zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber ich hab es mal bei einem Schreiber in Dover gesehen, er war der einzige, der mit links geschrieben hat. Vielleicht geht es bei dir so auch besser." Und wenn nicht war es wenigstens einen Versuch wert gewesen, fand Michael, denn schlechter konnte es mit links auch kaum werden.
"Wer weiß, vielleicht wirst du ja irgendwann doch ein Stück Land haben. Eigentlich spricht doch nichts dagegen, oder?" wandte Michael ein. Er war überzeugt, dass sein Vater schon irgendetwas für Raymond vorbereiten würde, wenn es erst an der Zeit war.
"Unsinn, irgendwann wird es schon." murmelte er und beobachtete wie Raymond einen neuen Versuch startete. Lächelnd nickte Michael als Raymond nun schon ein bisschen besser zurecht kam. "Siehst du, das sieht doch gar nicht so schlecht aus."

Raymond

Raymond lauschte aufmerksam. "Vielleicht ist es bei manchen Menschen eben so. ich wäre froh, wenn du recht hast, denn dann bin ich nicht so unfähig wie ich es derzeit glaube." Und es schien ja tatsächlich zu gelingen.
"Hm, du hast Recht. Scheint besser zu klappen. Es ist trotzdem anstrengend." Er schaute Michael skeptisch an. "Ich und ein Stück Land? Ich glaube nicht....da spricht schon meine Herkunft dagegen. Mich würde doch niemand als Herr akzeptieren. Meine Mutter war eine Dirne. Ich fühle mich schon wie ein Betrüger, weil Vater will, dass ich Ritter werde."
Er konnte sich das schon kaum vorstellen, aber natürlich bot es für ihn wahnsinnig viele Möglichkeiten. Möglichkeiten, die ihm manchmal auch ein wenig Angst machten.

Michael

Michael lächelte leicht, froh darüber, dass er ganz offenbar einen guten Rat hatte geben können, denn das kam nun wirklich nicht unbedingt oft vor. "Ich schätze, du brauchst erst noch etwas Übung. Deine Linke muss sich ja auch erst einmal an die neue Arbeit gewöhnen?" schlug er dann vor. Vielleicht würde Raymond etwas versöhnlicher in den Unterricht kommen, wenn es von nun an auch besser voran ging.
Dann schüttelte er den Kopf. "Das glaube ich nicht. Die Leute wird nicht interessieren, was deine Mutter einmal war. Hier weiß es doch ohnehin niemand und dein Vater ist ein Lord. Es gab schon einen König, der unehelich geboren war und viele hohe Lords haben Bastarde hat Vater gesagt. Mein ... ich glaube es war mein Urgroßvater ... er war auch einer und er hat eine ganze Grafschaft bekommen." erzählte Michael munter.

Raymond

Raymond nickte langsam. "Ja, das stimmt. Ich benutze sie ja so gar nicht so viel und schreiben bin ich gar nicht gewohnt." Er zögerte und gab sich dann einen Ruck. "Danke, dass du mir helfen willst, obwohl ich so gemein zu dir war."
Sie waren immerhin Brüder, das würde er lernen müssen zu akzeptieren. Vielleicht war es ja doch gar nicht so schlimm einen Bruder zu haben.
"Ja schon, aber es ist ein Unterschied ein Bastard zu sein oder der Bastard einer Hure zu sein. Es weiß noch niemand, aber ich bin sicher, dass es nicht lange dauern wird, bis sie es wissen. Und dann werden wir ja sehen, ob sie noch so nett zu Mutter und mir sind. Ich weiß nicht...sie leben hier alle so in ihrer heilen Welt. In London ist ohnehin alles ein bisschen...verderbter, rauer. Dort ist es nicht so wichtig wie hier, weil es eben viele Leute gibt, die sind wie ich."

Michael

Michael wurde ein wenig rot als Raymond sich bedankte und winkte eilig ab. "Schon gut, ist doch nichts dabei." nuschelte er etwas verlegen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
Nachdenklich hörte Michael seinem Bruder zu und runzelte leicht die Stirn. "Wie ... wie genau ist es in London?" fragte er dann. "Ich war noch nie dort, soweit ich mich erinnern kann. Würdest du mir davon erzählen?" fragte er hoffnungsvoll. Er wollte gern wissen wie es dort so zuging. Er kannte Oxford und Dover und dort gab es in seinen Augen schon genug zu erleben, aber London musste noch einmal ganz anders sein. Vor allem das, was Raymond bisher so angedeutet hatte. Und vielleicht würde Michael so noch eher einen Zugang zu seinem Bruder finden, wenn er verstand, woher dieser kam und was er an London so liebte.

Raymond

Raymond hob den Kopf und schaute Micheal skeptisch an. Diese Frage hatte bisher noch niemand ihm gestellt und dabei vermisste er London wirklich sehr.
"Klar, warum nicht? London ist großartig, du musst irgendwann auf jeden Fall mal dorthin. Die Luft ist schon ganz anders. Es ist immer voller Trubel, Tag und Nacht, weißt du. Und du bekommst alles, was dein Herz begehrt. An jeder Ecke gibt es ein Wirtshaus, Essenstände oder auch Hurenhäuser. Und London schläft niemals. Wenn du mitten in der Nacht hinaus gehen willst, findest du immer Gesellschaft. Sicher, es gibt gerade an der Themse auch wirklich ruhige Fleckchen. Wie ich schon sagte...man findet alles, was man gerne möchte. Und weil die Abstammung nicht so wichtig ist, ist es einfacher. Es gibt viele Bastarde, es ist einfach gleichgültiger. Hier bei euch ist es essentiell."
Es war eine der ersten Fragen, wenn man vorgestellt wurde und das störte ihn nicht unerheblich. Es war nicht seine Welt.

Michael

Michael seufzte leise. "Vermutlich wird es noch lange dauern bis ich dort einmal hin kann. Vater wird mich für zu klein halten, um mit nach London zu kommen." bemerkte er ein wenig enttäuscht, lauschte dann aber aufmerksam und voller Neugierde Raymonds Bericht.
"Huren ... häuser?" wiederholte er verblüfft. Sicher, er hatte eine ungefähre Vorstellung davon was eine Hure war, hatte das Wort schon aufgeschnappt, nicht zuletzt, weil die Leute auch über seine Mutter tuschelten, aber dass es ganze Häuser gab in denen sie lebten, war für Michael etwas völlig neues.
"Alles was mein Herz begehrt?" wiederholte Michael skeptisch, doch seine Augen leuchteten bei der Vorstellung. "Wie soll das gehen? Und wie kann London so anders sein als Oxford? Es sind doch beides Städte ..."

Raymond

"Hm, schade. Aber vielleicht nimmt er dich mal mit an den Hof. So klein bist du ja auch nicht mehr. Und wenn du es siehst, wirst du wissen, was ich meine."
Raymond nickte langsam. "In so etwas bin ich groß geworden, weißt du. Es gibt einen Hurenwirt und er sorgt dafür, dass es den Mädchen an nichts fehlt und er beschützt sie. Sie leben dort und dorthin kommen eben die Freier. Es ist sicher und bequem.", wiederholte er, was er gelernt hatte dort.

"Ja, alles was du dir vorstellen kannst und noch viel mehr. London ist anders, weil es größer ist. Allein schon, weil der Tower dort ist und der Hof oft, sodass viele Lords dort auch Häuser haben. Und es gibt einen Hafen, viele Händler und Seeleute kommen in die Stadt. Es gibt so viele Handwerker und Kaufleute. Es gibt so viele tolle Sachen zu entdecken. Ich vermisse es, dort ist eben immer etwas los."
Nichts würde für ihn je an London heran kommen.

Michael

Michaels Augen leuchteten bei der Vorstellung. "Das wäre schön. Ich würde es wirklich gerne einmal sehen." Erwiderte er ein wenig aufgeregt.
"Wirklich?" Fragte er dann mit großen Augen. "Du hast dort gelebt?" Das klang für Michael alles wahnsinnig aufregend, hatte er doch noch nie etwas in der Art erlebt. Es wunderte ihn fast nicht mehr dass Raymond es hier langweilig fand, in London musste er eine ganze Menge Abenteuer erlebt haben. "Aber ..." begann er dann zögerlich. "Wieso seid ihr denn eigentlich von dort weg gegangen?" Fragte Michael dann. Raymond machte ja keinen Hehl daraus, dass er lieber wieder in London wäre und wenn es in diesem Hurenhaus so sicher und bequem gewesen war, war es seiner Mutter ja sicher auch nicht schlecht ergangen.

Raymond

Raymond lächelte. "Du wirst es bestimmt eines Tages sehen, es ist großartig. Dann wirst du verstehen, warum ich so gerne dort war."
Er nickte eindringlich. "Das habe ich. Ich bin dort eben geboren worden, weißt du. Und die Mädchen waren immer meine Familie. Ich habe mich immer sicher und wohl dort gefühlt, es war eben normal, was dort passiert und man hat mich immer ein bisschen fern gehalten."
Raymond seufzte tief und seine Miene wurde traurig. Er hatte gewusst, die Frage würde kommen und es erinnerte ihn, dass er alleine Schuld war.
"Weil ich einen Fehler gemacht habe. Ich habe ein Mädchen überredet mir zu zeigen wie man küsst. Und der Hurenwirt hat uns gesehen. Und dann meinte er, er würde mich nicht mehr durchfüttern, ich sei fast erwachsen, ich müsste mein Brot verdienen. Und weißt du, es gibt immer....auch seltsame Menschen in großen Städten. Menschen, die andere Dinge im Bett bevorzugen. Da hat meine Mutter an Vater geschrieben, damit er uns hilft und eine Lösung findet."

Michael

Michael erwiderte das Lächeln seines großen Bruders. "Das wäre fantastisch! Und vielleicht begleitest du uns ja, dann könntest du mir die besten Ecken in London zeigen!" schlug er euphorisch vor.
Doch dann sah er wie Raymonds Miene traurig wurde und schlagartig wurde Michaels Herz schwer. Er hoffte, dass er nicht zu weit gegangen war mit seiner Frage, denn er wollte Raymond doch nicht wieder verärgern.
"Oh ..." murmelte er leise, verzog dann aber kurz das Gesicht. "Wie man küsst? Wieso wolltest du das denn wissen?" fragte er mit gekräuselter Nase. "Das ist doch eklig." Michael verstand nicht recht, wieso Menschen das freiwillig taten.
"Andere Dinge im Bett?" fragte er verwirrt. "Das ... versteh ich nicht. Was denn für Dinge? Und wieso musstest ihr deswegen aus London fort?" fragte er unbedarft.

Raymond

Raymond nickte eifrig. "Oh ja, das wäre toll. Es gibt so schöne Ecken in London. Und es kann an der Themse so schön sein, weißt du. Wenn die Sonne sich auf dem Wasser spiegelt." Raymond rang ein wenig um die richtigen Worte. Er wusste nicht recht, wie er erklären sollte, was er selbst nicht so ganz verstand. "Naja, weil es jeder tut und weil ich wissen wollte, was daran so toll ist. Das spielt bei uns eben eine wirklich große Rolle im Hurenhaus. Ich war einfach neugierig...", begann er langsam. "Es ist gar nicht eklig, es ist eigentlich ganz nett...."
Er biss sich auf die Unterlippe. "Naja, ich sollte eben mein Geld verdienen wie die anderen Mädchen auch, Michael. Manche Männer finden das....toll. Aber das ist furchtbar und meine Mutter wollte mich beschützen. Sie wollte mir ein normales Leben ermöglichen. Aber unser Wirt ist ziemlich aufbrausend und er hätte darauf bestanden, dass ich es tue."

Michael

Michael strahlte und nickte zufrieden angesichts dieser Aussichten. "Ich werde Vater bei einer passenden Gelegenheit einfach mal fragen." beschied er dann.
Im nächsten Moment zog er allerdings skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. "Ganz nett?" wiederholte er zweifelnd. "Naja, wenn du meinst ..." Besser er hakte da nicht allzu sehr nach, schätze er.
Doch dann sprach Raymond weiter und Michael begriff worauf sein großer Bruder hinaus wollte. Erst wurde er kreidebleich, dann senkte er rasch den Blick, ehe ihm die Röte in die Wangen schoss. "Großer Gott ... er wollte dich zwingen ...?" wisperte er leise und nicht wenig entsetzt über die Abscheulichkeiten, die offenbar in der Welt so vor sich gingen.

Raymond

Raymond konnte dieser Idee nur zustimmen. "Oh ja, tu das. Vielleicht nimmt er uns ja Beide mit nach London, das wäre toll. Dann könnte ich dir alles zeigen." Und es konnte nichts passieren, weil sie unter dem Schutz ihres Vaters stehen würden.
Er schaute Michael ein bisschen leidend an, als dieser den Ernst der Lage begriff. "Ja...er wollte, dass ich es tue....die Vorstellung versetzt mich schon in Panik, aber meine Mutter hat dafür gesorgt, dass es mir erspart bleibt. Und jetzt bin ich hier...Wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, wäre ich sicher nicht aufgefallen und hätte in London bleiben können."
Raymond biss sich auf die Lippen.
"Ich bin selber Schuld..."

Michael

Michael haderte mit dem, was Raymond ihm da erzählt hatte. Wie grausam konnten Menschen denn sein? Sein Bruder war nur wenige Jahre älter als er und man hatte ihn zu solch unaussprechlichen Dingen zwingen wollen ...
Michael zögerte nur kurz, dann streckte er die Hand aus und legte sie auf Raymonds Unterarm. Er hatte das Gefühl, dass sie einander näher gekommen waren also wagte er es. "Es ist nicht deine Schuld, Ray." widersprach er entschieden. "Niemand sollte zu so etwas gezwungen werden, es ist also viel mehr die Schuld dieses Kerls, der das von dir wollte. Nicht deine." Und Michael vermutete, dass es ja doch nur eine Frage der Zeit gewesen wäre bis man das von Ray verlangt hätte. Dieser Kuss war nur ein früher Auslöser gewesen.

Raymond

Raymond war ein wenig überrascht, als Michael die Hand auf seinen Arm legte. Das war er nicht gewohnt und so hatte er im ersten Moment den Drang unterdrücken müssen, den Arm wegzuziehen. Aber seine Worte hatten etwas Beruhigendes und linderten seine Schuldgefühle tatsächlich ein wenig.
"Du hast wahrscheinlich recht. Es ist wohl seine Schuld....es ist nur früher gekommen, als wir dachten, aber diese Ideen hätte er wahrscheinlich ohnehin bekommen."
Er zögerte einen Moment, grinste dann Michael schief an. "Vielleicht ist es doch ganz in Ordnung einen Bruder zu haben."
Es war ein neues Gefühl, jemanden zu haben, der einem schon deshalb loyal beistand, weil er dasselbe Blut in den Adern hatte. Aber er merkte immer mehr, dass es nicht so schlecht war, wie er gedacht hatte.